Bundestag berät Krankenkassen-Finanzierung: Gesundheitsfonds droht das Aus

Der Gesundheitsfonds, Ergebnis eines langen Streits, steht auf der Kippe. Doch zwei wichtige Frauen der Regierung haben ihren Namen mit dem Projekt verknüpft.

Er soll alles leichter machen, doch Patienten fürchten vor allem höhere Kosten durch den Gesundheitsfonds. Bild: ap

1) Kippt am Donnerstag der Gesundheitsfonds? Der Bundestag berät an diesem Donnerstag auf Antrag der FDP über den Stopp des umstrittenen Fonds - und die Gegner im Parlament dürften überwiegen. Denn nicht nur die Opposition ist gegen den Fonds. Auch unter den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen, die vor einem Jahr die Reform auf den Weg gebracht haben, sind überzeugte Befürworter nur schwer aufzutreiben.

Der Gesundheitsfonds ist das Kernstück der jüngsten Gesundheitsreform. Vom 1. Januar 2009 an sollen die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht mehr an die einzelnen Krankenkassen, sondern in einen Fonds fließen. Hinzu kommt ein Bundeszuschuss aus Steuermitteln, mit dem gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern finanziert werden sollen. Dieser Zuschuss soll schrittweise steigen. Die Bundesregierung - nicht mehr die Einzelkasse - legt künftig den Beitragssatz fest, der für alle Mitglieder gleich hoch ist. Die Kassen erhalten für jeden Versicherten einen einheitlichen Betrag aus dem Fonds. Alters- und Krankheitsrisiken werden durch einen Zuschlag ausgeglichen. Hat die Kasse Geld übrig, kann sie Prämien an ihre Mitglieder ausschütten; kommt sie mit dem Geld aus dem Fonds nicht aus, muss sie einen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern erheben. Dieser darf aber nicht mehr als 1 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens umfassen. Der Gesundheitsfonds muss lediglich 95 Prozent der Ausgaben aller Krankenkassen decken. Erst wenn er darunter liegt, wird der einheitliche Beitragssatz angehoben. Der Fonds gilt nur für die gesetzlichen Krankenkassen, die private Krankenversicherung wird nicht einbezogen.

2) Wer will den Fonds denn noch? Das ist das Problem: Zwei in der Bundesregierung nicht ganz unwichtige Frauen haben ihren Namen mit der Einführung des Gesundheitsfonds verknüpft. Da ist zum einen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die unermüdlich betont, alles werde wie geplant kommen. Nun würde die Koalition über die SPD-Politikerin vielleicht noch hinweggehen - wäre da nicht die Kanzlerin. Der wurde während des Hickhacks um die Gesundheitsreform klar: Die Koalition braucht einen Kompromiss, dem Union und SPD ohne Gesichtsverlust zustimmen können, und mit dem die Bundesregierung Handlungsstärke beweisen kann. Schließlich galt die Gesundheitsreform als eine der zentralen Herausforderungen dieser Legislaturperiode. Merkel sprach sich für den Fonds aus - und hält bis heute daran fest.

3) Macht der Gesundheitsfonds irgendeinen Sinn? Gesundheitspolitisch nicht, denn er löst keines der Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung, da sind sich immer mehr Gesundheitsexperten einig. Eigentlich sollte die Gesundheitsreform die Finanzierung der angeschlagenen gesetzlichen Krankenversicherung auf eine solide Grundlage stellen. Herausgekommen ist lediglich eine extrem komplizierte und hochbürokratische Geldsammel- und Verteilstelle.

4) Und wenn die große Koalition platzt? Letztendlich haben sich SPD und Union für den Fonds entschieden, weil er nach dem Ende der Zusammenarbeit für ihre unterschiedlichen Konzepte anschlussfähig ist. Die Union könnte - wenn sie irgendwann mit anderen Mehrheiten regiert - den Fonds in eine Kopfpauschale umwandeln, die SPD ihn zu einer Bürgerversicherung ausbauen.

5) Was für Auswirkungen hat der Fonds für die Versicherten? Für viele werden wahrscheinlich die Beiträge steigen. Zum 1. November will das Bundesgesundheitsministerium den Beitragssatz festgelegen, der künftig für alle Kassen gilt. Ein Gutachten, das Anfang des Jahres Furore machte, prognostizierte einen Beitragssatz von 15,5 Prozent. Die Bild-Zeitung machte daraus "Kassenbeiträge bis zu 712 Euro im Monat rauf". Fakt aber ist, dass wichtige Daten zur Berechnung des Beitragssatzes noch gar nicht vorliegen. Viele Experten schätzen jedoch, dass der Beitragssatz über dem heutigen Durchschnittswert von 14,8 Prozent liegen wird.

6) Und wenn das Geld trotzdem nicht reicht? Mittelfristig müssen viele Versicherte wohl eine zusätzliche Prämie zahlen. Denn aus dem Fonds bekommen die Kassen für jeden Versicherten einen einheitlichen Betrag. Reicht dieses Geld einer Kasse nicht, muss sie bei ihren Mitgliedern eine Zusatzzahlung erheben. Die ist auf 1 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen beschränkt. Das bringt Probleme für Kassen mit vielen armen Mitgliedern, wie zum Beispiel einige Allgemeine Ortskrankenkassen. Im Ernstfall gehen sie pleite. Wer für die Insolvenzkosten aufkommt, wird derzeit heftig diskutiert. Der jüngste Vorschlag aus dem Gesundheitsministerium: In letzter Instanz haften die anderen Kassen - und damit alle gesetzlich Versicherten.

7) Besonders die Bayern hetzen gegen den Fonds - dabei war die CSU einst einer seiner glühensten Verfechter. Was treibt die Bayern jetzt an? Zum einen natürlich die Angst vor dem Machtverlust. Im September wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt, und das angeschlagene CSU-Führungsduo aus Ministerpräsident Günther Beckstein und Parteichef Erwin Huber muss ein Ergebnis über 50 Prozent einfahren. Alles darunter gilt in der CSU als GAU. Steigende Krankenkassenbeiträge und weniger Geld, um die gut verdienenden bayerischen Ärzte zu vergüten, lassen sich im Wahlkampf nicht gut verkaufen. Aber genau das droht mit dem Gesundheitsfonds. Der bayerische Widerstand gegen die Großkopferten in Berlin kommt da beim Wahlvolk schon viel besser an.

8) Die Bundesregierung hat die Zustimmung der Bayern im Bundesrat mit einer Sonderregelung erkauft: Für den Fonds dürfen nicht mehr als 100 Millionen Euro aus einem Bundesland abfließen. Macht diese Bayern-Klausel Sinn? Nein, jedenfalls nicht jenseits der Interessen der reichen Länder, in denen dank niedriger Arbeitslosenzahlen und hoher Einkommen die Krankenkassen satte Beiträge kassieren. Die Klausel widerspricht sogar einer Grundidee der Reform: der gerechteren Verteilung der Finanzmittel im ganzen Bundesgebiet. Zudem, so Fachleute, sei die Klausel technisch schwer umsetzbar. Daher fordern sie - wie inzwischen auch die SPD: Bayern-Klausel kippen! Druck kommt natürlich auch aus den Bundesländern, die vermutlich mehr zahlen müssen, wenn die Abflüsse aus den reichen Ländern begrenzt werden: Sachsen, Thüringen und Nordrhein-Westfalen.

9) Mit dem Fonds kommt auch ein neuer Finanzausgleich zwischen den Kassen. Warum? Der Finanzausgleich mit dem schwierigen Namen "morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich" hat eine wichtige Funktion. Mit seiner Hilfe sollen die Mittel aus dem Fonds möglichst gerecht an die Krankenkassen verteilt werden. Künftig werden diese nicht nur für Frauen, die mit Geburten Kosten verursachen, und für Alte, die häufiger krank sind, Zuschläge bekommen, sondern auch für Patienten, die an bestimmten Krankheiten leiden. Würden alle Kassen für jedes Mitglied dieselbe Pauschale bekommen, hätten die mit vielen Schwerkranken schnell ein Problem. Über die Liste der Krankheiten wird - wie sollte es bei einer Gesundheitsreform auch anders sein - derzeit heftig gestritten.

10) Kippt der Gesundheitsfonds jetzt nicht, kommt er dann wirklich im nächsten Jahr? Darüber traut sich derzeit niemand eine seriöse Prognose zu. Im Herbst haben die Länder, in denen es auch kräftig rumort, noch eine Chance zur Rebellion. Dann muss der Bundesrat einer Rechtsverordnung zustimmen, die die Zuschläge festklopft, die aus dem Fonds an die Kassen fließen. Bayern, Baden-Württemberg und die anderen Kritiker in den Ländern können dann zeigen, ob ihr Protest mehr ist als Maulheldentum. Oder ob die Loyalität zur Kanzlerin schließlich überwiegt. Dann bleibt immer noch das Verschieben. Das will zwar NRW nicht, wo 2010 gewählt wird, würde aber immerhin die Bayern befrieden. Und wäre sicherlich auch im Sinne der Koalition. Schließlich ist im Herbst 2009 Bundestagswahl. So oder so dürfte es beim Thema Gesundheit zu einer Neuauflage des letzten Wahlkampfs kommen: Die SPD preist die Bürgerversicherung, die Union die Gesundheitsprämie. Und Schuld am Gesundheitsfonds will dann keiner gewesen sein.

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