Heiner Geißler über Hartz-IV-Neuregelung: "Davon lässt sich nicht würdig leben"

CDU-Politiker und Attac-Mitglied Geißler fordert höhere Steuern, um eine Anhebung des Arbeitslosengelds II finanzieren zu können. Er erinnert die CDU an ihr christliches Menschenbild.

"Ach, wer sollen diese Rechtskonservativen in der CDU denn sein?" Heiner Geißler. Bild: dpa

taz: Herr Geißler, die Verfassungsrichter verlangten eine nachvollziehbare Berechnung der Hartz-IV-Sätze. Halten die neuen Berechnungen der Bundesregierung diesen Anforderungen stand?

Heiner Geißler: In den jetzigen Berechnungen stecken schwere Fehler. Es war falsch von den Ministerialbürokraten, den sogenannten Warenkorb gegen ein Statistikmodell zu ersetzen, das heute den Kalkulationen zugrunde liegt. Denn es ist Unsinn, den Bedarf von Hartz-IV-Empfängern danach zu berechnen, wofür die ärmsten 15 Prozent der Bevölkerung ihr Geld ausgeben. Sie kaufen ja nur Dinge, für die ihr Geld ausreicht. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Der Mensch wird zum Kostenfaktor degradiert. Hingegen ging der alte Warenkorb davon aus, ob das Geld wirklich reichte für ein menschenwürdiges Leben.

Und, reichen die neuen Hartz-IV-Sätze aus?

80, war von 1977 bis 1989 CDU-Generalsekretär. Von 1983 bis 1985 war er zudem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. 2007 trat er Attac bei.

Nein, nach meiner Auffassung lässt sich davon nicht menschenwürdig leben. Deswegen sind die 5 Euro extra viel zu niedrig. Dafür, dass der Zuschlag so gering ausfällt, ist aber nicht Familienministerin Ursula von der Leyen verantwortlich, sondern die Vorgabe des Finanzministers, nicht über die im Haushalt eingeplanten 480 Millionen Euro hinauszugehen.

Wie passt diese Politik zur sozialen Volkspartei CDU?

Die CDU diskutiert derzeit über das christliche Menschenbild. Dieses enthält die ganz klare Verpflichtung, jenen zu helfen, die in Not sind. Und das bedeutet: Wenn dafür Geld fehlt, muss man es bei jenen holen, die Geld im Überfluss haben. Man darf es nicht jenen nehmen oder vorenthalten, die ohnehin zu wenig haben. Deshalb brauchen wir Steuererhöhungen für die höheren Einkommen. Dass die Bezieher hoher Einkommen mit keinem einzigen Cent zur Sanierung des Bundeshaushaltes beitragen, widerspricht allen ethischen Grundsätzen. Auch der evangelischen Ethik, der Wolfgang Schäuble sich besonders verpflichtet weiß.

Welche Steuern sollten erhöht werden?

Das Beste wäre die Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer, was der Finanzminister ja will. Wenn es sich nicht anders durchsetzen lässt, müssen die Europäer dabei vorangehen. Zweitens muss die Einkommensteuer ab einem gewissen Einkommen angehoben werden. Auch ließe sich ein höherer Spitzensteuersatz einführen. Aber die FDP hintertreibt solche Erwägungen.

Lässt sich noch etwas Entscheidendes ändern am Bundeshaushalt?

Ich gehe davon aus, dass der Bundestag die ganze Finanzkonzeption noch verändern wird.

Setzen Sie auch auf den Einfluss von SPD und Grünen im Bundesrat?

Auf die setze ich gar nichts. SPD und Grüne haben ja das Fundament gelegt für dieses Prekariat, das sich durch die Agenda 2010 gebildet hat: 400-Euro-Jobs, 1-Euro-Jobs, Leiharbeitsverträge. Das alles hat die Einkommenssituation in Deutschland grundsätzlich verändert, und zwar zu Lasten gerade der kleinen Leute. Ich vertraue darauf, dass die Unions-Abgeordneten im Bundestag etwas an den Plänen ändern. Sie hören vor Ort, was die Leute für richtig halten. Ministerialbürokraten sind vom Volk weit entfernt.

Erst grollen Unions-Rechte, Angela Merkel vernachlässige die Konservativen - und jetzt grollen womöglich die Sozialpolitiker. Wächst der Unmut über die Kanzlerin?

Ach, wer sollen diese Rechtskonservativen in der CDU denn sein?

Wie wäre es zum Beispiel mit Friedrich Merz?

Er ist doch kein Rechtskonservativer. Der verließ die Politik nicht aus Groll. Er wollte mehr Geld verdienen, was sein gutes Recht ist.

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