Linke hofft auf Fehler: Warten auf schwarz-gelbes Scheitern

Die politische Linke wartet auf die ersten Fehler von Schwarz-Gelb. Was die neue Regierung entscheidet, werde den Linken schon den Wahlsieg bringen. Doch das ist ein Trugschluss.

Steinmeier und seine SPD warten auf Fehler von Merkel und Westerwelle. Bild: reuters

BERLiN taz | Den ersten Fehler in seiner neuen Rolle beging Frank-Walter Steinmeier am Sonntagabend kurz nach halb sieben. "Die müssen jetzt beweisen, dass sie es können", sagte er in der Berliner SPD-Zentrale über die neuen Machthaber von Union und FDP. "Und ich behalte meine Zweifel, dass sie es können."

Klar, so etwas muss man sagen als künftiger Oppositionsführer. Schlimm wird es nur, wenn man selber daran glaubt. Steinmeier ist dafür vielleicht zu intelligent. Aber schon am Tag zwei nach der Bundestagswahl zeichnete sich ab, dass sich viele im sogenannten linken Lager in dieser Illusion gemütlich einrichten:

In der Illusion, Schwarz-Gelb werde sowieso alles falsch machen, die Sozialsysteme ruinieren, schlimme Sicherheitsgesetze beschließen, die Mehrheit der Gesellschaft gegen sich aufbringen - sodass SPD, Linkspartei und Grüne eigentlich nur abwarten müssen, bis ihnen spätestens 2013 der eigene Wahlsieg automatisch in den Schoß fällt.

Natürlich kann Schwarz-Gelb scheitern. Das hängt vom weiteren Verlauf der Wirtschaftskrise ab, von Angela Merkels taktischem Geschick, von Guido Westerwelles politischer Biegsamkeit. Wer weiß schon, was in den nächsten vier Jahren passiert. Trotzdem spricht viel gegen die Chaostheorie.

Zunächst die historische Erfahrung. Dass Helmut Kohl völlig ungeeignet sei für das Amt des Bundeskanzlers, konnte der Pfälzer schon bei seiner ersten Kanzlerkandidatur 1976 in allen Zeitungen nachlesen. Sechzehn Jahre lang stellte die Opposition bei jeder Wahl enttäuscht fest, dass den Wählern diese Einsicht in Helmut Kohls Unfähigkeit offenbar fehlte.

Zweitens sind die ostdeutsche Frau im Kanzleramt und ihr künftiger schwuler Außenminister keine Wiedergänger des Biedermanns Kohl und seines letzten Vizekanzlers Klaus Kinkel. Wobei man der historischen Wahrheit halber hinzufügen muss, dass sich die deutsche Gesellschaft niemals so tiefgreifend liberalisiert hat wie in der Ära Kohl. Die Umwälzung durch die Achtundsechziger, die bis in die Siebzigerjahre ein Elitenphänomen geblieben war, erreichte breite Bevölkerungsschichten - auch wenn sich Kohl dem Wandel auf der Ebene der Gesetzgebung komplett verweigerte.

Auf dem Gebiet des Sozialstaats verlängerte die Kohl-Regierung 1985 das Arbeitslosengeld für Ältere von 12 auf bis zu 32 Monate - ein Schritt, den der Sozialdemokrat Gerhard Schröder rückgängig machte. Zuletzt führte Kohls Minister Norbert Blüm mit der Pflegeversicherung sogar eine völlig neue Säule der Sozialversicherung ein.

Es war dieses sozialpolitische Erbe der Kohl-Ära, das Merkel mit den Beschlüssen des Leipziger Parteitags 2003 und der Wahlkampagne 2005 überwinden wollte. Hier hatte sie die Lektionen der Kohlschen Machttechnik nicht befolgt - oder nicht befolgen wollen, weil sie die Methode nicht mehr für finanzierbar hielt. An diesem Punkt hat sich Merkel als lernfähig erwiesen, und es gibt Anzeichen, dass die Lehren des Reformdebakels auch an Westerwelle nicht spurlos vorbeigezogen sind.

Beide werden nicht so dumm sein, die Erwartungshaltung der politischen Linken zu erfüllen. Beim Steuerrecht wird man sich einigen. Die komplizierte Materie bietet genügend Gestaltungsmöglichkeiten nicht nur für kreative Freiberufler, die ihre Steuerlast vermindern wollen, sondern auch für Politiker, die mühsam um Kompromisse ringen.

Wenn Merkel klug ist, wird sie ihre zweite Amtszeit ohnehin nicht mit dem Steuerrecht verplempern. Den Glauben, ein Platz in den Geschichtsbüchern werde durch das Abschmelzen des Mittelstandsbauchs errungen, kann sie getrost ihrem früheren Rivalen Friedrich Merz oder dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer überlassen.

Wie konservatives Regieren im 21. Jahrhundert funktionieren kann, haben Kollegen in anderen europäischen Ländern längst vorgemacht. Der Schwede Fredrik Reinfeldt, der Brite David Cameron oder der Franzose Nicolas Sarkozy haben mit einer jeweils sehr unterschiedlichen Mischung aus Sozial-, Integrations- und Bildungspolitik die Sozialdemokratie der jeweiligen Länder entweder bereits marginalisiert - oder sie sind zumindest auf dem besten Wege dorthin. Im französischen Fall kommt eine transformistische Personalpolitik hinzu, die Exponenten des sozialistischen Lagers im konservativen Kabinett sogar auf Ministerposten katapultiert hat.

Zuschnitt und Besetzung der Ressorts werden ein erster Prüfstein sein. Sollte die Kabinettsliste ausschließlich aus Namen wie Hermann Otto Solms oder Rainer Brüderle bestehen, wären die linken Hoffnungen berechtigt. Wahrscheinlicher ist, dass kein einziger Minister aus der Kohl-Ära am künftigen Kabinettstisch sitzt. Verglichen mit sozialdemokratischen Ministern vom Schlage Steinmeiers oder Peer Steinbrücks besteht die Gefahr eher in einem Mangel an Erfahrung als in fehlender Jugendlichkeit.

Mit ihrer Ankündigung, Bildung in ihrer zweiten Amtszeit nun wirklich zum Schwerpunktthema zu machen, hat Merkel eine Richtung bereits angedeutet. Ein zweiter Schritt wäre, die Integrationspolitik aus den Händen einer matten Staatsministerin im Kanzleramt in den Rang eines vollwertigen Ministeriums zu erheben.

Pünktlich zur Kabinettsbildung bringt sich der nordrhein-westfälische Amtsinhaber Armin Laschet mit einem Buch über "Die Aufsteigerrepublik" ins Gespräch, das an diesem Donnerstag der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit in Berlin vorstellt. Auch das deutet an, das die Fähigkeit der Merkel-CDU zur lagerübergreifenden Konsenspolitik mit dem Wechsel des Koalitionspartners keineswegs an ihrem Ende angelangt ist.

Selbst die Hoffnung auf das Mobilisierungsthema Atompolitik könnte sich noch als trügerisch erweisen. Zu dem Thema hat sich Merkel am Montag sehr vorsichtig geäußert. Ob aber kleinere Verschiebungen bei den Laufzeiten einzelner Kraftwerke am Ende ausreichen für eine größere Mobilisierung über den harten Kern der Bewegung hinaus ausreichen werden, wird sich erst noch erweisen müssen - zumal zeitweise auch prominente Grünen-Politiker Zweifel am Doppelausstieg aus Kohle und Atom erkennen ließen.

Auf einen Automatismus der Empörung gegen Schwarz-Gelb kann sich die Opposition im künftigen Bundestag jedenfalls nicht verlassen. Zumal dann nicht, wenn die SPD auch die nächsten vier Jahre vornehmlich dazu nutzt, um über die Aufarbeitung der Hartz-IV-Reform und ihr Verhältnis zur Linkspartei zu streiten. Wenn sie es weiter versäumt, Zukunftsthemen wie Bildung, Integration oder erneuerbare Energien aktiv zu besetzen - Themen, die doch eigentlich die ihren sind.

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