Nach Berliner Demo gegen Sparpläne: Ein dumpfer Knall mit Folgen

Durch eine Detonation auf einer Berliner Demo sind mehrere Polizisten verletzt worden. Wie aus einem unklaren Fall neuer "Linksterror" wird - eine Chronologie.

Viel Nebel, bislang wenig Aufklärung: Großdemonstration gegen Sozialabbau in Berlin. Bild: dpa

Mittwoch, 16. Juni, 16.10 Uhr: Aktuelle Stunde im Bundestag auf Antrag von CDU/CSU und FDP. "Bedrohliches Anwachsen linksextremer Straftaten in Deutschland." Bundesinnenminister Thomas de Maizière tritt ans Pult. Er spricht von einer "neuen Qualität" der linken Gewalt. "Autonome bestimmen in diesem Land nicht, was Freiheit ist", sagt er. Dann zitiert er Rosa Luxemburg: "Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden." Was ist passiert?

Samstag, 12. Juni, gegen 14.30 Uhr: Wuuuuuuum. Der dumpfe Knall, der auf der Demonstration "Die Krise heißt Kapitalismus" in Berlin zu hören ist, unterscheidet sich deutlich von den scharfen Knallgeräuschen der auf Demos häufig gezündeten Böller. Doch danach passiert - nichts. Nicht einmal Krankenwagen oder Sanitäter eilen herbei.

Samstag, 18.27 Uhr: Die Agentur dpa meldet, dass laut Polizei zwei Beamte schwer verletzt worden seien. Sie seien im Krankenhaus operiert und stationär aufgenommen worden. Bei dem explosiven Stoff soll es sich nicht um herkömmliche Pyrotechnik gehandelt haben.

Es knallte einmal auf der Straße - und hallte bis ins Parlament. Nachdem es am Rande einer Demonstration ("Die Krise heißt Kapitalismus") am 12. Juni in Berlin zu einer Explosion gekommen war, woraufhin mehrere Polizisten verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten, beschäftigte sich gestern der Bundestag mit dem Vorfall. Politiker warnten vor "neuen Dimensionen linker Gewalt" und "Terror von links". In den letzten Tagen hatten Medien über den Vorfall als "Sprengstoffanschlag" mit einer "Splitterbombe" berichtet. Dabei sind die tatsächlichen Umstände noch weitgehend ungeklärt. Am Mittwoch schloss die Staatsanwaltschaft gegenüber der taz allerdings aus, dass es sich bei dem Sprengkörper um eine mit Glas oder Metall manipulierte "Splitterbombe" gehandelt haben könnte. Spekulationen darüber seien "Quatsch". (mk)

Samstag, 20 Uhr: Eine Demonstrationsteilnehmerin veröffentlicht unter dem Pseudonym "kruemelfisch" ein Video auf der Internetplattform YouTube. Sie hatte hinter einem geparkten Auto gefilmt, an dessen Vorderrad die Explosion zu sehen ist. "Ich war total geschockt und konnte etwa eine halbe Minute lang gar nichts mehr hören", erzählt die Studentin später der taz. Auch die Polizisten auf der Straße seien schockiert gewesen. "Einer konnte nicht mehr laufen." Von einer ärztlichen Versorgung der Beamten vor Ort hat sie nichts gesehen. Auch sie selbst habe vermutlich glühende Asche ins Auge bekommen.

Sonntag, 13. Juni: Die Bild am Sonntag berichtet klein über den Vorfall. Sie schreibt von Böllern und einer Explosion.

Sonntag, 11.02 Uhr: Die Polizei verschickt eine Mitteilung über die Demo. Darin heißt es: "Einen Sprengsatz haben Unbekannte auf die eingesetzten Polizeibeamten geworfen." 15 Beamte seien dadurch verletzt worden, zwei von ihnen schwer. Drei Verdächtige seien festgenommen worden, inzwischen aber wieder auf freiem Fuß. Das LKA ermittle wegen versuchten Totschlags.

Sonntag, 11.25 Uhr: Die dpa meldet, nach Polizeiangaben sei eine "Splitterbombe" detoniert, die möglicherweise mit Nägeln oder Glasscherben gefüllt war.

Sonntag, 13.10 Uhr Michael Prütz, Sprecher des Demobündnisses "Wir zahlen nicht für eure Krise" gibt in einem Telefonat an, den Vorfall "außerordentlich" zu bedauern. "Wer auch immer die Tat begangen hat, schadet dem Anliegen der Demo und des Bündnisses aufs Heftigste."

Sonntag, 14.41 Uhr: "Zwei Kollegen erlitten mehrere Zentimeter breite offene Fleischwunden an den Beinen", teilt Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, mit: "Das waren Mordversuche." Das Wort "Splitterbombe" beherrscht jetzt die Berichterstattung.

Sonntag, 14.45 Uhr: Im linken Internetforum Indymedia schreibt der User "Zeiti": "BULLEN ABSCHLACHTEN!"

Sonntag, 14.56 Uhr: Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) verurteilt den Wurf einer "Splitterbombe". "Hier handelt es sich um eine neue Brutalität."

Montag 14. Juni: Die Bild schreibt nicht mehr von Böllern: "Bombenanschlag auf Polizisten!", lautet die Schlagzeile. Der Berliner Morgenpost sagt der Berliner Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Bodo Pfalzgraf: "Die Täter bewegen sich hart an der Grenze zum Terrorismus."

Montag, 13.20 Uhr: Auch die autonome Szene diskutiert den Vorfall. Sie ist der Auffassung, dass die Polizei vor der Detonation die Demonstration gestört und provoziert hat. Ein linker Aktivist aus einer antifaschistischen Gruppe sagt: "An diesem Ort und zu dieser Zeit war die Aktion sicher nicht das richtige Mittel."

Montagnachmittag: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verurteilt den Vorfall scharf: "Das ist pure Lust an der Gewalt." Das Ministerium betont, gegenwärtig werde an der Verschärfung des Strafrechts gearbeitet. In Internetforen wird derweil das YouTube-Video analysiert. Immer wieder wird auf die Parallelen der Rauchentwicklung mit dem in Italien handelsüblichen Knaller "Cobra" hingewiesen.

Dienstag, 15. Juni: Die Bild berichtet: "Aggressive Chaoten aus dem schwarzen Block hatten eine Bombe abgefeuert - ohne Rücksicht auf Menschenleben." Die Berliner Zeitung zitiert einen Polizeisprecher: Metall oder Glas sei definitiv nicht verwendet worden, um eine Splitterwirkung zu erzielen. Auf Nachfrage der taz will die Polizei dies später nicht bestätigen.

Dienstag, 5.30 Uhr: Die dpa zitiert den CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht in eine Gewaltspirale wie in den 70er Jahren hineingeraten." Der "Anschlag" weise eine bisher unbekannte Brutalität auf. Union und FDP beantragen im Bundestag eine aktuelle Stunde zum Thema Linksextremismus.

Dienstag, 19.39 Uhr: Der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann sagt der Süddeutschen Zeitung: "Die Chaoten schrecken sicher vor einem Mord auch nicht zurück. Das ist ein Comeback des linken Terrors." Die dpa spricht weiter von einer "Splitterbombe".

Mittwoch, 16. Juni, 7.38 Uhr: Auf Indymedia schreibt User "Hein": "Vollkommen Panne, die Aktion, schon allein deshalb, weil auch Demonstranten hätten verletzt werden können."

Mittwoch, 9.55 Uhr: Hannah Schuster, Sprecherin der linken Gruppe "Fels" sagt: "Wir sollten abwarten, wie klein die sogenannte Splitterbombe in den nächsten Tagen noch wird. Die inszenierte Aufregung über einen angeblich neuen "Linksterrorismus" hat einen billigen Zweck: Ablenkung und Diskreditierung der Sozialproteste."

Mittwoch, 11.23 Uhr: Die Berliner Staatsanwaltschaft schließt gegenüber der taz aus, dass es sich um eine "Splitterbombe" gehandelt haben könnte. "Das ist Quatsch", sagt ein Sprecher der taz. Näheres will er "aus ermittlungstaktischen Gründen" allerdings nicht sagen.

Mittwoch, 13.30 Uhr: Die Studentin "kruemelfisch" ist geschockt von den "Hetzkommentaren", die ihr Video auf YouTube ausgelöst hat. "Die einen schrieben, alle Bullen sollten erschossen werden, die anderen alle Demonstranten." Sie habe daher die Möglichkeit, ihr Video zu kommentieren, ausgeschaltet. "Gewalt gegen Menschen, das geht gar nicht", sagt die Studentin, die auf der Demo war, "um ein Zeichen zu setzen". Die Polizei habe sich nicht bei ihr gemeldet.

Mittwoch, 16. Juni: Aktuelle Stunde im Bundestag. Innenminister de Maizière tritt ans Pult. "Dies ist ein Angriff auf unsere Demokratie in ihrem Kern", sagt er. Er lasse sich die Freiheit nicht von "gewaltbereiten Chaoten" kaputtmachen. Danach kommt der CSU-Mann Hans-Peter Uhl. Er sagt: "Wir haben es mit einer Gewalt zu tun, die es in den letzten Jahren in Deutschland nicht gegeben hat."

GEREON ASMUTH, SVENJA BERGT, MARTIN KAUL, WOLF SCHMIDT

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