Debatte über Block-CDU der DDR: Nachrichten aus der Nische

Die Ost-CDU als Hort der bürgerlichen Wohlgesinnten? Alles Lüge! Wer in der DDR Christ an der Gemeindebasis war, blieb auf Distanz zur Block-CDU. Erinnerungen eines taz-Mitarbeiters.

Bei der Diskussion über die Block-CDU geht es auch um ihn: Sachsens Ministerpräsident Tillich. Bild: dpa

Im Bücherschrank meines Vaters fand sich Erstaunliches. "Rüstzeug der UNION" waren die damals schon vergilbten und zerschlissenen Oktavheftchen aus den ersten Nachkriegsjahren überschrieben. "Die Geschichte betrachten wir nicht als eine Geschichte von Klassenkämpfen, sondern als die Entwicklung der menschlichen Kultur", las man beispielsweise im Heftchen "Sozialismus des christlichen Arbeiters". Auch dass Privateigentum an Produktionsmitteln nicht in jedem Fall mit Ausbeutung gleichzusetzen sei.

Dem erwachenden Knaben im pubertären Alter, in der einen Hirnhälfte das Evangelium und die Zehn Gebote, in der anderen das Kommunistische Manifest und die zehn Gebote der sozialistischen Moral, erschienen die Heftchen als attraktive Ketzerlektüre. Damals bestand die DDR schon fast zwanzig Jahre. Die Welt war nicht nur äußerlich in zwei Systeme klar eingeteilt.

In der Schule der dogmatische Anspruch eines Kindergartenkommunismus, draußen die entgegengesetzte Realitätserfahrung. Mit dieser Schizophrenie wuchs man in einem katholischen Elternhaus auf. Ergebnisoffenes Denken hatte sich folglich in die Katakomben des Geistes zurückzuziehen.

Dort hatte freilich auch das Bekenntnis zu wachsen, das einem, wenn aus Gewissensgründen nötig, abverlangt werden konnte. Wer zwischen diesen Welten herumeierte wie die schwammigen Unionsfreunde von der Block-CDU, wurde belächelt oder verachtet. Klang einem nicht Matthäus 5,37 in den Ohren: "Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein; was darüber ist, das ist vom Übel"?

Die unentdeckte Zeit vor der Gleichschaltung der Blockparteien in der "Nationalen Front" hatte etwas Faszinierendes. Eine Zeit des Suchens offenbar, in der jener von Kind auf verinnerlichte Dualismus, ja Antagonismus zwischen Christentum und Staatsdoktrin noch nicht zementiert war. Und mein Vater mittendrin? Nach seiner Flucht aus Schlesien in Thüringen aufgenommen, gründete der überzeugte Katholik 1946 noch vor dem Aalener Programm mit anderen einen Ortsverband der CDU.

Aber mit dieser Partei hatte er doch nichts mehr zu tun, seit ich denken konnte? Mein Vater muss unter dem eingetretenen Bruch sehr gelitten haben, denn er sprach kaum darüber. Auch sein Rückzug auf das eigentlich anders gemeinte Bibelwort: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!", klang gequält. Die Kompromisslinie zog sich quer durch die Familie. Mein Vater, der Kirchenmusiker, verweigerte meine Jugendweihe, Mutter, als Lehrerin im Staatsdienst, setzte zumindest meinen Eintritt in die FDJ durch. Nur so viel erfuhr ich noch: Mein Vater war 1956 nach der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands aus der Ost-CDU ausgetreten.

Mein Respekt vor ihm stieg in gleichem Maße, wie der vor den Weicheiern der Blockparteien sank. Mit einem dieser Vertreter bekam ich es vor dem einzigen DDR-Volksentscheid zur neuen sozialistischen Verfassung am 6.April 1968 zu tun, denn agitiert wurde auch an Schulen. Ausgerechnet der Erfurter CDU-Funktionär Franz Kirchner, der Vater einer Schülerin, war eingeladen worden, vor der Schulklasse das Werk zu preisen. Mich hatte er abzubügeln, als ich ihm mit zitternder Stimme den "Fortschritt" hinsichtlich der Stellung der Religionsgemeinschaften vorhielt. Aus einem Abschnitt mit acht Artikeln der Verfassung von 1949 wurde 1968 ein einziger nichtssagender Artikel. Der Verfassung stimmten "nur" knapp 95 Prozent zu, ein frappierendes Ergebnis.

Kompromissler waren wir im praktischen Leben alle, aber schon ein Jugendlicher wie ich unterschied intuitiv zwischen Kompromiss und Kollaboration. Ich lernte Lehrerkollegen meiner Mutter kennen, die ihre aus irgendeinem peinlichen Grund eingegangene Mitgliedschaft in der CDU möglichst verschwiegen und als umgängliche Menschen akzeptiert wurden.

Und ich zuckte andererseits im Messdienergewand am Altar zusammen, wenn der CDU-Bezirkschef unerwartet im Sonntagsgottesdienst erschien. Im Nachhinein erscheinen die Parteikarrieristen als bedauernswerte Typen, weil sie relativ isoliert blieben und in das pralle Gemeindeleben wenig integriert waren. So erfuhr ich es in der Studentengemeinde mit einem ziemlich eitlen Kommilitonen, der in Kreisen der "Berliner Konferenz europäischer Katholiken" um Otto Hartmut Fuchs verkehrte. Und so beobachtete ich später in der Ortsgemeinde einen maßgeblichen Dresdner CDU-Funktionär, der gehemmt und unglücklich wirkte, weil er das ihn umgebende Misstrauen zu spüren schien.

"Wenn so einer im Raum war, hielt man die Schnauze", formulierte zur Wendezeit der heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz. "Wer mit dem Teufel essen will, muss einen langen Löffel haben", pflegten wir zu sagen. Man diente sich nicht ohne Not einem Regime und seiner Partei der führenden Rolle an, es sei denn, Karriere galt einem mehr als die Überzeugung. Und wer den Spagat einer "Kirche im Sozialismus" postulierte, den konnte man eigentlich nicht ernst nehmen. Die aktive kirchliche Umgebung, die mich prägte, betrachtete die Block-CDU jedenfalls ungefähr so wie die Kommunisten die SPD.

Dieses Schwarz-Weiß-Bild geriet allerdings zu Beginn meiner Studienzeit ins Wanken. In der Evangelischen Studentengemeinde Dresden stieß ich auf die noch frischen Spuren einer Eintrittswelle junger Christen in die CDU. Der integre Dieter Reinfried beispielsweise, später Sprecher des Neuen Forums, Stasi-Besetzer, Dresdner CDU-Stadtchef und Staatssekretär, gehörte 1971 zu jenen, die den angepassten Laden der Amensager von innen aufmischen wollten. Womöglich stand der "Marsch durch die Institutionen" der Achtundsechziger im Westen Pate.

In diesen Institutionen saßen freilich auch Unionsfreunde, die mindestens ebenso viel Hasspotenzial auf sich zu ziehen vermochten wie manche Bonzen der SED. In Dresden war der Stadtrat für Wohnungsfragen, Horst Korbella, solch ein aalglattes Schlitzohr. Familien wie die meine, die ein Vierteljahr vor dem ersten Entbindungstermin noch immer keine Wohnung hatte, lud er auf ihre Eingaben hin gleich im Dutzend in sein Rathauszimmer. Eine halbe Stunde erzählte er vom sozialistischen Wohnungsbauprogramm und dessen Erfolgen, dann durften wir wieder gehen. Ohne Wohnung. Ich entsinne mich eines cholerischen Ausbruchs beim zweiten Termin. Korbella stieg im Vereinigungsjahr 1990 zum stellvertretenden Vorsitzenden der Ost-CDU auf, bevor er als IM "Peter Klaus" der Stasi enttarnt wurde. In seinem letzten Bericht vom 8. November 1989 schrieb er: "Ich will aktiv dazu beitragen, dass der Sozialismus in der DDR bestehen bleibt …"

Das war mehr als nur Tarnung, als jene Mimikry, die sich beispielsweise Redakteure der Unions-Bezirkszeitungen zulegten. Das Thüringer Tageblatt und Die Union in Dresden waren achtseitige Blättchen mit dem komprimierten Neuen Deutschland der SED vom Vortag und einem Lokal- und Kulturteil, der es besonders in den späten Achtzigern in sich haben konnte. Im Dechiffrieren geübt, las man zwischen den Zeilen Renitentes etwa über ökologische Verheerungen in der DDR. Nicht von ungefähr war es die später nach der deutschen Vereinigung völlig resignierte Kulturchefin der Union, Uta Dittmann, die am 10. Oktober 1989 den ersten Glasnost-Artikel der DDR-Presse schrieb. Unter dem Titel "Es ist möglich, miteinander zu reden", gestand sie auch Opportunismus und manipulierte Berichterstattung ein.

Der relative Bonus, den die CDU-Bezirkszeitungen genossen, mildert auch den Blick auf Herbert Goliasch, ehemals stellvertretender Chefredakteur des Thüringer Tageblatts. Er war Anfang 1990 als Chef eines Leipziger Kunstverlages formal mein erster Arbeitgeber beim Umstieg in den Journalistenberuf. Ich durchschaute damals noch nicht, wie er seine alten Verbindungen spielen ließ, entlassene Redakteure in unserer neuen Bürgerbewegungszeitung zu platzieren versuchte, systematisch seine Inthronisation als erster CDU-Fraktionsvorsitzender im neuen Sächsischen Landtag vorbereitete. Drei Viertel dieser Fraktion gehörten der alten Blockpartei an. Goliasch war ein Kumpel, aber auch ein geschmeidiger Wendehals. 1994 kandidierte er nach unbewiesenen Vorwürfen früherer KGB-Kontakte nicht mehr für den Fraktionsvorsitz und verließ 1998 die CDU.

Unbelastete Neumitglieder, voran Arnold Vaatz und Matthias Rößler, verhinderten 1990 mit dem Ruf nach Kurt Biedenkopf, dass der Landesvorsitzende Klaus Reichenbach Ministerpräsident werden konnte. Weit stärker als in anderen neuen Bundesländern erzwangen diese Reformer auch eine innerparteiliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die aber ab etwa 1992 in einen Burgfrieden mündete.

Damals wie heute stellt sich die CDU jedoch selbst eine Falle, wenn sie der PDS-Linken die alleinige Verantwortung für 40 Jahre DDR-Unrecht zuweist. "Die schlimmsten Feinde der Elche waren früher selber welche", kommentierten in der ersten Legislaturperiode die Grünen. Und wenn der damalige PDS-Fraktionsvorsitzende Klaus Bartl wieder einmal wegen seiner jugendlichen Stasi-Zuträgerschaft und der Tätigkeit in der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt angezählt wurde, zeigte er vom Rednerpult nur auf die erste Reihe der CDU-Fraktion: "Sie standen zum Tag der Staatssicherheit am 8. Februar doch als Erste mit dem Blumenstrauß vor der Bezirksverwaltung!"

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