Halberstadt ein Jahr nach dem Überfall: Polizei zum Hinschauen zwingen

In Halberstadt erinnern Initiativen an den Überfall auf Schauspieler vor einem Jahr. Bürger fühlen sich von der Polizei nicht vor Neonazis geschützt.

Nur einer der vier mutmaßlichen Täter wurde verurteilt: Tatort in Halberstadt Bild: dpa

Ein Fest gegen Gewalt - auf dem Platz am Kulturhaus nahe des Nordharzer Städtebundtheaters in Halberstadt, wo vor einem Jahr Schauspieler brutal zusammengeschlagen wurden, gab es am Montagabend Musik und eine Performance.

Eine Menschengruppe wurde symbolisch immer enger von einem Seil eingeschnürt. Akteure deklamierten Berichte von Überfällen und zitierten aus dem Ende Mai beendeten Prozess gegen vier mutmaßliche Täter, von denen nur einer verurteilt wurde. Darunter eine Äußerung des Richters, wonach ein rechtsextremistischer Hintergrund des Überfalls nicht unmittelbar erkennbar sei.

Mehrere der Ensemblemitglieder, die hier nach einer Premierenfeier am 9. Juni des Vorjahres angegriffen und teils schwer verletzt wurden, waren gekommen. Darunter die Sängerin Marie, die mit ihrem couragierten Auftreten in jener Nacht die jugendlichen Neonazis zunächst verblüffen konnte. Während der Diskussion im Theater, die dem Fest vorausging, überraschte sie mit dem Versuch, hinter den aggressiven Fassaden Menschen mit ihren Schicksalswegen zu entdecken. "Warum kümmern wir uns nicht auch um Rechte?", fragte sie. Woraufhin ihr Hajo Funke, Soziologe an der Freien Universität Berlin, beisprang und auf Problemmilieus verwies: "Unter der Nazi-Panzerung gibt es den Wunsch nach einem vernünftigen sozialen Leben."

Im Mittelpunkt dieser Diskussion aber stand der Prozess. Zur Freude der Veranstalter vom Theater, dem Bürgerbündnis für ein gewaltfreies Halberstadt und der Mobilen Opferberatung waren etwa 150 Bürger gekommen. Sie diskutierten leidenschaftlich und auf hohem Niveau. Die meisten im Saal setzten voraus, dass die drei Mitangeklagten und weitere nicht ermittelte Beteiligte Neonazis und Mittäter waren, denen nur nichts nachgewiesen werden konnte, weil die Polizei "chaotisch" arbeitete, wie die Polizeidirektion später selbst einräumte. Opferanwältin Undine Weyers stellte klar, dass das Gericht angesichts der dürftigen Beweislage keine andere Wahl als einen Freispruch hatte.

Also entludt sich viel Frust gegen die Polizei in Halberstadt. Es habe sich nicht viel gebessert in den vergangenen Jahren, so der Tenor. Das Vertrauen auf Schutz im Ernstfall aber ist dahin, Unsicherheit beim abendlichen Gang auf die Straße latent. Nicht nur die Opfer des Überfalls fühlen sich wegen der Äußerungen mancher Beamter und wegen der Vernehmungsmethoden als Täter. Schließlich wurde schon ihr bloßes Aussehen als Gewaltprovokation gewertet. Ob die Stadtverwaltung nach dem teilweisen Eingeständnis eines rechtsextremen Problems durch Oberbürgermeister Andreas Henke mehr Rückhalt verschafft, bleibt umstritten. Es gibt weiterhin das Wegschauen der Normalbürger, aber es gibt inzwischen auch einen Präventionsrat, ein geschärftes öffentliches Bewusstsein und eine stärkere Solidarisierung demokratischer Bürgerkräfte. Und es gibt das linke soziokulturelle Zentrum Zora, für das auf dem Podium eifrig geworben wurde.

Wenige Stunden vor dem Halberstädter Gedenken suchten am Montag in Magdeburg die Bündnisgrünen nach Auswegen aus der Polizeimisere. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann hatte im März angekündigt, beim Landespräventionsrat eine Polizeibeschwerdestelle einzurichten. Hier könnten Fälle allzu nachlässigen Umgangs mit rechter Gewalt angeprangert werden. Grüne Bundestagsabgeordnete wie Wolfgang Wieland begrüßten dies grundsätzlich und sehen in ihr sogar ein Modell für die gesamte Bundesrepublik. Al Hutchinson, seit 2001 Polizei-Ombudsmann für Nordirland, berichtete von guten Erfahrungen und größerer Zufriedenheit der Bürger.

Doch es gab auch Kritik: In dieser Form habe die Beschwerdestelle keine Befugnisse und Akteneinsichtsrechte, sagte Frank Hüttemann, Ministerialrat im Landesjustizministerium. Nur ein Gesetz könne die Dienstaufsicht ändern. Heike Kleffner von der Mobilen Opferberatung und der grüne Landesvorsitzende Christoph Erdmenger stimmten dem im Prinzip zu. Roman Ronneberg vom Verein Miteinander sprach von einem "Schaufenstergremium ohne Wirkung".

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.