Vor dem Nato-Gipfel: Afghanistan ohne Masterplan

Alle wollen einen "umfassenden Ansatz" für Afghanistan mit stärkeren zivilen Elementen. Doch ausgerechnet beim Polizeiaufbau hat Deutschland versagt.

Hat die Nato in Afghanistan die Orientierung verloren? Bild: ap

BERLIN taz Im Koblenzer Bundeswehrkrankenhaus wurden am Dienstag zwei Soldaten nach schweren Operationen aus dem künstlichen Koma geweckt. Sie waren vergangene Woche auf Patrouille in Nordafghanistan auf einen Sprengkörper gefahren. Einer der Ersten, der die zwei Dienstagnachmittag besuchte, war Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU).

Gleichzeitig gab medico international bekannt, dass die Minenräumung in Nordafghanistan bis auf weiteres komplett gestoppt werde. Die zuständige UN-Organisation Unmaca reagiere damit auf die "sich verschlechternde Sicherheitslage in der Region". Medico-Geschäftsführer Thomas Gebauer erklärte, schuld sei die sogenannte zivil-militärische Zusammenarbeit durch die Bundeswehr. "Helfer und ausländische Soldaten verschmelzen in der Wahrnehmung der Bevölkerung. Die Folge sind tödliche Angriffe" - vor allem auf die lokalen Mitarbeiter.

Die aktuellen Nachrichten sind nicht so, dass die Bundesregierung mit der Sicherheitsarbeit der Bundeswehr in Nordafghanistan bei ihren Nato-Partnern gerade groß angeben könnte. Ab dem heutigen Mittwoch werden Kanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Verteidigungsminister Jung und der deutsche Tross auf dem Nato-Gipfel im rumänischen Bukarest von Arbeitsessen zu Sitzung zu Arbeitsessen schieben. Afghanistan soll dabei eines der Hauptthemen sein.

Eine Neuformulierung der Strategie für diesen schwierigen Nato-Einsatz war vor dem gigantischen Gipfel mit über 3.000 Politikern, Diplomaten und Helfern sowie ebenso vielen Journalisten angekündigt worden. Das Stichwort "umfassender Ansatz" soll dabei bedeuten, dass die Nato stärker mit den zivilen Aufbauhelfern sowie der Regierung Karsai zusammenarbeiten muss, damit Militär, Staatsaufbau und wirtschaftliche Entwicklung ein Ganzes ergeben. Über so einen Afghanistan-Plan, lautet die Hoffnung der Nato-Theoretiker, könnte auch das Verteidigungsbündnis selbst zu einer Identität nach dem Kalten Krieg finden.

Doch je näher der Gipfel rückte, desto geringer wurde die Aussicht auf konkrete neue Ideen. Die eingangs erwähnte medico-Verlautbarung zeigt außerdem, dass die zivil-militärische Integration Risiken birgt. Deutsche Regierungskreise kündigten am Dienstag schon gleich an, dass man erst auf einem extra Afghanistan-Gipfel im Juni in Paris den geeigneten Ort für "Bilanz und Ausblick" sehe.

Die Bundesregierung ist sehr erleichtert, dass US-Präsident George Bush vorab erklärt hat, die Deutschen würden nun doch nicht mehr im umkämpften Süden Afghanistans gebraucht. Schließlich will Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy rund 1.000 zusätzliche Soldaten schicken, um die Truppen vor Ort zu entlasten. Es heißt, man erwarte "keinen neuen Druck" seitens der Nato-Partner wegen einer Ausweitung des Mandats.

Citha Maass, Afghanistan-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erklärt es für unwahrscheinlich, dass die Nato zu einem Afghanistan-Konzept "aus einem Guss" findet. Zu stark seien die nationalen Eigeninteressen. Die USA würden ihre "Operation Enduring Freedom" niemals dem UN-Mandat unterstellen. Sarkozy, sagt sie, "geht es ja weniger darum, in Afghanistan etwas zu bewegen, als vor allem darum, seine Beziehungen zu Bush zu verbessern und Frankreich in die Nato zurückzuführen." Der EU gelänge es kaum, "sich zu einer Stimme zu formieren".

Afghanistan-Kenner erklären unisono, dass das Kernelement einer integrierten Strategie nur der Polizeiaufbau sein könne, der maßgeblich in deutschen Händen liegt. Und dabei, sagt Maass, "hat sich Deutschland wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert", nachdem es über Jahre bloß wenige Dutzend Ausbilder entsandte, bevor es den Job an die EU weiterreichte. Doch auch die neue EU-Polizeimission ist finanziell schwach und "absolut nicht den afghanischen Bedürfnissen angemessen", erklärt sie.

Es reiche nicht, einem afghanischen Ausbilder einen Mentor an die Seite zu stellen - wenn der Afghane korrupt sei. Der Aufbau der afghanischen Armee habe sich als leichter und effizienter erwiesen. Laut Maass liegt die unmittelbare Zukunft darin, "das militärpolizeiliche Element zu verstärken". Eine rechtsstaatliche, solide, zivile Polizei in Afghanistan werde noch eine Generation brauchen.

Die Nato wird so lange nicht bleiben wollen. Nach sechs Jahren Einsatz ist sie müde und will so bald wie möglich die Arbeit auf die UN abwälzen, heißt es.

ULRIKE WINKELMANN

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