Neonazi-Musikkultur: Mit Hitlergruß und Mikrofon

In Gera findet das Rechtsrock-Festival "Rock für Deutschland" statt. Doch dieses Jahr regt sich Protest in der Stadt. Ein Gegenbündnis will das Festival verhindern.

Lunikoff-Auftritt in Gera (2009). Bild: Infothek Dessau

Seit fünf Jahren findet in Gera das Open-Air-Konzert "Rock für Deutschland" statt. Im vergangenen Jahr war es "der Luni", Michael Regener alias "Lunikoff", der die Neonazi-Musikfans begeisterte. Der Auftritt des Sängers der verbotenen Band "Landser" mit seiner neuen Gruppe "Lunikoff-Verschwörung" riss alle mit. Da zeigten wahre Fans auch gleich den Hitler-Gruß.

4.000 Neonazis waren es letztes Jahr – Europas größtes Neonazi-Fest, seit 2003 finden in der Rechtsrock-Hochburg Gera solche Events statt, seit 2005 unter dem Namen "Rock für Deutschland". "Das Konzert ist für die Szene auch deswegen so bedeutend, weil es zu einer Konstante geworden ist", sagt Martin Langebach, Rechtsrock-Experte an der Uni Düsseldorf. Und an diesem Wochenende ist es wieder so weit. Die NPD plant am morgigen Samstag mitten in Gera das Festival "Rock für Deutschland". Vier Rechtsrockbands sind für das Open-Air-Konzert mitten in der ostthüringischen Stadt angekündigt.

Doch es regt sich Protest. In diesem Jahr ruft sogar der Geraer Oberbürgermeister Norbert Vornehm (SPD) zu den Protesten auf. Zwar wurde er – per Eilantrag der NPD – vom Verwaltungsgericht Gera angehalten, diesen Aufruf zu unterlassen. "Man kann nicht als Versammlungsbehörde eine Demonstration genehmigen und zugleich zu Gegenaktionen aufrufen", erläutert ein Sprecher des Gerichts. Dennoch ist Unterstützung durch den Oberbürgermeister ein Fortschritt.

An die 90 Unternehmen gibt es, die den Neonazi-Markt via Internet-Versand bedienen. Per Mausklick können beim "W & B Versand", betrieben vom NPD-Bundesvorstandsmitglied und Freie Kameradschaftskader Thorsten Heise, Rechtsrock, "Germanenspielzeug", Bekleidung, "Germanischer Schmuck", Wein, Schuhe – aber auch Teleskopschlagstöcke und Lederhandschuhe mit Quarzsand gefüllt, gekauft werden.

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Der "Deutsche Stimme Verlag" hat das Marktpotential auch schon lange erkannt. Über 100 Seiten ist der Katalog des NPD-nahen Verlags dick. In dem Hochglanzkatalog werden alljährlich Bücher, DVDs, Panzermodelle, Fahnen, Tonträger und Kleidungsstücke angeboten. (AS)

Denn noch vor einem Jahr wäre diese breite Unterstützung gegen "Rock für Deutschland" in der Otto-Dix-Stadt Gera kaum vorstellbar gewesen. Vornehms SPD-Parteigenossen hatten damals signalisiert, dass "Nazikundgebungen und Aufmärsche in gleicher Weise von linksextremen Demonstrationstouristen genutzt werden, um Intoleranz und Menschenverachtung mit gleicher Münze zu beantworten". Und der Kommunalpolitiker Dirk Plette vom Wählerbündnis "Arbeit für Gera", hatte den linken schwarzen Block gar als "Gesocks" und "Viehzeug" bezeichnet. Für diese Wortwahl hat sich Plette inzwischen entschuldigt.

"Unser Ziel ist, das Neonazifestival zu verhindern", sagt Hannes Roth, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen das Festival. Unter dem Motto "The Party is over", ruft das Bündnis von Antifa-Initiativen, Gewerkschaften, Kirchen, Parteien und Einzelpersonen auf: "Stoppen – Blockieren - Verhindern". 15 Protestaktionen sind mittlerweile angekündigt. "Seit Dresden ist die Entsolidarisierung überwunden", hebt Roth hervor. Und auch der Oberbürgermeister habe sich gewandelt. Vornehm betonte noch einmal: "Ich lasse mich nicht einschüchtern, und werde weiter unmissverständlich sagen, was ich von dieser Veranstaltung halte".

Um das Festival zu verhindern, müssen die Aktivisten früh aufstehen. Schon um acht Uhr sollen die Gegenaktionen rund um die sogenannte Spielwiese beginnen. "Mit Aktionen des zivilen Ungehorsams werden wir an verschieden Orten dezentral, genau wie in Dresden und Erfurt, protestieren", erklärt Bündnis-Sprecher Roth. Dresden, Erfurt? Die Erfolge, dort mit friedlichen Blockaden in diesem Jahr Neonaziaufmärsche verhindert zu haben, so Roth, wirken nach – und sie strahlen bis Gera aus.

Die ersten 1000 erhalten als "Treuebonus" eine CD

Den Organisationskreis um den NPD-Stadtrat Gordon Richter scheinen die angekündigten Proteste durchaus zu beunruhigen, deswegen setzen sie Anreize für eine frühe Anreise. "Die ersten 1.000 Teilnehmer erhalten eine Rock-für-Deutschland-CD als Dankeschön für ihre Treue", heißt es auf der Website zu dem Neonazievent.

Das Line-Up dürfte die Organisatoren aber auch verunsichern. Der Hauptact "Noie Werte" hat abgesagt: Ein Mitglied der Band, die zu den ältesten deutschen Rechtrockgruppen gehört, ist erkrankt. Auf der "Spielwiese" sollen jetzt "Carpe Diem" aus Baden-Württemberg, "Frontalkraft" aus Brandenburg, "Projekt Vril" aus Nordrhein-Westfalen und "Wiege des Schicksals" aus Mecklenburg-Vorpommern auftreten.

"'Projekt Vril' lässt sich zwischen Rechtsrock, Black Metal und Hardcore einordnen", sagt Langebach. Mit den weiteren Bands, so der Rechtsrockexperte, versuchten die Veranstalter das gesamte junge Spektrum des Neonazismus anzusprechen. "Zu dem Event werden sowohl NPDler als auch Autonome Nationalisten kommen", hebt er hervor. Für die NPD seien derartige Feste generell bedeutend, da sie ihrem Klientel neben der Politik einen sozialen und emotionalen Event bieten, denn: "Rechtsrock ist zum ideologischen Transmitter für die Szene geworden", so Langebach.

In der Bundesrepublik existieren an die 180 Rechtsrockbands – "Blitzkrieg", "Sleipnir" oder "Totenburg". Neben Rock sind auch andere Genres vertreten: Zum Beispiel Liedermacher. Der bekannteste Neonazi-Liedermacher ist Frank Rennicke. Ihn schickte die NPD auch als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt ins Rennen. Bekannt auch: Annett Müller. Insgesamt 20 Liedermacher treten regelmäßig auf und keines ihrer Konzerte ist bloß ein Musikevent. Sie alle wollen explizit eine politische Botschaft vermitteln. Schon 2005 erklärt die Veranstalter von "Rock für Deutschland": "Jede Note eine Waffe, jedes Lied ein Dolchstoß, jede Rede ein Brandherd im morschen Gebälk der BRD".

Ob Rechtsrock-CD oder Szenebekleidung ...

Kein Festival ohne szenetypische Verkaufsstände – auch bei den Neonazis. Wie schon im letzten Jahr dürften auch am kommenden Wochenende zahlreiche Neonazi-Konsumartikel, ob Rechtsrock-CD oder Szenebekleidung, im Angebot sein.

Die angekündigten Redner, der Thüringer NPD-Chef Frank Schwerdt oder der Vorsitzende der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" Michael Schäfer, wissen, dass es sich empfiehlt, entweder sehr mitreißend – oder sehr kurz zu sprechen. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt machte es 2009 vor, redete kurz und betonte: "Ich weiß, ihr wollt den Luni sehen".

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