Abrechnungsskandal in Großbritannien: Die Ikea-Tüte auf der Spesenliste

Mit Abrechnungen für ihren Zweitwohnsitz haben sich Abgeordnete Extra-Cash gesichert. Abgesetzt wurden nicht nur Gärtnerarbeiten, sondern auch Katzenfutter und Kartoffelschäler.

Auch Premierminister Gordon Brown hat keine saubere Weste. Bild: ap

DUBLIN taz | Das britische Unterhaus hat am Wochenende Scotland Yard eingeschaltet. Es geht um eine Diskette, auf der die Spesenabrechnungen der vergangenen vier Jahre von sämtlichen 646 Abgeordneten enthalten sind. Sie wurde aus einem Parlamentsbüro gestohlen und seit März verschiedenen Zeitungen für 150.000 Pfund zum Kauf angeboten. Am Freitag begann der Daily Telegraph eine Artikelserie mit Auszügen daraus. Ob und wie viel man für die Diskette bezahlt habe, wollte Benedict Brogan, der stellvertretende Chefredakteur, nicht verraten. Die Liste enthüllt die Geldgier der meisten Abgeordneten, ihre Veröffentlichung kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Erst vorvergangene Woche wollte Premierminister Gordon Brown die Spesen für einen Zweitwohnsitz durch eine Unterhaus-Anwesenheitsprämie ersetzen, musste seine Pläne jedoch begraben, nachdem Hinterbänkler mit Rebellion gedroht hatten.

Die meisten Spesenabrechnungen bewegen sich am Rand der Legalität, einige überschreiten die Grenze zum Betrug. So mancher Abgeordneter verlegt seinen Zweitwohnsitz - zumindest auf dem Papier - in seinen Wahlkreis und lässt sein Privathaus auf Staatskosten renovieren. Wenn er es dann wieder als Hauptwohnsitz deklariert, fällt beim Verkauf keine Kapitalertragsteuer an. Danach kann er ein anderes Haus kaufen, es zum Zweitwohnsitz erklären und ebenfalls mit Steuergeldern auf Vordermann bringen lassen. Für einen Zweitwohnsitz kann man auch die Möbel als Spesen abrechnen. Kriminell wird es, wenn man diese Möbel dann an den Hauptwohnsitz liefern lässt, was viele Abgeordnete getan haben. In fast allen Abrechnungen tauchen zudem Beträge von 249 Pfund auf. Quittungen über Handwerkerrechnungen musste man damals erst ab 250 Pfund vorlegen. Die meisten Abgeordneten kassierten ihren Lebensmittelzuschuss von 400 Pfund im Monat während der parlamentarischen Sommerpause.

Vorigen Monat war bereits bekannt geworden, dass Innenministerin Jacqui Smith die Leihgebühren für die Pornofilme ihres Mannes abgerechnet hat, doch die neuen Enthüllungen haben in Talkshows mit Hörerbeteiligung landesweit Diskussionen über die Habgier der Volksvertreter ausgelöst. Auf der Liste der abgerechneten Waren und Dienstleistungen finden sich Pferdemist, ein Schokoladenweihnachtsmann, ein Kartoffelschäler, das Stimmen eines Klaviers, Katzenfutter, ein Maulwurfjäger und sogar eine Ikea-Plastiktüte für fünf Pence. Keith Vaz, der Vorsitzende des Ausschusses für innere Angelegenheiten, richtete sich für 75.000 Pfund Steuergeld eine Londoner Wohnung ein, obwohl er mit seiner Frau nicht mal 20 Kilometer entfernt in einer Luxusvilla im Wert von 1,15 Millionen wohnt. Die Hinterbänklerin Margaret Moran hat 22.500 Pfund ausgegeben, um die Trockenfäule in ihrer Strandvilla zu behandeln - wenige Tage, nachdem sie ihren Zweitwohnsitz dorthin verlegt hat. Danach deklarierte sie innerhalb von vier Jahren drei weitere Adressen zu Zweitwohnsitzen und ließ die Häuser renovieren. Staatssekretärin Hazel Blears schaffte das sogar in einem einzigen Jahr. Auch Schatzkanzler Alistair Darling und Transportminister Geoff Hoon wechselten ihre Zweitwohnsitze, als ob es Unterhosen wären, und kassierten jedes Mal die Renovierungs- und Einrichtungskosten. Die Labour-Abgeordnete Barbara Follett gab 25.000 Pfund für Sicherheitspatrouillen vor ihrem Londoner Haus aus, weil sie sich "nicht sicher" fühlte. Vermutlich hat sie zu viele Krimis ihres Mannes, des Bestseller-Autors Ken Follett, gelesen.

Auch Gordon Brown zahlte seinem Bruder Andrew 6.577 Pfund aus der Steuerkasse für Reinigungsarbeiten. Eigentlich wollte der Premierminister die Spesenliste aufgrund des Gesetzes über Informationsfreiheit im Juli veröffentlichen - allerdings in stark bereinigter Form. Alistair Graham, der ehemalige Sittenwächter des Parlaments, sagte am Samstag resigniert: "Die Regeln werden bis ans Limit ausgedehnt, damit die Abgeordneten ihr persönliches Einkommen aufbessern können."

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