Die Zukunft der Rente: Rezepte gegen Altersarmut

Für eine Rente auf Sozialhilfeniveau muss ein Durchschnittsverdiener 27 Jahre lang einzahlen. Was tun gegen Altersarmut? Vier Szenarien für das Rentensystem der Zukunft.

"Dreist aussitzen" ist ein mögliches Szenario, wie die Politik das Problem Altersarmut angeht. Bild: dpa

Die CDU-Parteispitze greift nicht nur ein trendiges Sozialthema auf, wenn sie sich heute in Sachen Rente verständigen will. Die Frage, ob heutige Einzahler im Alter noch abgesichert sind, bewegt längst Angehörige aller Generationen.

Das Problem: Erst kürzlich hat die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linkspartei bestätigt, dass ein Durchschnittsverdiener im Westen - also mit einem Monatsgehalt von heute rund 2.450 Euro brutto - 27 Jahre in die Rente eingezahlt haben muss, um im Alter auf ein Niveau der Grundsicherung von 627 Euro netto pro Monat zu kommen.

Wer demnach den geforderten Mindestlohn von 7,50 brutto pro Stunde verdient, müsste 51 Jahre Beiträge zahlen, nur um auf eine Rente auf Sozialhilfeniveau zu kommen.

Dies sind beunruhigende Zahlen, aber es kommt noch schlimmer. Denn für Leute, die nach dem Jahre 2030 in Ruhestand gehen, liegt das Nettorentenniveau laut Sachverständigenrat noch einmal um ein Sechstel niedriger als heute. Zudem steigt das Renteneintrittsalter ab 2011 sukzessive auf 67 Jahre. Wer dann früher in den Ruhestand geht, muss weitere Abschläge hinnehmen. Es ist also keine Hysterie, wenn man sich mit Altersarmut beschäftigt.

Was also muss künftig passieren? Das hängt vom politischen Willen ab. Es sind mindestens vier Szenarien denkbar.

1. Szenario: "Dreist aussitzen"

Diese Variante ist die zynischste, wird aber leider von Teilen der CDU und der SPD favorisiert. Der Trick: Die Grundsicherung im Alter, also die Sozialhilfe, ist wie Hartz IV per Gesetz an die Entwicklung des Rentenwerts gekoppelt. Sinkt künftig also die Kaufkraft der RentnerInnen weiter, nimmt praktischerweise auch die Sozialhilfe ab.

Die Konsequenz hat die Bundesregierung bereits in einer Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei formuliert: Es könne gar "nicht verlässlich vorhergesagt" werden, ob "künftig mehr alte Menschen als heute" auf die staatlich finanzierte Sozialhilfe angewiesen sind. Ist alles nur eine Frage der Relationen. So kann man Armutsprobleme natürlich auch lösen. Nur wird bei dieser Rechnung übersehen, dass die Sozialhilfe eigentlich dazu gedacht ist, das Existenzminimum abzusichern. Und das sollte nicht an Rentenformeln hängen.

2. Szenario: "Flickschusterei"

Die Grundidee dieser Variante besteht darin, Kleinrenten aus Steuergeldern automatisch aufzustocken, sodass sie über dem Niveau der Sozialhilfe liegen. Vor allem Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat sich dafür ausgesprochen - allerdings sollen von dieser Aufstockung nur Vollzeiterwerbstätige profitieren, die mindestens 35 Jahre lang Beiträge entrichtet haben. "Wer lange eingezahlt hat, muss mehr Rente bekommen als nur die Grundsicherung", sagt Rüttgers.

Dabei bezieht er sich auf einen CDU-Parteitagsbeschluss von 2003, der für langjährige Beitragszahler eine Mindestrente vorsieht, die um 15 Prozent oder 100 Euro über der Grundsicherung liegt. Der CDU-Parteitag forderte damals allerdings auch das Anrechnen von Vermögen, Rüttgers hingegen will die Sparbücher nicht berücksichtigen.

Diese Idee der Aufstockung führt nicht nur zu dem Problem, woher das Geld kommen soll. Zudem stellt sich die Frage, ob damit nicht RentnerInnen benachteiligt werden, deren Ruhegeld auch nicht üppig ist, aber immerhin ein wenig über Sozialhilfeniveau liegt, und die dann keinerlei Subventionen erhielten. Auch Frauen, die meist nicht 35 Jahre einzahlen, gingen leer aus. Erben, die selbst nur wenig verdient haben, bekämen hingegen die Aufstockung, wenn ihr Vermögen nicht angerechnet wird.

Wegweisend ist allerdings der Vorschlag des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Rüttgers, der künftig auch Selbstständige in die staatlichen Rentenkassen einbeziehen will, sofern sie nicht ausreichend privat abgesichert sind. Damit ließe sich das Problem angehen, dass viele geringverdienende Selbstständige heute im Alter keinerlei Ruhegelder bekommen, sondern zum Sozialhilfefall werden. Es wäre nicht mehr attraktiv, sich als Selbstständiger den Rentenkassen zu entziehen.

3. Szenario: "Klauen von anderen"

Andere Länder sind längst viel weiter. Die Schweiz etwa. Das Land verfügt über ein einzigartiges Umverteilungssystem. Dort zahlt jeder Erwerbstätige, egal ob angestellt oder selbstständig, rund 10 Prozent in die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und in die Invalidenkasse. Bei Angestellten entrichten diese und ihre Arbeitgeber jeweils die Hälfte dieses Beitrages. Verdient jemand 2 Millionen Euro im Jahr, werden also satte 200.000 Euro fällig.

Denn trotz der ungedeckelten Beiträge ist die Rente klar begrenzt: Maximal 2.210 Franken, also rund 1.370 Euro im Monat, bekommen die Schweizer Ruheständler. Spitzenverdiener zahlen somit für die ärmeren Rentner. Es stimmt optimistisch, dass diese gigantische Umverteilung offenbar mehrheitlich akzeptiert werden kann.

Ein anderes Land: Das schwedische System gar könnte "ein geeignetes Vorbild für eine umfassende Rentenreform in Deutschland sein", sagt etwa der Sozialexperte der grünen Bundestagsfraktion, Wolfgang Strengmann-Kuhn. In Schweden muss jeder Erwerbstätige einen prozentualen Beitrag in die umlagenfinanzierte Rentenkasse einzahlen und außerdem noch einen Vertrag über eine private Zusatzrente abschließen. Wer dann trotzdem noch unter ein gewisses Rentenniveau sinkt, erhält eine staatlich finanzierte Garantierente. Sie liegt für Singles bei mindestens 7.277 Kronen im Monat, also bei rund 800 Euro. Vermögen wird nicht angerechnet, anders als dies bei der deutschen Sozialhilfe der Fall ist.

Die Aufstockung durch die Garantierente ist degressiv gestaltet - auch RentnerInnen mit etwas höheren Ansprüchen bekommen noch eine kleine Aufstockung. Eine als peinlich empfundene Bedürftigkeitsprüfung entfällt. Der stigmatisierende Unterschied zwischen Renten und Grundsicherung würde damit verschwinden - ein interessantes Vorbild auch für Deutschland.

4. Szenario: "Die demografische Katastrophe gibt es nicht"

Wer in Deutschland über die Rente nachdenken oder gar Modelle aus anderen Ländern übernehmen will, der wird sehr schnell mit der Behauptung konfrontiert, dass sowieso eine "demografische Katastrophe" drohe. Eine Lesart, die als angeblicher Sachzwang verbreitet wird, lautet gar, wir könnten uns die älteren Generationen bald überhaupt nicht mehr leisten. Dieses Schreckensszenario basiert auf der immer gleichen Zahl: Im Jahr 2050 werde ein einzelner Erwerbstätiger einen Rentner finanzieren müssen. Stimmt.

Aber was ist daran neu? Auch jetzt unterhält ein Erwerbstätiger mindestens einen Nichterwerbstätigen. 82,3 Millionen Menschen leben momentan in der Bundesrepublik, doch nur etwas weniger als die Hälfte, nämlich rund 40 Millionen, arbeiten - als Selbstständige, Beamte oder Angestellte. Der große Rest nimmt nicht an der gesellschaftlichen Veranstaltung teil, die sich "Arbeitsmarkt" nennt. Zu ihm gehören unter anderen Kinder, Rentner, Studenten, Hausfrauen und Arbeitslose. In dieser Gruppe kommt es bis 2050 zu drastischen Verschiebungen: Die Zahl der Rentner wird steigen, dafür wird es kaum noch Arbeitslose und weniger Hausfrauen geben. Aber wer wollte und sollte sich denn darüber ernsthaft aufregen?

Zudem wird bei der Angstkulisse namens "demografische Katastrophe" gern vergessen, dass die deutsche Gesellschaft in Zukunft weitaus reicher sein dürfte. Prognos hat es 2003 für die Rürup-Kommission ausgerechnet: Bei einem jährlichen Wachstum von 1,7 Prozent würde die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung von 24.100 Euro auf real 39.400 Euro im Jahre 2030 steigen.

Die angebliche "demografische Katastrophe" kaschiert ein Verteilungsproblem: Zwar nimmt das volkswirtschaftliche Pro-Kopf-Einkommen weiter stark zu, aber das bedeutet eben noch lange nicht, dass jeder real existierende Kopf gleichermaßen davon profitiert. Vom Wachstum hat am meisten, wer Kapital besitzt, ob dies nun Aktien, Geldvermögen oder Immobilien sind. Doch gerade diese Eigentümer werden bisher nicht dazu herangezogen, die wachsende Rentnerschar zu finanzieren. Eine Alternative wäre die "Bürgerversicherung". Dazu aber wäre es nötig, sich von einer lieb gewonnen Idee zu verabschieden: dass wer viel einzahlt, auch automatisch viel rausbekommt. Schwierig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.