Keine Papiere, keine Bildung: Lernen für Illegale verboten

Die Koalition will Kindern ohne Aufenthaltsgenehmigung den Schulbesuch ermöglichen. Noch sträuben sich die Ländern dagegen.

Finden Sie heraus, welches der Kinder auf diesem Schulhof keine Papiere besitzt. Hinweise nimmt jede Ausländerbehörde oder Herr Schönbohm entgegen. Bild: dpa

Schon eine Grundschule zu finden war schwierig. Erst an der siebten hat es geklappt: Die Schulsekretärin fragte nach Annas* Namen und ihrer Adresse, dann wollte sie die Geburtsurkunde der Sechsjährigen sehen. Nach einer Anmeldebescheinigung fragte sie nicht. "Da waren wir froh", sagt Annas Vater José Gonzales*. "Unser Kind konnte in die Grundschule gehen." Eine Anmeldebescheinigung hätte Gonzales nicht vorlegen können. Denn der Mann aus Lateinamerika und seine Familie halten sich illegal in Deutschland auf.

Wie viele Kinder in einer ähnlichen Situation wie Anna sind, weiß niemand. Experten schätzen, dass zwischen einer halben und einer Million Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben: Fünf bis zehn Prozent von ihnen könnten Kinder und Jugendliche sein. Eine Schule besuchen nur wenige von ihnen. Denn Schulleiter und Lehrer müssen das Ausländeramt informieren, wenn sie erfahren, dass ein Schüler keinen gültigen Aufenthaltsstatus besitzt. So steht es im Aufenthaltsgesetz. Und obwohl nicht jede Missachtung zu Konsequenzen führt, schreckt das Gesetz ab.

"Wir wissen, dass die meisten Kinder nicht zur Schule geschickt werden, weil ihre Eltern Angst haben, entdeckt und abgeschoben zu werden", sagt der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit. Wie andere Experten, wie die Kirchen und Flüchtlingsorganisationen fordert er, die Meldepflicht aufzuheben, die für öffentliche Einrichtungen gilt. Schließlich gelte das Recht auf Bildung, das in der von Deutschland ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben ist, für alle Kinder. Unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.

Nun will die große Koalition diesen Kindern einen regulären Schulbesuch ermöglichen. "Wir wollen, dass die Eltern ihre Kinder angstfrei in die Schule schicken können", sagt der CDU-Abgeordnete und Rechtspolitiker Reinhard Grindel. Dies sei inzwischen Konsens in seiner Fraktion. Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat vor kurzem im Menschenrechtsausschuss des Bundestags deutlich gemacht, dass er den Schulbesuch ermöglichen will.

Für die Union bedeutet das eine radikale Kehrtwende. Noch vor einem Jahr polterte Hans-Peter Uhl, der innenpolitische Sprecher der Fraktion, im Spiegel, "Kumpanei mit Illegalen" sei "eindeutig der falsche Weg". Inzwischen habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, sagt Grindel, dass man Kinder nicht für die Entscheidungen der Eltern und die Lebensumstände ihrer Familie verantwortlich machen könne. Wichtig für die Union sei aber: Die Entscheidung müsse auf den Schulbesuch beschränkt bleiben und nicht etwa auf Ärzte oder Sozialarbeiter ausgedehnt werden.

Am Ende der Grundschule bekam Anna eine Realschulempfehlung. Damit fing für die Eltern abermals eine verzweifelte Suche an. Sie liefen von Schule zu Schule. "Alle wollten, dass wir eine Anmeldung der Stadt vorzeigen", sagt José Gonzales. "Schließlich hat uns die Patin von Anna geholfen." Sie sprach eine Realschullehrerin in ihrem Bekanntenkreis an, die Anna in ihrer Schule unterbrachte. Der Direktor wurde informiert und ließ es zu. Anna wusste von all dem nichts. Die Eltern haben mit ihr nicht über den prekären Status der Familie gesprochen. Zu groß war die Angst, das Kind könne unbeabsichtigt das Geheimnis ausplaudern.

Annas Geschichte ist eine Ausnahme. Die Kinder ohne Aufenthaltsstatus, die eine Schule besuchen, sind in der Regel von engagierten Beratungsstellen dorthin vermittelt worden. "Meist läuft das über persönliche Kontakte", weiß die Osnabrücker Migrationsforscherin Maren Wilmes, die im Auftrag des Stadtrats im vergangenen Jahr die Situation in Köln erforscht hat. "Da kennt die Sozialarbeiterin ein paar Lehrerinnen und Schulleiter, die die Meldepflicht ignorieren." Manchmal, erzählt Wilmes, würden aber auch Arbeitgeber vermitteln, oft deutsche Frauen, bei denen die Mütter als Putzhilfe arbeiteten. Häufig werden die Kinder ganz offiziell als Schüler registriert, dann sind sie auch versichert und erhalten Zeugnisse. Manchmal laufen sie aber auch einfach im Unterricht mit. Migrationsforscherin Wilmes ist sich sicher: "Die Abschaffung der Meldepflicht wäre für die Kinder ein großer Schritt."

Doch beschlossene Sache ist das noch nicht. Bildung ist Ländersache. Auch einer Änderung des Aufenthaltsgesetzes müssten die Länder im Bundesrat zustimmen. Deshalb will die Union sie einbeziehen. "Da müssen wir noch werben", sagt CDU-Mann Grindel vorsichtig. Und da gibt es noch einiges zu tun: "Die Innenminister und Senatoren sehen in der Praxis keinen aktuellen Änderungsbedarf an der derzeitigen Rechtslage", lässt der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm, über seinen Sprecher ausrichten.

Der Geschäftsführer des Katholischen Forums Leben in der Illegalität, Johannes G. Knickenberg, hingegen meint, dass die Koalition die Länder für eine Änderung gar nicht braucht: "Die Bundesregierung könnte auch einfach die Verwaltungsvorschriften ändern."

Bislang ist die Praxis in den Ländern sehr unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen gilt die Schulpflicht auch für Kinder ohne Aufenthaltstitel, eine Meldebescheinigung dürfen die Schulen nicht mehr verlangen. Zudem hat das Bildungsministerium die zuständigen Behörden im März darauf hingewiesen, dass keine Mitteilungspflicht über den Aufenthaltsstatus der Schüler besteht.

Sehr streng geht hingegen Hessen vor. Schulen seien "zur Erfassung des Aufenthaltsstatus und zur Meldung statusloser Kinder an die Ausländerbehörde verpflichtet", schrieb das Schulministerium im Oktober 2005 an die Schulämter und drohte mit dienstrechtlichen Konsequenzen. Allerdings könnte es damit bald vorbei sein: Der Landtag beschäftigt sich derzeit mit der entsprechenden Verordnung und könnte sie im Oktober mit einer Mehrheit jenseits der CDU liberaler fassen.

Besonders kompliziert ist die Lage in Hamburg. Dort gibt es seit 2005 ein zentrales Schülerregister, das die Daten der Schulen mit denen der Meldebehörden vergleicht. Vor einiger Zeit flog die 15-jährige Magdalena, die seit ihrem vierten Lebensjahr in Hamburg lebt und inzwischen in die neunte Klasse geht, durch diesen Datenabgleich auf. Sie tauchte im Melderegister nicht auf. Ihr und ihrer Mutter droht jetzt die Abschiebung nach Südamerika. "In Hamburg würde die Abschaffung der Meldepflicht wenig helfen, wenn das Schülerregister bleibt", sagt Anne Harms von der kirchlichen Initiative "Fluchtpunkt". Für andere Bundesländer aber sei die Abschaffung ein ganz wichtiger Schritt.

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