Neues Justizkonzept: NRW setzt auf Heim statt Haft

Nordrhein-Westfalens Justizministerin will, dass weniger Jugendliche in Untersuchungshaft sitzen. Das steht eigentlich schon im Gesetz. Doch die Praxis sieht ganz anders aus.

Will Jugendlichen aus dem Knast heraushalten: NRW-Justizministerin Müller-Piepenkötter. Bild: dpa

BOCHUM taz Die nach den Folterskandalen in den Gefängnissen von Siegburg und Gelsenkirchen angeschlagene nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) arbeitet an einem neuen Image. In der nachrichtenarmen Zeit nach Ostern hat sie ein neues Konzept vorgestellt, nach dem straffällig gewordene Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren künftig verstärkt in Erziehungsheimen betreut werden sollen, statt wie bisher direkt in Untersuchungshaft zu wandern. Dabei sieht das Jugendgerichtsgesetz das Prinzip Heim statt Haft schon seit Jahren vor: "Untersuchungshaft gegenüber Jugendlichen darf eigentlich nur als Ausnahme angeordnet und vollstreckt werden", muss Müller-Piepenkötter selbst einräumen.

Die Praxis aber sieht anders aus: Allein im Jahr 2008 wanderten 493 Jugendliche in Untersuchungshaft, nur 26 wurden mit pädagogischer Betreuung in Heimen untergebracht - dabei warnt selbst Müller-Piepenkötters Parteifreund, NRW-Familienminister Armin Laschet, mit "schulischer und beruflicher Förderung" müssten straffällige Jugendliche unter 18 "noch eine faire Chance bekommen und nicht gleich gesellschaftlich abgeschrieben" werden. Entsprechende Heimplätze aber fehlen: In Nordrhein-Westfalen mit seinen rund 18 Millionen Einwohnern stehen gerade einmal 19 Plätze zur Verfügung. Fast flehend bitten Müller-Piepenkötter und Laschet deshalb freie Träger der Jugendarbeit, als "neue Anbieter" doch weitere Heimplätze zu schaffen.

In ausreichender Zahl aber werden die auch künftig nicht entstehen. Nach taz-Recherchen plant bisher allein die Evangelische Jugendhilfe, die als einer von landesweit zwei Anbietern in Herne und Iserlohn die Heimunterbringung für jeweils sechs straffällige Jugendliche anbietet, einen Ausbau ihrer Kapazitäten: Im Rheinland soll in der Region Mettmann ein neues Heim mit sechs weiteren Plätzen eingerichtet werden. Der Grund für die knappen Kapazitäten: Die Betreuung der Jugendlichen ist teuer. Die Justizministerin fordert "Intensivpädagogik", ein "abgestuftes Konzept freiheitsbeschränkender Maßnahmen" und eine 24-Stunden-Bereitschaft zur Aufnahme der 14- bis 18-Jährigen. Zahlen will sie allerdings nur 200 bis 250 Euro am Tag. "Mit 250 Euro am Tag kommen wir wohl hin", sagt selbst Carsten Schmidt, Erziehungsleiter der Evangelischen Jugendhilfe, der mit dem Justizministerium zusammenarbeitet, zurückhaltend. Die Ministerin hält ihr Angebot für großzügig: "Die hohen Kosten sind es uns Euro für Euro wert, wenn wir dadurch junge Menschen von einer kriminellen Karriere abhalten können" - der Kontakt mit anderen Straftätern in den Gefängnissen gilt als Hauptgrund für Rückfälle jugendlicher Straftäter.

Müller-Piepenkötter reagiere halbherzig und viel zu spät, kritisiert deshalb die Opposition im Düsseldorfer Landtag. "Müller-Piepenkötter hätte längst dafür sorgen müssen, dass mehr Jugendliche in Heimen betreut werden, statt in Untersuchungshaft zu sitzen", sagt die grüne Innenpolitikerin Monika Düker.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.