Generation 50plus bekämpft rechte User: Silver Surfer gegen Internet-Nazis

Ältere Menschen werden von der Amadeu-Antonio-Stiftung dazu ausgebildet, gegen rechtsextreme Polemik im Internet anzuschreiben. Helfen soll ihnen ihre Lebenserfahrung.

Abtauchen ins Netz. Die Silver Surfer wollen den Rechten zeigen, wer der rhetorisch Stärkere ist. Bild: reuters

Michael S.* hat sehr persönliche Gründe, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Seine Eltern waren beide Ärzte – und beide „hervorragend in das NS–Regime integriert“. Der Vater war im Reichsärztebund, die Mutter als Gynäkologin aktiv an der Verdrängung jüdischer Ärzte aus ihrer Klinik beteiligt. Beide haben nie über ihre Aktivitäten während der Nazizeit gesprochen. „Da war nie eine Debatte über die Vergangenheit möglich“, bedauert S. Trotz der nach außen gelebten Freundlichkeit empfand er die Atmosphäre in seiner Familie als „ungeheuer gewalttätig und aggressiv“.

Schon als Gymnasiast in Reutlingen hat er 1968 gegen das Verschweigen der Naziverbrechen rebelliert, heute ist es die sogenannte Neue Rechte, die ihm Sorgen macht. Die relative Anonymität des Internets nutzen sie, um „Diskurse in Foren, Chats oder auf den Pinnwänden sozialer Netzwerke an sich zu reißen, Themen zu verschieben und Andersdenkende zu verdrängen“, wie Simone Rafael, Chefredakteurin von Netz-gegen-Nazis erklärt. Und auch Michel hat festgestellt: „Mit den Neuen Medien sind die richtig fit.“

Seit drei Wochen diskutiert er deshalb auch online in verschiedenen Foren und Netzwerken mit Jugendlichen, Rechtsextremen und Ratsuchenden. Als "Silver Surfer" ist S. nun sogar Moderator auf "Netz-gegen-Nazis" und muss gelegentlich auch mal einen Teilnehmer sperren.

Das Projekt dahinter heißt "Generation 50plus aktiv im Netz gegen Rechtsextremismus" und wurde von der Amadeu-Antonio-Stiftung und dem Netz-gegen-Nazis ins Leben gerufen. Laut Henning Scherf, dem früheren Bremer Bürgermeister und Schirmherrn des Projekts, sind es gerade Erfahrungen wie die von Michael S, die ältere Menschen heute dazu befähigen, „rechtsextremen Sprücheklopfern ihre Grenzen aufzeigen und deren Parolen zu entlarven". Allerdings fehle der Generation 50plus oftmals der Zugang zu den jungen Menschen, deren Leben zunehmend auch im Internet stattfinde.

Michael S.* liest zwar schon seit Jahren verschiedene Zeitungen online oder bereitet sich durch Recherchen im Netz auf sein Engagement vor. „Aber in Foren mitzudiskutieren, da gab es bisher schon Berührungsängste“ gibt der 57-Jährige zu. Die Workshops der Initiative bauen diese Berührungsängste ab. An zwei Tagen werden den Teilnehmern die Unterschiede zwischen historischem Nationalsozialismus und Neuem Rechtsradikalismus erklärt. Daz gehören aber auch die Möglichkeiten des Web 2.0 oder die Aufgaben eines Web-Moderators. So sollen die "Silver Surfers" fit gemacht werden „den Parolen Rechtsextremer mit guten demokratischen Argumenten entgegenzutreten“, erklärt Henning Scherf.

Die Workshops zielen aber nicht nur darauf ab, die Teilnehmer auf eine Moderatorentätigkeit bei netz–gegen–nazis.de vorzubereiten, betont Joachim Wolf, der bei der Amadeu–Antonio–Stiftung für das Projekt verantwortlich ist: „Grundsätzlich sollen die Teilnehmer an unseren Workshops später auch an anderen Web 2.0.-Angeboten aktiv teilnehmen können“.

Die demokratischen Argumente bringt Michel S. bereits mit, denn so sehr seine Familienstruktur ihn geprägt hat, politisch geschult hat ihn erst die 68er Bewegung. In diesem engagierte er sich in der Anti-Springer-Kampagne, bald darauf zog er nach Berlin um an der FU Politik, Psychologie und Sozialpädagogik zu studieren

„Damals dachte ich, der Antisemitismus stirbt mit der Generation meiner Eltern aus, aber Pustekuchen – der ist noch immer virulent!“ Als er im Netz über die Aktion „Silver Surfers“ las, wollte er spontan mitmachen, Die "Wächterfunktion", die er als Moderator auf netz-gegen-nazis.de hat, traut er sich zu, weil er die Argumentationen der Neonazis kennt. „Die Gesellschaft ist immer bereit für den Gedanken der Ungleichwertigkeit“, sagt er. Die Chiffren der Nazis seien heute zwar oft nur schwer von denen der Linken zu unterscheiden, aber genau um diese feinen Differenzen geht es in den Workshops der Stiftung. In den meisten Fällen genüge aber als Argument gegen rechtsextreme Polemik das Herunterbrechen auf konkrete Situationen: „Die haben ja gar keinen Kontakt zu Ausländern, zu all denen, die sie verdammen“.

In der anonymeren Atmosphäre einen Chatrooms sei es laut Michel S. auch für ihn deutlich leichter, schlagfertig zu kontern als in einer face-to-face-Begegung mit Neonazis. Das sieht Carsten M.* genauso. Auch er war einer der ersten in den Workshops der Stiftung. Die Auseinandersetzung mit Neonazis kennt der 63-Jährige bereits durch seine Arbeit für die Linke in Neukölln. „Ich bin immer ganz begierig, wenn es darum geht, gegen die Rechten zu kontern“ erklärt er. Und auch wenn er sich im Umgang mit Web 2.0 „noch nicht ganz firm“ fühlt, schätzt er an den virtuellen Foren, dass er hier länger über seine Antwort nachdenken kann.

Auch bei ihm hat die intensive Auseinandersetzung mit neueren Formen des Rechtsradikalismus einen familiären Hintergrund. Sein Vater war überzeugtes Mitglied der Wehrmacht, in seiner Jugend stand Carsten M. selbst mal „am rechten Rand“. „Das sind so Jugendsünden“, sagt er. Mehr will er darüber nicht erzählen. Freunde und die Satirezeitschrift Pardon hätten ihn davon überzeugt, „dass das mit den Rechten so nicht weitergehen kann.“

Welche Erfahrungen Michel S., Carsten M und die anderen "Silver Surfers" bei ihren Engagement in den virtuellen Welten der jüngeren Generation machen werden, bleibt noch abzuwarten, denn noch etwas haben Carsten M. und Michel S. gemeinsam: sie hatten in den Wochen nach dem Workshop noch nicht viel Zeit, sich ihrer neuen, ehrenamtlichen Tätigkeit zu widmen.

Der Großteil ihres Engagements findet, zumindest noch, eben nicht in der virtuellen, sondern in der realen Welt statt.

* (Name geändert)

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