Suche nach der Heimat der CDU: Sehnsucht nach Gefühl

Am Sonntag möchte Angela Merkel als Kanzlerin wiedergewählt werden. In der CDU ist sie immer noch nicht zu Hause. Woran liegt das?

Wo ist sie, die Heimat der CDU? Bild: dpa

Es ist nicht so, dass sich Adenauer und Merkel selten treffen. Das ergibt sich schon aus ihren Jobs. Patrick Adenauer, 48 Jahre und als Enkel des ersten Bundeskanzlers in die CDU hineingeboren, steht der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer vor. Angela Merkel, 55 Jahre und erst seit knapp zwei Jahrzehnten mit der CDU vertraut, ist Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin.

"Ich habe im Winter viel mit ihr gesprochen", sagt Adenauer im neuen Büro seiner Baufirma mit Blick über die Dächer Kölns, "vor Kurzem bei einem Abendessen im Kanzleramt mit einer Reihe von Familienunternehmern." Merkel sehe den Großvater "ein Stück weit als Vorbild", freut sich der Enkel.

Für den Lobbyisten der Familienunternehmer ist das manchmal ein Problem. Mehrfach schon stellte er die Kanzlerin zur Rede wegen der Garantie, die sie im Frühjahr den deutschen Rentnern gab. "Ein Fehler", sagt Adenauer. "Was hat denn Ihr Großvater gemacht?", fragt Merkel dann zurück. Richtig: Im Bundestagswahlkampf 1957 führte er die dynamische Rente ein. Die Altersbezüge erhöhten sich auf einen Schlag um durchschnittlich 60 Prozent, die Wähler dankten es mit dem besten CDU-Ergebnis der Geschichte. Und dem Enkel sind schon 0 Prozent zu viel?

Merkel wärme nicht das Herz ihrer Partei, finden Christdemokraten, schreiben Journalisten. Sie sei nicht konservativ genug. Zu wenig wirtschaftsfreundlich. Noch immer nicht wirklich angekommen in dieser CDU. Ein Zweckbündnis auf Zeit. Solange Merkel den Machterhalt garantiert, ist sie gelitten. Fährt sie am Sonntag ein mäßiges Wahlergebnis ein, ist es damit vorbei.

Aber wo ist sie dann, die Heimat der CDU?

Anderthalb Stunden sind es mit der Bahn von Köln nach Ahlen. Von der schicken neuen Zentrale, die Patrick Adenauer mit seiner Immobilienfirma Bauwens gerade bezogen hat, in die Arbeiterstadt am Nordostrand des Ruhrgebiets. Von Konrad Adenauers rheinischer Heimat an den Ort, an dem der spätere Bundeskanzler 1947 CDU-Programmgeschichte schrieb.

Am katholischen Gymnasium Sankt Michael herrscht Umbauchaos. Der rückwärtige Trakt, in dem Adenauer damals schlief, wird demnächst abgerissen. Derzeit dient er noch als Abstellraum für Putzmittel. Das sorgsam gerahmte Ahlener Programm, das die CDU der britischen Zone seinerzeit beschloss, wurde für die Renovierung abgehängt.

Auch die CDU weiß heute nicht mehr, wohin mit ihrem Ahlener Programm. Lange galt es als kurioser Irrweg der Parteigeschichte, verständlich nur aus der Befindlichkeit des Hungerwinters 1946/47. "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden", heißt es darin, "Ziel aller Wirtschaft ist die Bedarfsdeckung des Volkes."

Im Konkreten spricht sich das Programm dann aber doch für "wirtschaftliche Freiheit" und gegen den "getarnten Staatssozialismus" der Nazis aus. Es liest sich ein bisschen wie Merkels Wahlkampfreden, in denen sie auf Banker schimpft und gleichzeitig Steuersenkungen in Aussicht stellt. Die Kanzlerin scheint die Methoden ihres Vorgängers tatsächlich gut studiert zu haben. Seit der Krise hat die CDU das Kapitel Ahlen in der Parteigeschichte wieder hübsch herausgeputzt.

Im Rathaus von Ahlen amtiert seit zehn Jahren Benedikt Ruhmöller als Chef, der erste CDU-Bürgermeister nach langen Jahren der SPD-Dominanz. Vor drei Wochen wurde der heute 49-Jährige zum zweiten Mal wiedergewählt. Das Rathaus ist eine zu Beton geronnene Utopie aus den sozialdemokratischen 1970er-Jahren. Man verläuft sich zwischen hängenden Gärten, asymmetrischen Foyers und verborgenen Treppenhäusern. Der Grundriss kennt keine rechten Winkel, und das Büro des Bürgermeisters liegt ganz demokratisch irgendwo dazwischen.

Als Moderator, nicht als Alleinherrscher präsentiert sich auch der Christdemokrat, den die Kommunalwahl 1999 in ein rotes Rathaus spülte. "Ich bin ein Pragmatiker in der Kommunalpolitik", wehrt Ruhmöller Fragen nach Programmgeschichte und Flügelstreit ab.

Gerade hat er das örtliche Gymnasium und die Realschule zu Ganztagsschulen erklärt, im Einvernehmen mit den Stadträten der SPD. "Es gibt sehr konservative Orte im Münsterland, die haben längst eine Gesamtschule eingerichtet", sagt er anerkennend. Über Ideologie könne man gern in Land und Bund streiten. "Wir setzen einfach die Politik um, die von der Zeit geboten wird", sagt er. "Das kann man als progressiv verschreien, aber das ist albern. Es ist einfach ein Gebot der Stunde."

Auf die Frage, was die CDU unter solchen Bedingungen eigentlich von anderen Parteien unterscheidet, schweigt er lange. Dann spricht er über Bildungspolitik, Integrationsarbeit, Modellprojekte in der Altenhilfe. Er lobt die beiden NRW-Minister Karl-Josef Laumann, den Vormann des CDU-Sozialflügels, und Armin Laschet, den bundesweit ersten Integrationsminister. Über höhere Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger müsse man nachdenken, wegen der Krise. Die Rente mit 67 sei dagegen unausweichlich, wegen der demografischen Entwicklung.

An der Basis

"Natürlich" sei es das Ziel der CDU, im Bund mit der FDP zu regieren. Aus dem Mund des Mannes, der seine eigenen Mehrheiten mit der SPD organisiert, klingt das ein bisschen pflichtschuldig. "Es ist auch keine Katastrophe, wenn es bei einer schwarz-roten Regierung bleibt", schiebt Ruhmöller gleich hinterher. "Ganz schlecht war sie nicht. Wir sind nach wie vor in einer Situation, in der wir die Kräfte bündeln müssen."

Drei Tage später, knapp fünfhundert Kilometer nordöstlich. Henryk Wichmann rollt mit seinem Wahlkampfmobil auf den Marktplatz von Zehdenick. Zeitgleich mit dem Bundestag wird am Sonntag in Brandenburg auch der Landtag gewählt. Der 32-Jährige bewirbt sich um das Direktmandat im Wahlkreis Templin-Zehdenick. Dem Wahlkreis, in dem Angela Merkel zu Hause ist.

Die Heimat der CDU? Wichmann ist kaum zu stoppen. Templin natürlich. "Das ist schließlich der Heimatort der Bundeskanzlerin, ihre Eltern leben noch heute dort. Vorige Woche saß ich mit ihrer Mutter im Café zusammen. Aus der SPD ist sie ja inzwischen ausgetreten. Sie fand das gut, was ich vorgetragen habe. Angela Merkel hat gezeigt, dass sich auch die Westdeutschen an eine ostdeutsche Kanzlerin gewöhnen können - mit ihrem ganz neuen Stil, sehr nüchtern, sehr protestantisch vielleicht auch."

Der Jungpolitiker ist vor sieben Jahren bundesweit bekannt geworden, als "Herr Wichmann von der CDU". So hieß der Dokumentarfilm, den der Regisseur Andreas Dresen damals über Wichmanns aussichtslosen Versuch drehte, dem prominenten SPD-Politiker Markus Meckel das örtliche Bundestagsmandat abzunehmen. Es war ein Film über die Vergeblichkeit politischer Basisarbeit in der Provinz.

Den Wahlkreis wird Wichmann auch diesmal nicht gewinnen. Aber er hat einen aussichtsreichen, wenn auch nicht sicheren Platz auf der Landesliste. Er ist inzwischen um einige Erfahrungen reicher, hat sein Berliner Jurastudium abgeschlossen und ist seit fast drei Jahren Fraktionsvorsitzender in der Uckermark, dem größten Flächenkreis der Republik. Auch er arbeitet im Kreistag eng mit der SPD zusammen, hofft, dass die CDU auch im Land weiterhin mit dem SPD-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck regiert.

Wichmann ist ein Konservativer, "sozial-konservativ", wie er sagt. Von "materieller Verwahrlosung" redet er und von den "geistig-moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft", die nicht mehr stimmten. Politik für Familien steht im Zentrum seines Wahlkampfs, auf seinen Plakaten zeigt er sich mit Frau und drei Kindern im Garten zu Hause in Lychen.

Das prägt auch seinen Blick aufs Soziale. Er findet, "dass sich für einen Großteil der Mittelschicht Arbeit nicht mehr auszahlt". Eine fünfköpfige Hartz-IV-Familie bekomme 2.000 Euro pro Monat, er selbst müsse als Rechtsreferendar Frau und Kinder von 1.200 Euro netto ernähren. Deshalb müsse man den Druck auf Jüngere erhöhen, die Leistungen für Ältere dagegen ausweiten. Da unterstützt er sogar die Forderung der Linkspartei, für jedes Jahr im Job das Arbeitslosengeld um einen Monat zu verlängern.

Weit entfernt sind solche Ideen von der Welt des Kölner Unternehmers Patrick Adenauer. Anders als seine Parteifreunde in Ahlen oder Zehdenick hält er die Agendapolitik Gerhard Schröders immer noch für richtig. Dass der Sozialdemokrat den Bundestag vorzeitig auflöste und einen Wahlkampf gegen die eigene Reformpolitik führte, empfindet er aus Unternehmersicht als fatal für die Sozialdebatte in Deutschland. Merkel wisse, was zu tun sei, setze sich aber nicht emotional genug für ihre Ideen ein. "Schröder hatte diese Fähigkeit, die Leute am Herzen zu packen und sie auf eine schwierige Situation einzustimmen", sagt er. "Er hatte damals, was Merkel nicht hat."

BENEDIKT ROHMÜLLER, CDU NRW

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