Guttenberg zum Afghanistan-Einsatz: Umgangssprachlich herrscht Krieg

Nach dem Tod von drei Bundeswehrsoldaten bei Gefechten nahe Kundus, will der Verteidigungsminister immer weniger verklausulieren. Die Nato-Truppe gibt zu, fünf Zivilisten irrtümlich getötet zu haben.

Bundeswehrsoldaten begleiten den Sarg eines der drei Getöteten auf dem Flugplatz von Termez zur Überführung nach Deutschland. Bild: rtr

KÖLN/KABUL afp/apd | Nach dem Tod von drei deutschen Soldaten nahe Kundus hat Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Kämpfe in Afghanistan als "Krieg" bezeichnet. Zugleich verteidigte er am Sonntag in Bonn den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und die neue deutsche Strategie am Hindukusch. Guttenberg war zugegen, als die Särge mit den drei getöteten Soldaten nach einer Trauerfeier in Kundus in Köln-Wahn eintrafen.

"Wir bleiben in Afghanistan", sagte Guttenberg bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem neuen Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker. Zugleich räumte er ein: "Der Einsatz dort ist und bleibt gefährlich." Bei den schweren Kämpfen in der nordafghanischen Region Kundus waren am Freitag drei deutsche Soldaten getötet und acht weitere verletzt worden, vier von ihnen schwer.

Die "Perfidie und gleichzeitig auch die Komplexität des Anschlags" zeigten die Realität in Afghanistan, sagte Guttenberg. Angesichts dieser Realitäten "kann man umgangssprachlich von Krieg reden". Noch im November hatte er betont, dass der Konflikt in Afghanistan völkerrechtlich kein Krieg sei. Er halte es aber für vertretbar und verständlich, wenn unter Bundeswehrsoldaten und umgangssprachlich von einem Krieg die Rede sei.

Die Bundesregierung hatte im Februar den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan neu bewertet und völkerrechtlich als "bewaffneten Konflikt" eingestuft. Zuvor war von einem Stabilisierungseinsatz der Bundeswehr die Rede.

Guttenberg widersprach der Ansicht, dass die schweren Gefechte mit radikalislamischen Taliban vom Karfreitag Ausdruck eines Scheiterns der neuen Afghanistan-Strategie der Bundesregierung seien. Diese solle bis Sommer oder Herbst umgesetzt werden, sagte der Verteidigungsminister. Sie berge Gefahren, die alte Strategie aber auch. Mit weiteren Toten oder Verwundeten müsse gerechnet werden.

Bei den bislang schwersten Gefechten seit dem Beginn des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr vor acht Jahren wurden am Karfreitag irrtümlich auch sechs afghanische Soldaten von deutschen Soldaten getötet. Die Bundesregierung entschuldigte sich laut Guttenberg bei der afghanischen Regierung. Der Vorfall wird demnach von deutscher Seite wie auch von der NATO untersucht.

Die NATO-Truppe in Afghanistan hat auch die Verantwortung für den Tod von fünf Zivilisten eingeräumt, darunter auch drei Frauen. Wie die NATO-Truppe ISAF am Sonntagabend mitteilte, wurden sie bereits Mitte Februar bei einem Einsatz in der Provinz Paktia getötet. Sie hatten sich demnach auf einem Gelände in einem Dorf nahe der Provinzhauptstadt Gardes aufgehalten, wo eine Patrouille afghanischer und internationaler Soldaten einen Taliban-Kämpfer vermutete. Die beiden Männer waren demnach bewaffnet, die Soldaten fühlten sich von ihnen bedroht. "Jetzt wissen wir, dass die beiden getöteten Männer nur versucht haben, ihre Familien zu beschützen", sagte ISAF-Sprecher Eric Temblay. Die NATO bedauere den Tod der Zivilisten zutiefst.

Die NATO hatte eine Beteiligung am Tod der drei Frauen zunächst abgestritten. Wie die britische Zeitung The Times und die US-Zeitung New York Times berichteten, waren an dem Einsatz US-Spezialkräfte beteiligt. Sie versuchten den Berichten zufolge, die Todesursache der Zivilisten zu verschleiern, indem sie die Kugeln aus den Leichen entfernten. Die Vertuschungsvorwürfe wollte der NATO-Sprecher auf Anfrage nicht kommentieren, auch zur Nationalität der Soldaten wollte er sich nicht äußern.

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, kritisierte "eine Ignoranz der Notwendigkeiten für die Streitkräfte" in Afghanistan. "Unsere Soldaten sind dort nur in diese Lage geraten, weil sie - wie so oft - nicht mit den nötigen modernen Aufklärungssystemen ausgerüstet sind", sagte er der "Welt am Sonntag".

Die Leichname der drei getöteten Bundeswehrsoldaten trafen am Sonntagabend in Köln-Wahn ein. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) hatte seinen Afghanistan-Besuch verlängert, um die Särge in seinem Flugzeug nach Deutschland mitzunehmen. Er vertrat die Bundesregierung bei der Trauerfeier im Bundeswehrfeldlager Kundus.

Die vier schwer verletzten Soldaten waren am Samstag ins Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz gebracht worden. Zwei von ihnen wurden notoperiert und lagen am Montag noch auf der Intensivstation, wie der Sprecher des Sanitätskommandos II sagte. Die anderen beiden Verletzten wurden in der Zwischenzeit auf eine normale Station verlegt.

Unterdessen sind in der Nacht zum Montag bei einer NATO-Militäroperation im Osten Afghanistans zehn Menschen getötet worden. Der Angriff habe sich gegen ein mutmaßliches Taliban-Versteck in der an Pakistan angrenzenden Provinz Nangrahar gerichtet, teilte die NATO-Schutztruppe ISAF mit. An dem Militäreinsatz seien auch afghanische Soldaten beteiligt gewesen. Bei allen Todesopfern handele es sich um Aufständische.

Ebenfalls am Montag ist eine afghanische Politikerin auf offener Straße angeschossen und schwer verletzt worden. Nida Chiani, eine Abgeordnete des Regionalparlaments in der Provinz Baghlan, sei aus einem fahrenden Auto heraus beschossen und von zwei Kugeln getroffen worden, teilte die oberste Gesundheitsbehörde von Baghlan mit. Der Angriff habe sich in der Provinzhauptstadt Pul-i Kumri ereignet.

Am Sonntag hatte der afghanische Präsident Hamid Karsai vor Vertretern der Stadt Kandahar erklärt, die geplante Militäroffensive in der gleichnamigen Provinz werde nur mit Unterstützung der Bevölkerung durchgeführt werden. "Es wird keine Militäroperation ohne eure Kooperation geben", sagte Karsai bei einem Treffen mit Stammesführern und Gemeindevertretern, an dem auch ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal teilnahm. Die NATO plant in Kandahar eine Großoffensive gegen die Taliban, die voraussichtlich im Juni starten soll.

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