Soziologe Ziegler über Blochers Abwahl: "Er ist viel gefährlicher als Haider"

Das Schweizer Parlament hat den Rechtspopulisten Christoph Blocher aus der Regierung gewählt. Das politische System ist in der Krise, so der Soziologe Ziegler.

"Das Doppelspiel ist zu Ende": Jean Ziegler Bild: dpa

taz: Herr Ziegler, der Rechtspopulist Christoph Blocher ist in der letzten Woche bei der Wahl zum Bundesrat durchgefallen. Sprengt das das politische System der Schweiz in die Luft?

Jean Ziegler: Es ist zunächst eine große Erleichterung. Der rassistische Diskurs verliert seine offizielle Legitimation. Er ist natürlich immer noch da, aber es ist etwas anderes, ob er vom Justizminister kommt. Wenn der Justizminister xenophobe Sprüche macht, dann geht das wie Gift durch die Gesellschaft.

Hat er eine so schlimme Politik als Minister gemacht? Wurde Blocher denn nicht durch den Regierungsalltag zivilisiert?

Nein, der wurde nicht gebremst. Wir haben ja ein sehr merkwürdiges System in der Schweiz, die Konkordanz, das ist eine permanente Koalitionsregierung ohne Koalitionsvertrag. Man versteht das nur, wenn man weiß, dass die Schweiz aus dem Bürgerkrieg von 1848 kommt und dass die zentrifugalen Kräfte immer sehr stark waren. Es gibt also ein tief verwurzeltes Zerfallstrauma, und die Konkordanz, also die Allparteienregierung, war die Antwort darauf. Es gibt diese untergründige Panik, diese sehr komplexe und kulturell vielschichtige Eidgenossenschaft könnte auseinanderbrechen. Heute gibt es keinen äußeren Feind mehr, das macht dieses Trauma noch stärker.

Weil man nicht weiß, was die Schweiz überhaupt sein soll?

Diese Identitätskrise ist total. Und dies erklärt, warum wir eben so ein seltsames politisches System haben, das einerseits einen radikalen Politiker in Regierungsämter einbindet, ihn aber nicht an ein gemeinsames Regierungsprogramm bindet. Blocher konnte ganz fürchterliche Gesetze machen, Asylgesetze, die die UN-Konvention von 1951 verletzen. Wer keine Papiere hat, kommt nicht ins Asylverfahren. Minderjährige können zwei Jahre in Auslieferungshaft gehalten werden, am Flughafen etwa. Aber man muss sich, wenn man das Phänomen Blocher verstehen will, fragen: Woher kommt die Anfälligkeit des Schweizer Stimmvolkes für diese xenophobe Hetze?

Sind die Schweizer dafür denn besonders anfällig? Haider, Le Pen, Blocher - solche Typen gibt es doch mancherorts.

Blocher ist viel gefährlicher. Haider war ein rechtsextremer Playboy, der eine Marktlücke entdeckt hatte. Blocher ist ein Multimilliardär und verkörpert die protestantische Unerbittlichkeit. Wie Haider und Le Pen stilisiert er sich zum Außenseiter. Er ist ein global erfolgreicher Unternehmer und hat gleichzeitig eine sehr archaische Politikkonzeption. Er sagt, die Schweiz, diese Urdemokratie, muss gegen alle äußeren Gefährdungen verteidigt werden. Und das trifft einen Ton, auf den viele Schweizer, bis hinein in die Spitzen der Gesellschaft gestimmt sind. Bis in die Finanzoligarchie hinein - die Macht der Schweizer Banken beruht ja schließlich darauf, dass die Schweiz eigen ist, nämlich die Steuerfluchtoase der ganzen Welt. Die Schweiz ist das zweitreichste Land der Welt, was das Pro-Kopf-Einkommen betrifft, aber dieser Reichtum ist auf dieser Haltung begründet. Und unterhalb dieses Reichtums gibt es sehr viel Armut. Da gibt es eine unglaubliche Verunsicherung. Blocher nützt diese Verunsicherung, und er ist ein Komplize des Großkapitals, das den Anti-EU- Diskurs braucht, ihn aber nicht selbst führen kann, weil der ja extrem unelegant ist.

Das heißt, Blocher ist kein Anti-Establishment-Politiker?

Genau. Das Establishment braucht ihn. Man kann das Fluchtkapital nicht öffentlich verteidigen. Aber wenn Blocher fordert, das Bankgeheimnis muss in die Verfassung, oder wenn er sagt, "der Teufel sitzt in Brüssel", dann ist das genau das, was die Finanzoligarchie wünscht.

Aber das Paradoxe ist doch: Blocher hat die Konkordanz, dieses System gebremster Konfrontation, immer bekämpft. Mit seiner Nichtwahl wurde er das erste Opfer seiner eigenen Forderung. Ist es mit der Konkordanz jetzt vorbei?

Das Klima wird sicher rauer. Er dachte, und seine Gegner dachten das auch, er könne das Spiel der subversiven Integration weiterverfolgen. Drinnen und draußen zugleich sein. In der Regierung Oppositionspolitik betreiben. Das Spiel klappte aber nicht, weil die Regierung damit funktionsunfähig wurde. Die Konkordanz hat nicht mehr funktioniert, und zwar wegen dem Blocher. Deshalb mobilisierte er auch Gegenkräfte in den bürgerlichsten Parteien. Es haben ja 125 Abgeordnete die Wahl Blochers verweigert. Das waren ja nur zu einem kleinen Teil linke Abgeordnete.

Wurde er dann nicht aus den falschen Gründen abgewählt?

Nein. Es gibt eine unglaubliche Erleichterung, dass er weg ist. Das Doppelspiel ist zu Ende.

Und wie geht es jetzt mit der SVP, der Schweizerischen Volkspartei, weiter, die von Blocher angeführt wird?

Die wird jetzt rigide Totalopposition betreiben.

Aber sie ist doch gespalten. Statt Blocher wurde ja Eveline Widmer-Schlumpf zur Justizministerin gewählt, eine moderate SVP-Politikerin.

Die SVP ist die stärkste Partei der Schweiz, das ist die Entscheidung der Wähler an den Urnen. Und die Wähler haben für den Blocher-Kurs gestimmt, da soll man sich nichts vormachen. Blocher hat die Partei fest in der Hand. Diejenigen, die sich in der SVP gegen Blocher stellen, die haben niemanden hinter sich. Die moderaten Kräfte in der Parlamentsfraktion haben sich unterworfen. Die Fraktion hat beschlossen, sie bleibt zusammen. Samuel Schmid und Eveline Widmer-Schlumpf, die beiden Bundesräte, die gegen den Willen der Fraktion gewählt worden sind, werden aus der Fraktion ausgestoßen. Das heißt, formal ist die SVP noch in der Regierung vertreten, aber in Wirklichkeit haben wir erstmals eine Parlamentsfraktion, die radikale Opposition machen wird. Sie werden eine Volksinitiative nach der anderen gegen die Regierungspolitik starten.

Und dann gehts richtig rund?

Ja, jetzt gehts richtig rund. Und das wird sehr ungemütlich. Weil die anderen Parteien nicht Blochers Mittel haben und leider auch nicht sein strategisches Können.

INTERVIEW: ROBERT MISIK

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