Bosniaken-Vertreter Silajdzic: "Bosnien ist ein Symbol für Europa"

Haris Silajdzic, Vertreter der Bosniaken im Staatspräsidium Bosniens und Herzegowinas, wirft den Serben vor, die aktuelle innenpolitische Krise künstlich zu erzeugen

Haris Silajdzic (62) ist Vertreter der Bosniaken im dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina . Bild: ap

taz: Herr Silajdzic, Bosnien und Herzegowina schlittert in eine politische Krise mit unabsehbaren Folgen. Der serbische Vorsitzende des Ministerrats, das heißt der Regierung, ist am vergangenen Mittwoch zurückgetreten, die Serben wollen die gemeinsamen Institutionen verlassen.

Haris Silajdzic: Es wird von serbischer Seite eine künstliche Krise erzeugt. Wenn Sie durch das Land fahren, merken Sie kaum etwas von Spannungen. Mit der Wirtschaft geht es aufwärts, auch wenn wegen der Kriegsfolgen viele Menschen noch sehr arm sind. Nach unserer Verfassung müsste jetzt sogar die gesamte Regierung zurücktreten. Aber die Verfassung sieht auch vor, dass die Regierung kommissarisch weitermachen muss, bis eine Lösung gefunden ist. Und ich werde darauf drängen, dass die Verfassung eingehalten wird.

Der Ministerpräsident der serbischen Teilrepublik, Milorad Dodik, droht mit einem Referendum in der serbischen Teilrepublik, wenn Kosovo unabhängig wird. Er will dann den serbischen Teilstaat aus Bosnien und Herzegowina herauslösen. Serbien und Russland unterstützen offenbar diese Politik. Man spricht von einem neuen Ost-West-Gegensatz.

Was sollen wir tun? Wir sind ein kleines Land, das keinen Einfluss auf die große Politik hat. Es ist leider schon immer das Schicksal Bosniens gewesen, an der Schnittstelle unterschiedlicher Interessen zu liegen. Wir Bosniaken können nur sagen, was wir wollen: Wir wollen niemanden bedrohen und ein friedliches Zusammenleben aller Volksgruppen in einem demokratischen Staat.

Worum geht es bei der politischen Auseinandersetzung wirklich?

Der Streit dreht sich um die Frage individueller und kollektiver Rechte. In der serbischen Teilrepublik beharren viele auf den kollektiven Rechten der Volksgruppen. Das halten wir für problematisch und mit europäischen Werten für nicht vereinbar. Wir bestreiten nicht die Rechte der Volksgruppen auf kulturelle und religiöse Identität, doch kann kein moderner demokratischer Rechtsstaat auf kollektiven Rechten begründet werden, sondern er muss jedem einzelnen Bürger Rechtssicherheit und Teilhabe am Staat und an der Gesellschaft verschaffen. Was soll man davon halten, wenn es Angehörigen von Minderheiten wie den Juden verwehrt wird, Präsident dieses Landes zu werden, weil sie nicht zu den drei großen Volksgruppen der Bosniaken, Serben oder Kroaten gehören. Dies entspricht nicht europäischen Rechtsnormen.

Wie sieht Ihr Zukunftskonzept aus?

Es geht darum, die Existenz des Staates zu sichern. Es mag Spannungen und Konfrontationen der großen Mächte in der Welt geben, aber seit dem letzten Krieg hat sich die Lage in unserer Region auch verändert. Damals dachte der serbische Präsident Slobodan Miloðevic, er könnte unbehelligt von außen tun, was er wollte.

Starke politische Kräfte in Serbien haben die Ziele der Miloðevic-Politik bisher nicht aufgegeben und streben nach wie vor nach einem großen Serbien.

Miloðevic konnte damals noch seine Armeen losschicken. Das geht heute nicht mehr. Aber natürlich haben wir auch jetzt noch verrückte Leute hier in der Region, die Unheil anrichten können. Die Frage ist: Wollen wir in einem Europa mit unterschiedlichen Kulturen friedlich zusammenleben oder nicht. Der europäische Einigungsprozess beantwortet die Frage mit Ja. Die Zukunft liegt im Zusammenleben. So ist Bosnien auch ein Symbol für Europa. Deshalb sollte Europa seine Werte hier in Bosnien verteidigen. Dies ist unser Standard, sollte Europa sagen. Warum müssen Kinder in unterschiedliche Schulen gehen, nur weil sie unterschiedliche Religionen haben? Das geht nicht. Europa muss vor allem in Krisensituationen zu seinen eigenen Werten stehen.

Wie geht es nun weiter?

Die wirkliche Arbeit in Bosnien wird nach der Entscheidung über das Kosovo beginnen. Nach dem 10. Dezember wird es die Unabhängigkeitserklärung Kosovos geben, dann werden einige Länder Europas und die USA den neuen Staat anerkennen. Ich warne vor allzu großer Hysterie, was mögliche Konsequenzen angeht. Diese Stimmung will die serbische Führung erzeugen, um in Europa Angst zu verbreiten und die Anerkennung Kosovos zu behindern. Wir wollen in die EU, wir wollen in die Nato. Das ist nicht nur die Lösung für Bosnien und Herzegowina, sondern auch für Serbien und die gesamte Region. Wir alle hier sollten unsere Energie darauf richten, diese Ziele zu erreichen.

INTERVIWE: ERICH RATHFELDER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.