Bruder von Gülsüm S. gesteht Mord: Im Namen der Ehre

Der 20-jährige Davut S. gesteht den brutalen Mord an seiner Schwester Gülsüm - weil sie keine Jungfrau mehr war. Jetzt versucht er, Vater und Freunde nicht zu belasten.

Terre des femmes kämpft mit bekannten Mitstreitern wie Schauspielerin Sibel Kekilli um mehr öffentliche Aufmerksamkeit für Gewalt an Frauen. Bild: dpa

Er lockte seine Schwester in einen Hinterhalt, würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit mit einer Wäscheleine, zerschlug ihr Gesicht und Schädel mit Knüppeln bis zur Unkenntlichkeit: Der 20-Jährige Davut S. aus Rees am Niederrhein hat gestanden, seine Drillingsschwester Gülsüm am 2. März in einem Waldstück brutal getötet zu haben.

Wegen gemeinschaftlichen Mordes aus niedrigen Beweggründen" nahm die Polizei auch den Vater der Familie und einen mit Davut befreundeten Asylbewerber aus Südrussland in Untersuchungshaft: Der Vater soll dafür gesorgt haben, dass Davut seine Schwester allein in ihrer Wohnung antraf, der Asylbewerber soll die Wäscheleine besorgt und gemeinsam mit Täter und Opfer zum Tatort gefahren sein. "Wir halten das für gemeinsam begangenen Mord", so der Sprecher des zuständigen Polizeipräsidiums Krefeld, Wolfgang Lindner.

Gedroht hat die Familie ihrer Tochter Gülsüm schon Jahre vor der Tat. "Gülsüm strebte einen westlichen Lebensstil an. Ihre Familie hingegen erwartete, dass sie sich an die konservativen Regeln ihres Herkunftslandes und des muslimischen Glaubens - so wie die Familie diesen interpretierte - zu orientieren habe", so die Ermittlungsergebnisse der Mordkommission. Dabei sei auch Gewalt angewendet worden. Gülsüm sei zu einer Hochzeit in der kurdisch geprägten Osttürkei gezwungen worden, sagt Polizeisprecher Lindner - diese Ehe habe aber "nur rechtlich, nicht faktisch" bestanden.

Nach ihrer Rückkehr an den Niederrhein versuchte die Familie, Gülsüm erneut zu verheiraten - diesmal offenbar mit einem Verwandten aus Hannover. Die 20-Jährige floh erneut, versuchte in Mülheim an der Ruhr einen Hauptschulabschluss zu erhalten - und kehrte doch wieder nach Rees zurück. Als dort ihre Familie erfuhr, dass sie ein Kind hatte abtreiben lassen, sei der Entschluss gefallen, Gülsüm zu töten.

Die Familie mit elf Kindern lebte da schon 13 Jahre am Niederrhein, elf davon in einem Übergangswohnheim für abgelehnte Asylbewerber. Der Fachbereich Soziales der knapp 23.000 Einwohner zählenden Kleinstadt beobachtete die Familie deshalb seit Jahren. "Wir wussten, dass der Vater als Patriarch auftrat, seine Kinder schon einmal ohrfeigte", sagt Fachbereichsleiter Andreas Mai. "Wir haben natürlich Druck gemacht, das Jugendamt, die Schule, die Jugendsozialarbeit, das Jugendhaus alarmiert." Ein Mord aber sei doch unvorstellbar gewesen, sagt Mai und klingt noch immer schockiert: "So etwas kennen wir doch nur aus der Presse."

Erst am vergangenen Montag habe der Täter selbst die Erstattung der Beerdigungskosten seines Opfers beantragt - die Familie lebt auch zwei Jahre nach Erteilung einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung von Hartz IV. "Gebrochen" habe Davut dabei gewirkt. Für den Mörder seiner Schwester habe ihn niemand gehalten, sagt Mai: "Wir sind hier alle völlig fertig."

Natürlich frage er sich, ob seine Mitarbeiter und er selbst versagt hätten, sagt der Fachbereichsleiter Soziales. "Wir konnten die Familie nicht integrieren", glaubt er - der Vater habe wegen der immer drohenden Abschiebung nicht arbeiten können, für die elf Kinder bestand nicht einmal Schulpflicht. Jetzt sorgt sich Mai um die 24-jährige Schwester Gülsüms: Auch die habe geheiratet. "Die übliche Kennenlernphase gab es nicht. Nach einer Liebeshochzeit sah es nicht aus." Ob seine Behörde einschreiten werde? Die Frau sei 24, erwachsen, aus Rees weggezogen, kenne alle Angebote der Sozialbehörden, sagt Mai.

Wie ihre Schwester Gülsüm.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.