EU-Russland-Gipfel: Auftrumpfen ist nicht mehr angesagt

So heftig traf die Finanzkrise Russland, dass in der Außenpolitik moderatere Töne aus Moskau zu hören sind. Der Westen wird für die Modernisierung der Ökonomie gebraucht.

Der rote Stern ist schon lange verblasst. Jetzt will man sich Putzhilfe aus dem Westen holen. Bild: dpa

MOSKAU taz | Der diesjährige EU-Russland-Gipfel begann schon im Vorfeld mit einer rücksichtsvollen Geste. Statt wie in den Vorjahren die europäischen Gäste zu Gipfeltreffen in asiatische Weiten zu verfrachten, lädt Gastgeber Russland diesmal nach Rostow, wo der Don ins Asowsche Meer mündet. Die Finanzkrise hat Russland schwer getroffen. Seitdem die bittere Einsicht reift, greift auch die Außenpolitik zu moderateren Tönen. Nicht Auftrumpfen als autarke Energie-Supermacht ist zurzeit angesagt, sondern das Werben um Partner für die überfällige Modernisierung der rückständigen Volkswirtschaft. Dabei sind Moskaus Wunschpartner vor allem die EU und die USA.

Auf dem zweitägigen Gipfel, der am Montag beginnt, will Moskau darauf drängen, die Prinzipien der Modernisierungspartnerschaft festzuschreiben. Vor allem liegt dem Kreml daran, Handels- und Investitionsbarrieren abzubauen, gegenseitige Investitionen im Technologiebereich zu fördern und die Kooperation in Wissenschaft und Forschung voranzutreiben.

Seit das Partnerschaftsabkommen (PAK) zwischen der EU und Russland im Dezember 2007 auslief, brachten die Gesprächsrunden um ein neues Abkommen kaum Ergebnisse. Auch die Gipfel glichen Pflichtveranstaltungen, auf denen sich die entfremdeten Partner im Leerlauf anlächelten. Die EU möchte den neuen Partnerschaftsvertrag möglichst konkret ausgestalten und gegenseitige Verpflichtungen im Detail festhalten. Das widersprach den russischen Vorstellungen von Souveränität. Moskau wollte sich bislang nicht binden lassen und mit dem Folgeabkommen auch nur den Status eines gleichberechtigten Partners erlangen.

Etwas mehr Wagemut?

Die EU hätte jetzt die Chance, die wirtschaftlichen und technologischen Engpässe Russlands nicht nur kommerziell zu nutzen. Sie könnte die Innovationshilfe auch an Zusagen knüpfen, die die gesellschaftliche Modernisierung Russlands betreffen. Rechtsstaatsentwicklung, Wahrung der Menschenrechte und ein bisschen mehr Wagemut im Umgang mit Demokratie und Pressefreiheit. Moskau fürchtet das, käme wohl aber nicht drum herum, sich auf Kompromisse einzulassen. Der russische Botschafter in Brüssel, Wladimir Tschisow, versuchte am Vorabend des Gipfels schon vorzubauen. In der Modernisierungspartnerschaft seien beide Seiten gleichberechtigt. Es ginge nicht darum, dass "die alles wissende EU Gott spielt, der auf die Erde herabsteigt, um Russland zu modernisieren". Da melden sich alte Reflexe, die die Dringlichkeit des russischen Modernisierungsersuchens verkennen.

Ein hart umkämpftes Thema wird auch die Abschaffung der Visapflicht sein, auf die Moskau nun schon seit Jahren drängt und seinerseits Bereitschaft bekundet, alle bürokratischen Hürden sofort abzuräumen. Die EU gibt sich in dieser Frage sehr verhalten und knüpft den visafreien Verkehr an Vorbedingungen. Neben der Einführung biometrischer Pässe für russische Bürger verlangt die EU eine Verbesserung der Grenzüberwachung an der südlichen und im asiatischen Teil gelegenen russischen Grenze.

Offiziell begründet die EU ihre Zurückhaltung mit der Furcht vor einer Immigrantenschwemme aus den zentralasiatischen Republiken, deren Bürger ohne Visum nach Russland reisen können. Da Moskau sich aber verpflichtete, illegale Immigranten an der EU-Außengrenze auf eigene Kosten zurückzuschicken, leistete es schon eine Vorbedingung. Laut der europäischen Agentur Frontex, die den Verkehr an den Außengrenzen überwacht, wurden 2009 überdies nur 107 illegale russische Bürger bei der Einreise nach Polen festgenommen. Die meisten EU-Mitglieder halten wie der polnische Außenminister, Radoslaw Sikorski, die Visaregelung für eine "Währung", die man nur "weise ausgeben" sollte. Moskau vermutete hinter den Bremsern die neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten.

Tatsächlich leisten aber Deutschland und Frankreich den größten Widerstand, die aus russischer Sicht "konstruktivsten Partner". Einige EU-Staaten fürchten auch, dass durch eine Sonderbehandlung Russlands die Staaten der östlichen Partnerschaft benachteiligt würden. Der von Polen und Schweden angeregten EU-Initiative gehören die Ukraine, Moldau, Weißrussland, Georgien, Armenien und Aserbaidschan an. Sie wurde 2009 gegründet, um den sowjetischen Nachfolgestaaten eine engere Anbindung an Europa zu eröffnen und die Angst vor dem einstigen Kolonialherrn aufzufangen. Das Engagement der EU ist aber eher halbherzig. Berlin und Paris halten sich aus vorauseilendem Gehorsam zurück, da sie die Beziehungen zum Kreml nicht erschweren wollen.

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