Vor der Kommunalwahl in NRW: SPD holt sich den Pott zurück

Mit einer Graswurzelstrategie greift die SPD im Ruhrgebiet an - und liegt in vielen Städten kurz vor der Kommunalwahl vorn. CDU-Landeschef Jürgen Rüttgers ist alarmiert.

Trotz vereinzelter treuer Mitglieder: die Zeiten, in denen die SPD im Ruhrgebiet bedingungslosen Rückhalt hatte, sind vorbei. Bild: dpa

DORTMUND taz | Für Franz Müntefering soll Wahlkampf in Dortmund ein Heimspiel sein. Die Arbeiterwohlfahrt hat den SPD-Bundesvorsitzenden zur 90-Jahr-Feier eingeladen - und dazu inszeniert der Wohlfahrtsverband in der Dortmunder Innenstadt eine wahre Leistungsschau. Dutzende Pavillons präsentieren die Angebote der AWO - von der Alten- und Behindertenbetreuung bis zu Rollstuhl- und Fahrradwerkstätten.

Dazwischen verteilen SPD-Mitglieder Postkarten mit Dortmunder Sehenswürdigkeiten. "Unser Dortmund - unser Zuhause" steht auf der Rückseite - neben Wahlwerbung für den SPD-Oberbürgermeisterkandidaten Ullrich Sierau. "Herzkammer der Sozialdemokratie" hat der langjährige SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Herbert Wehner Dortmund einmal genannt, und der vom ehemaligen SPD-Landtagsabgeordneten Bodo Champignon geführte AWO-Bezirk "Westliches Westfalen" macht auf den ersten Blick klar, welche Partei noch immer die dominierende Kraft in Dortmund ist: die SPD.

Denn bei den Kommunalwahlen am kommenden Sonntag könnte den Sozialdemokraten im Ruhrgebiet ein kleines Wunder gelingen: Nicht nur in Dortmund liegt die SPD nach der jüngsten, vom WDR in Auftrag gegebenen Infratest-Umfrage mit 36 Prozent vier Punkte vor den Christdemokraten. Im bisher CDU-regierten Essen führt SPD-Kandidat Reinhard Paß mit 38 Prozent knapp vor dem Christdemokraten Franz-Josef Britz. In Duisburg liegt mit dem CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland zwar wie üblich der Amtsinhaber vorn, doch in den Stadtrat könnten beide Parteien mit 38 Prozent einziehen. Und Bergbauhochburgen wie Bottrop, wo sich Steinmeier auf der Zeche Prosper schon vor Wochen für die Steinkohle starkgemacht hat, gelten sowieso als sicher für die SPD.

Wie selbstverständlich schüttelt Müntefering nun die Hände der AWO-Mitglieder und -Mitarbeiter, beschwört die gemeinsame Geschichte von AWO und SPD. Steinmeier redet vom emanzipatorischen Sozialstaat. "Wir helfen den Menschen auf, wir werden gebraucht", ruft der Kanzlerkandidat - und beschreibt mit diesem Wir-Gefühl die Strategie der Sozialdemokraten überall im Revier: Seht her, was die SPD über die AWO für euch tut, wie wir uns um Alte, Kranke, Schwache kümmern, will die Partei den Menschen klarmachen.

Nicht ungeschickt sei dieser "Rückgriff auf Graswurzelorganisationen wie die AWO" angesichts der Umfrageschwäche der SPD im Bund, analysiert Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. "Gerade bei Kommunalwahlen entscheiden Wähler extrem nutzenorientiert, wollen Verbesserungen im persönlichen Bereich sehen."

Dortmunds SPD-Kandidat Ullrich Sierau gibt sich trotzdem vorsichtig: "Wir kämpfen bis zum letzten Tag." Denn Sieraus Partei hat in ihrer einstigen Hochburg in den vergangenen zehn Jahren über die Hälfte ihrer einst 20.000 Mitglieder verloren, ist von einer Affäre um die Veruntreuung hoher Summen durch eine kokainsüchtige Angestellte aus dem Oberbürgermeisterbüro des sozialdemokratischen Amtsinhabers Gerhard Langemeyer ebenso gebeutelt wie durch einen geplatzten Bahnhofsneubau. Doch angesichts der guten Umfragewerte kann Sierau auf eine neue Geschlossenheit seiner Partei zählen: Als "glaubhaft" loben den Kandidaten selbst Genossen, die noch vor wenigen Monaten so klangen, als bereiteten sie ihren Übertritt zur Linkspartei vor. "Der Abstand zwischen CDU und SPD wird landesweit schrumpfen", sagt der Politikwissenschaftler Korte.

Selbst Jürgen Rüttgers, Landeschef der Christdemokraten, reagiert deshalb alarmiert: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident warnt seine Parteifreunde vor "Elementen der Unsicherheit" - und wärmt die uralte Rote-Socken-Kampagne seiner Partei wieder auf: Mit seiner Zustimmung zu rot-roten Bündnissen auf Landesebene habe SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier "die Katze aus dem Sack gelassen", schimpft Rüttgers: "Der rot-rote Freibrief von Steinmeier gilt auch für die Kommunalwahlen in NRW."

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