Koalitionsverhandlung Baden-Württemberg: Stresstest für Grün-Rot

Grüne und SPD haben im Wahlkampf einen Volksentscheid zu Stuttgart 21 angekündigt. Doch die Grünen würden gern darauf verzichten und das Projekt früher beerdigen.

Stuttgart 21 ist Chefsache: Winfried Kretschmann, der designierte Ministerpräsident der Grünen. Bild: dapd

STUTTGART taz | Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen und der SPD in Baden-Württemberg steht am Donnerstag das schwierigste Thema an: das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21. Eigentlich, so hatte es SPD-Landeschef Nils Schmid kürzlich gesagt, sei die Sache klar. "Wir müssen nach keiner Lösung mehr suchen", sagte er in einem Interview. Beide Parteien hätten im Wahlkampf einen Volksentscheid gefordert. "Daran sollten sich alle halten", sagte Schmid.

Die Grünen allerdings halten sich nicht mehr ganz so daran. Zudem sorgen neue Meldungen über hohe Risiken beim Großprojekt für Zündstoff. Schmid und der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärten das Thema deshalb zur Chefsache.

Der Regierungswechsel hat viel Bewegung in den Bahnhofsstreit gebracht. Erst am Dienstag ließ ein internes Dossier der Deutschen Bahn aufhorchen. In dem 130-seitigen Bericht, aus dem der Stern zitiert, werden 121 Risiken aufgelistet. Vieles davon entspricht genau dem, was die Stuttgart-21-Gegner schon seit langem befürchten. Dazu zählt beispielsweise die Gefahr eines unkontrollierbar aufquellenden Anhydrits im Stuttgarter Untergrund. Auch gebe es mehr Grundwasser als in den Modellrechnungen bisher angenommen, heißt es in dem Dossier.

Für 48 der 121 Risiken seien in dem Papier auch die möglichen Mehrkosten angegeben. Zusammen könnten sich diese auf etwa 1,26 Milliarden Euro belaufen, heißt es. Bislang werden die offiziellen Kosten für den Tiefbahnhof auf 4,1 Milliarden Euro beziffert. Die Gesamtkosten würden also auf gut 5,3 Milliarden Euro ansteigen und damit die von den Projektträgern vereinbarte Höchstgrenze von 4,5 Milliarden Euro übersteigen.

Grüne fürchten Volksentscheid

Derartige Meldungen stärken die Position der Grünen, die seit Langem gegen das Projekt kämpfen. Zwar haben auch sie vor der Landtagswahl einen Volksentscheid gefordert, allerdings müssten sie bei einer landesweiten Abstimmung fürchten, dass sich die Mehrheit für das Projekt ausspricht. Deshalb hoffen sie darauf, dass sich das Projekt aus Kostengründen von allein erledigt, und rücken allmählich von ihrer Forderung nach einem Volksentscheid ab.

Stattdessen basteln sie an einem Ausstiegsszenario, nach dem der alte Bahnhof renoviert werden soll. Zudem sollen neue Gleise durch das Neckartal und durch einen Tunnel auf eine geplante ICE-Neubaustrecke in Richtung Ulm führen. Entsprechende Äußerungen von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), die Trasse sei auch ohne den Stuttgarter Tiefbahnhof denkbar, bezeichnen Grüne als "sachdienlichen Hinweis".

SPD unter Zugzwang

Damit gerät die SPD unter Zugzwang und erhöht ihrerseits den Druck auf die Grünen. Denn von ihrer Haltung kann sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abrücken. "Wir Sozialdemokraten wollen das umsetzen, was wir im Wahlkampf versprochen haben: zuerst der Stresstest, dann die Volksabstimmung", sagte SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel der taz. Dass es bei den Grünen nun unterschiedliche Äußerungen gebe, sei "etwas schwierig für eine neue Regierungskoalition. Bei einer künftigen Regierung werden Äußerungen schließlich anders aufgenommen als bei einer Oppositionsfraktion", betonte Schmiedel.

Auch die SPD-Bundestagsfraktion erhöht den Druck. Den Volksentscheid müsse die SPD einlösen, sagte der parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann der taz. Wenn es so weit käme, dass sich die Grünen davon verabschieden, "würde das für die Grünen ein echtes Problem werden. Der Volksentscheid ist der erste große Glaubwürdigkeitstest für die neue Regierung", sagte Oppermann.

Mitarbeit: Gordon Repinski

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.