Engagement wird zum Sicherheitsrisiko: Neonazis outen Linke im Internet

Seit Jahresbeginn "outen" lokale Rechte wöchentlich einen ihrer Gegner im Netz - mit Name, Fotos und Adresse. Die Linken fühlen sich von der Polizei zu wenig unterstützt.

Aufgepasst! Nazis veröffentlichen Namen und Daten von Antifaschisten im Internet. Bild: dpa

"Wenn ich jetzt abends Bahn fahre oder zu Fuß nach Hause gehe, fühle ich mich unsicher - man weiß ja nie, wer da auf einen wartet", beschreibt Michael seine aktuellen Sorgen. Seit Jahresbeginn stellen Dortmunder Neonazis auf einer Internet-Seite jede Woche einen ihrer politischen Gegner an den Pranger. Mit Namen, Fotos, Freundeskreis, häufigen Aufenthaltsorten, schulischem oder beruflichem Umfeld, Geburtsdatum, Telefonnummer und Adresse. Engagement gegen Rechts als Sicherheitsrisiko - Michael sieht sich bedroht: "Ich habe jetzt einfach kein gutes Gefühl mehr, früher war das gar nicht so."

Dass Nazis Erkenntnisse über Antifaschisten sammeln und auf Passwort-geschützten Seiten im Internet austauschen, ist nichts Neues. "Sie nutzen das Netz in jüngster Zeit jedoch immer öfter für solche Outing-Kampagnen", fasst Carola Holzberg, Pressesprecherin des NRW-Innenministeriums, Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zusammen. Dies sei eine Antwort auf ähnliche linke Aktionen - unter dem Motto "Anti-Antifa" würden nun Rechte ihre Gegner "outen", so Holzberg weiter.

Die Nazi-Seite aus Dortmund ist eine solche direkte Reaktion. Die Verfasser nutzen dabei gezielt die Möglichkeiten des Internets: Viele der Infos und Fotos stammen aus dem studiVZ, einer Online-Plattform für junge Menschen, oder von ähnlichen Seiten. Sie wurden also von den Denunzierten selbst veröffentlicht. Ihre Wohnorte haben die Rechten zudem mit Google-Maps, einem virtuellen Stadtplan, genau angegeben - geradezu ein Aufruf zu nächtlichen Besuchen mit Farbschmierereien oder Schlimmerem.

Die Initiatoren bezeichnen sich zwar als "Autonome Nationale Utrecht", es handelt sich jedoch eindeutig um Dortmunder Neonazis der freien Kameradschaften. "Diese Gruppen sind gewalttätig und gefährlich. Sie haben sich in Dortmund Dorstfeld gesammelt und fühlen sich hier sauwohl", so Manfred Krüger-Sandkamp, vormals für die Grünen Bezirksvertreter in diesem problematischen Stadtteil. Von dort aus wurden in letzter Zeit gewaltsame Angriffe auf eine alternative Kneipe, verschiedene Parteibüros und ein interkulturelles Café durchgeführt.

"Egal ob Antifa Union, Hippihaus, Linkspartei, Kirche oder DGB: Wir haben sie alle!" lautet die vollmundige Ankündigung auf der Nazi-Seite. Bis dato haben sich die Rechten jedoch an die größeren Namen noch nicht heran getraut. "Es geht vor allem darum, junge Antifaschisten abzuschrecken", so die Einschätzung von Oliver Wilkes vom Bündnis Dortmund gegen Rechts. "Leider scheint das zu funktionieren. Viele der Betroffenen haben Angst, bei einer Anzeige noch mehr Angriffsfläche zu bieten." Vier Anzeigen liegen der Polizei jedoch mittlerweile vor. Die möglichen Straftatbestände lauten Verleumdung, Bedrohung und die missbräuchliche Verwendung privater Fotos.

Die Suche nach den Verantwortlichen ist allerdings schwer: Der Server, auf dem die Nazi-Seite liegt, steht wohl in Armenien und der Besitzer der Domain scheint ein Anwalt mit Sitz in Lichtenstein zu sein. "Das ist ein Riesenproblem, da wir so auf die Unterstützung ausländischer Behörden angewiesen sind", erklärt Ina Holznagel von der Staatsanwaltschaft Dortmund. "Der Erfolg muss leider bezweifelt werden."

Nicht die geringen Erfolgschancen, sondern die Haltung der offiziellen Seite ist für viele Anlass für Kritik: In einer Stellungnahme des Innenministeriums NRW heißt es beispielsweise, die Aktion sei eine Auseinandersetzung zwischen Rechts- und Linksextremen und in ihrer Form nicht neu. "Für die sind alle Antifaschisten automatisch Linksextreme und diese mit Rechtsextremen grundsätzlich gleichzusetzen", empört sich Wilkes vom Bündnis gegen Rechts.

Vor dem aktuellen Hintergrund spitzen sich also die generellen Vorwürfe gegen die Dortmunder Polizei zu: "Sie zieht sich auf eine rein formelle Position zurück. Wenn sie den Ermessensspielraum in Bezug auf die Rechten enger machen würde, dann würden sich diese hier auch nicht so wohl fühlen", mahnt Wilkes mit Blick auf das Verhalten der Staatshüter bei den zahlreichen Nazi- und Gegen-Demos in den vergangenen Jahren an.

Auch Krüger-Sandkamp von den Grünen ist dieser Meinung: "Die Rechten kommen in Dortmund besser weg als diejenigen, die sich gegen sie auflehnen. Die Polizei stellt sich einfach nicht auf die Seite der Demokraten."

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