Skepsis gegenüber Koordinierungsrat: Radikaler will für Muslime sprechen

Seit einem Jahr gibt es den Koordinierungsrat der Muslime - viel erreicht hat er nicht. Das wird sich kaum ändern, wenn jetzt ein Milli-Görüs-Mann den Rat nach außen vertritt.

Neuer Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime: Ali Kizilkaya (1. von links). Bild: dpa

Auf den ersten Blick ist Ali Kizilkaya das, was sich viele hierzulande als Beispiel gelungener Integration vorstellen. Der 45 Jahre alte Politikwissenschaftler, der 1972 nach Deutschland kam, spricht gut Deutsch, bekennt sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und nennt Deutschland seine Heimat. Antisemitismus sei unvereinbar mit dem Islam, sagt er in Interviews, Gewalt lehnt er ab. Wird der gläubige Muslim zum Kopftuch befragt, antwortet er, es sei ein religiöses Gebot, Frauen aber hätten die Freiheit, es nicht zu tragen.

Dennoch gibt es Vorbehalte gegen den Mann, der am heutigen Dienstag Sprecher des Koordinierungsrates der Muslime (KRM) wird, zu dem sich die vier großen muslimischen Dachverbände vor einem Jahr zusammengeschlossen haben. Denn Kizilkaya ist Vorsitzender des Islamrats und Mitglied der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, die im Islamrat das Sagen hat. Milli Görüs wird im Verfassungsschutzbericht als islamistisch eingestuft; Kizilkaya war einst ihr Generalsekretär.

Damit bestärkt Kizilkayas Sprecherrolle eine ohnehin vorhandene Skepsis, die liberale Muslime und Politiker jeder Coleur dem KRM entgegenbringen. Denn dieser vertritt, wie Lale Akgün, Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, es nennt, einen "streng orthodoxen Islam" - und nach Schätzungen lediglich 15 Prozent der hiesigen Muslime. Der KRM aber will, so steht es in seiner Geschäftsordnung, für alle Muslime hierzulande sprechen. "Das religiöse Leben der Muslime findet in den Moscheen statt", argumentiert Kizilkaya. "Und wir vertreten 80 bis 85 Prozent der Moscheegemeinden."

"Ich verbitte mir, dass Herr Kizilkaya für mich spricht", sagt Akgün. "Der KRM kann nur einen Teil der Muslime vertreten - und zwar den eher orthodoxen", meint auch Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Bedenken haben die Kritiker auch, weil es sich bei einigen der Mitgliedsorganisationen der vier Dachverbände nicht allein um religiöse, sondern auch um politische Organisationen handelt - und das gilt nicht nur für Milli Görüs.

Im Zentralrat der Muslime, der insgesamt ein relativ breites Spektrum vertritt, ist die Islamische Gemeinde in Deutschland tonangebend. Sie ist laut Bundesamt für Verfassungsschutz die mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der islamistischen Muslimbruderschaft in Deutschland. Der Verband der islamischen Kulturzentren, das dritte KRM-Mitglied, "ist eine antisäkulare Koranschulbewegung, mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugenderziehung", wie es die Islamismusexpertin Claudia Dantschke beschreibt. "Über die Inhalte ist kaum etwas bekannt."

Bleibt der vierte und größte Dachverband, die Türkische Union der Anstalt für Religion (Ditib). Aufgrund ihrer Nähe zum türkischen Staat galt sie bislang als Garant für ein säkulares, moderates Islamverständnis. Lange Zeit blieb Ditib auf Distanz zu den Organisationen, mit denen sie jetzt den KRM bildet. Doch mit der AKP-Regierung hat sich die Politik in Ankara geändert - und das dürfte auch Auswirkungen auf Ditib haben. Ohne ein Okay aus Ankara hätte es den Koordinierungsrat wohl nicht gegeben. Den anderen Dachverbänden lieferte sich Ditib aber dennoch nicht aus: Als Einzige hat sie ein Vetorecht im Koordinierungsrat. "Trotzdem verstehe ich das nicht", sagt Kenan Kolat, der Chef der Türkischen Gemeinde. "Ditib wäre unser Ansprechpartner, wäre sie nicht im KRM."

Im vergangenen halben Jahr hat der Ditib-Dialogbeaufragte Bekir Alboga - anders als sein Vorgänger vom Zentralrat - als Sprecher den Koordinierungsrat gut verkauft. Der eloquente Alboga war gerngesehener Interviewpartner und Talkshowgast. "Wir können jetzt auf gleicher Augenhöhe mit der Politik das Gespräch führen", sagt Alboga und betont, dass er auf der Islamkonferenz des Bundesinnenministers als erster Muslim sprechen durfte. Damit, sagt Alboga, habe der KRM bereits viel erreicht. Doch die Gründung von Landesverbänden, dem nächsten Etappenziel, hat der Koordinierungsrat in Albogas Sprecherzeit nicht geschafft. Und von dem eigentlichen Ziel ist er weit entfernt: Der Anerkennung als Religionsgemeinschaften in den einzelnen Bundesländern, die islamischen Religionsunterricht erteilen dürften - oder gar Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Und die Aussichten dafür sind nicht gut. Zwar hat Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor nicht allzu langer Zeit die Bildung eines Dachverbands der Muslime angeregt, damit der Staat beim Islamunterricht einen Ansprechpartner hat. Inzwischen aber geht er zum KRM auf Distanz. "Die Regierung hat zu keinem Zeitpunkt einen Zusammenschluss der muslimischen Verbände gefordert", ließ er vergangenes Jahr seine Sprecherin verkünden. Auch das Zwischenergebnis von Schäubles Islamkonferenz, das im Innenministerium formuliert wurde, schließt zwar die Anerkennung von Dachverbänden als Religionsgemeinschaften nicht aus. Die Bedingungen aber sind so formuliert, dass die vier Verbände des KRM kaum infrage kommen.

Kizilkaya ficht das nicht an. Er sieht den KRM "als Vorläufer für eine gemeinsame Religionsgemeinschaft", die dann auch islamischen Religionsunterricht anbieten soll. "Wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind", sagte Kizilkaya der taz, "dann kann sich der Staat seine Partner nicht aussuchen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.