EU-Minister einigen sich: Arbeitszeit und Leiharbeit neu geregelt

Die EU-Minister sind sich einig. Von nun an darf niemand mehr als durchschnittlich 48 Stunden pro Woche arbeiten. Gewerkschaften kritisieren das als blauäugig.

Für Feuerwehrleute dürfte sich durch die Richtlinie einiges ändern. Bild: dpa

BRÜSSEL taz Die Arbeitsminister erprobten das Modell schon mal im Selbstversuch. Sechzehn Stunden saßen sie in Luxemburg zusammen, bis sie einen Kompromiss zur neuen Richtlinie über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern und die geänderte Arbeitszeitrichtlinie zustande brachten. Taufrisch sahen die slowenische Verhandlungsführerin Marjeta Cotman und Sozialkommissar Vladimir Spidla danach nicht mehr aus.

Sie redeten jedoch tapfer das Ergebnis schön: Die "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" hätten die Minister im Blick gehabt, behauptete Cotman. "Wir haben die Zeit der Unbeweglichkeit und Trägheit überwunden und dem sozialen Europa neuen Schwung verliehen", erklärte Spidla.

Eine Wochenarbeitszeit von bis zu 78 Stunden, wie sie die derzeit geltende Richtlinie ermöglicht, werde künftig nur noch mit Zustimmung der Sozialpartner möglich sein. Dem widerspricht der Europäische Gewerkschaftsbund ETUC. "Die Arbeitnehmer werden deutlich weniger geschützt als in der alten Richtlinie", sagte Generalsekretärin Catelene Passchier. Die Referenzperiode, in der durchschnittlich 48 Wochenstunden erreicht werden müssen, werde von drei auf zwölf Monate verlängert. Studien hätten ergeben, dass es ein Mitarbeiter trotz vorgeschriebener Pausen auf bis zu 78 Wochenstunden bringen kann, wenn er in anderen Wochen sehr wenig gearbeitet hat.

Auch die Neuregelung, nach der Bereitschaftszeit nur dann zur Arbeitszeit gerechnet wird, wenn tatsächlich eine Tätigkeit ausgeführt wurde, werde die Lage vieler Arbeitnehmer verschlechtern. "Das wird enorme Auswirkungen auf Mitarbeiter im Gesundheitsdienst oder auf Feuerwehrleute haben", sagte Passchier voraus. Empört reagierte die SPD-Europaabgeordnete Karin Jöns. "Was soll ich meinen Wählern nun vom sozialen Europa erzählen? Ich finde das Ergebnis skandalös." Der zuständige spanische Berichterstatter im EU-Parlament werde dem niemals zustimmen.

Auch die geplanten Mindeststandards für Leiharbeiter überzeugten Jöns nicht. Jede Vereinbarung auf nationaler Ebene und jede tarifvertragliche Ausnahme könne sie durchlöchern. ETUC hingegen begrüßt, dass es für Mitarbeiter von Zeitarbeitsagenturen überhaupt EU-Mindeststandards gibt, auf die sie sich berufen können. Die Gewerkschaften dürften sich eben nicht auf Sondervereinbarungen einlassen, die Leiharbeiter schlechter stellen als reguläre Arbeitnehmer.

Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) hat keine Probleme mit dem Luxemburger Kompromiss, dem Deutschland zustimmte. Nur Belgien, Portugal, Spanien, Griechenland, Zypern und Ungarn votierten dagegen. In einem Brief an die Koalitionspartner schrieb Scholz: "Die Richtlinien gewährleisten ein europaweites Schutzniveau, das für alle Mitgliedsstaaten akzeptabel und umsetzbar ist. Das deutsche Recht entspricht bereits heute weitgehend den neuen Standards. Die Einigung zeigt, dass konkrete Schritte zur Stärkung des sozialen Europas auch in der erweiterten Europäischen Union möglich sind."

Europas Wähler werden diese Behauptung spätestens dann an den Tatsachen überprüfen können, wenn ihnen im Krankenhaus wieder Ärzte gegenüberstehen, die seit 70 Stunden das eigene Bett nicht gesehen haben. Die Notbremse kann nun nur noch das Europäische Parlament ziehen. Im November 2002 stellte es in erster Lesung Zeitarbeiter ihren fest angestellten Kollegen gleich. Es sprach sich auch mehrfach mehrheitlich für humane Höchstarbeitszeiten aus. Bis es zu einer Einigung mit dem Rat kommt, werden wohl alle beteiligten Politiker noch viele Überstunden einlegen müssen.

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