Interview zum Umbruch in Frankreich: "Die Linke ist in der Krise"

In Frankreich löst sich das alte Rechts-links-Schema auf, sagt Starphilosoph Alain Badiou. Nach der Kommunistischen Partei verschwinden nun die Gaullisten.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat eine neue, starke Rechte geschaffen. Bild: dpa

taz: Wie erklären Sie sich die Begeisterung der Franzosen für ihren neuen Präsidenten?

Alain Badiou: Der vorausgegangene Präsident Chirac war ein Symbol von Stagnation und Unentschiedenheit geworden. Dieser unruhige neue weckt den Eindruck, dass er jeden Tag Entscheidungen fällt, alles anpackt und überall ist. Der tiefere Grund ist, dass Sarkozy einen Epochenwechsel in Frankreich verkörpert. Er ist der Mann, der nach den Kommunisten kommt und nach den Gaullisten.

Frankreich war keineswegs kommunistisch.

Das innere Gleichgewicht Frankreichs seit dem letzten Weltkrieg ruhte auf dem Verhältnis zwischen einer starken Rechten und einer starken Linken. Kommunisten und Gaullisten waren entgegengesetzte Kräfte und zugleich Komplizen desselben Systems. In mindestens zwei wichtigen Punkten stimmten sie überein: in der Idee, dass der Staat in Wirtschaft und Sozialem intervenieren muss, und in einer gewissen Unabhängigkeit von den USA.

Sarkozy hat die französische Politiklandschaft umgewälzt

Er hat die Rechten mit den Rechtsextremen wiedervereinigt. Und die Spaltung zwischen Pétainisten und Gaullisten überwunden. Er hat eine neue Rechte geschaffen. Links gibt es dazu keine Entsprechung. Die Linke hat nicht die Spur einer Idee.

Gleicht sich Frankreich jetzt seinen europäischen Nachbarn an?

Das lässt sich noch nicht mit Gewissheit sagen. Persönlich glaube ich, dass es eine reaktionäre Normalisierung ist. Dafür gibt es mehrere Zeichen: die militärische Absicht, dass Frankreich in die Nato zurückkehrt; die Befolgung der liberalen wirtschaftlichen und sozialen Ideen, wie Schröder und Blair sie vertreten; und die antiislamische, antiafrikanische und antiarabische Ideologie.

Aber Sarkozy erklärt: Ich bin Sohn von Einwanderern.

Er hält keine Reden gegen Ausländer oder Einwanderer im Allgemeinen. Er bezieht sich auf das, was er die Werte der westlichen Zivilisationen nennt. Dem setzt er den afrikanischen Menschen entgegen - der nicht in der Geschichte ankomme bzw. Verspätung habe. Sarkozy lehnt Selbstkritik über die Kolonialkriege ab. Und ist in Zivilisationsfragen, wie etwa der Polygamie, extrem gewalttätig.

Spezifisch französisch bleibt aber die Machtkonzentration. Bei Sarkozy nimmt sie sogar noch zu. Mögen Franzosen starke Männer?

Der Zentralismus ist eine französische Tradition: von der Monarchie über die Jakobiner in der Revolution bis zu de Gaulle. Aber man sollte die Unruhe und den Opportunismus von Sarkozy nicht mit der Stärke eines Manns vom Typ de Gaulle verwechseln.

Immerhin sagt der Präsident: "Habt keine Angst", und signalisiert damit: Ich schütze euch.

Die Leute haben für ihn gestimmt, weil sie Angst haben und weil er eine repressive Politik vorschlägt. Aber bislang zeigt sich Sarkozy stark gegen die Schwachen. Und ist zufrieden, wenn Bush ihm die Hand schüttelt. Und beglückwünscht Putin zu Wahlen, die eben Putin-Wahlen sind. Die französische Tradition war anders: Sie suggerierte, Frankreich habe die Mittel, stark gegen die Starken zu sein.

Gewöhnlich nutzt Angst bei Wahlen Rechtsextremen. Dieses Mal hat davon Sarkozy profitiert.

Er ist nur gewählt worden, weil er die Stimmen der Rechtsextremen bekommen hat. Sein Trumpf war, dass er als Innenminister harte Gesetze gegen Ausländer und Einwanderer gemacht hat.

Woher rührt die Angst der Franzosen?

Frankreich war eine Weltmacht. Es ist nur noch eine mittlere Macht mit ungewisser Zukunft. Für die Subjektivität der Franzosen ist das eine schwere Prüfung.

Wie führt Einflussverlust in der Welt zu Angst im Land?

Die Leute fürchten, dass der internationale Niedergang ihr Lebensniveau bedroht, ihre Arbeit, ihren Alltag.

Kann Sarkozy den Schutz gewähren, den er verspricht?

Dazu fehlen ihm die Mittel. Seine Wahl haben nicht die großen Kapitalisten entschieden, denen er 15 Milliarden Euro Steuernachlässe geschenkt hat, entschieden hat die Masse der kleinen Leute. Ihnen schlägt er als Einziges vor: mehr arbeiten, um mehr zu verdienen. Mit Sarkozy werden die Ungleichheiten zunehmen. Die Leute werden bald feststellen, dass er ihnen in ihrem realen Leben keinen Schutz bietet.

Es hat Thatcher in Großbritannien gegeben, Schröder in Deutschland. Steht Sarkozy in dieser Linie?

Und Berlusconi in Italien. Gemeinsam ist überall der Niedergang der Linken. Es gab besondere Verhältnisse in fast allen Ländern. Die alte Labour Party hatte enge Beziehungen zu den Gewerkschaften. Die französische und die italienische Linke waren von der KP organisiert. Und in Deutschland gab es eine Sozialdemokratische Partei, die immerhin eine Tradition geerbt hat. Das Abenteuer dieser historischen Linken ist vorbei. Sarkozy markiert nicht nur den Tod des Gaullismus, sondern auch den der Linken. Letzteres vielleicht sogar sehr viel stärker.

In Deutschland ist die Agenda 2010 problemlos durchgegangen. In Frankreich hingegen hat Juppé 1995 und Sarkozy 2007 ähnliche Sozialkürzungen probiert und heftige Proteste ausgelöst. Das ist ein Unterschied.

Die Tradition des populären Kampfs existiert Gott sei Dank noch. Aber wir sollten sie nicht überschätzen. Dieser Widerstand ist extrem desorganisiert. Die Gewerkschaftsbewegung ist schwach. Die PS ist total gespalten und machtlos. Und die KPF ist verschwunden. Die Linke ist in der Krise. Absolut.

Nach nur sechs Monaten an der Macht hat Sarkozy bereits den längsten Transportstreik seit zwölf Jahren und die erste größere Banlieue-Unruhe seit zwei Jahren hinter sich. Sitzt er fest im Sattel?

Vorerst hat Sarkozy die Mittel seiner Politik. Die Macht wird nicht durch einen Streik von zehn Tagen oder eine Unruhe von 48 Stunden erschüttert. Beides war zu erwarten: Die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst und die Jugendlichen in den Vorstädten, das sind die beiden Gruppen, die Sarkozy am stärksten ablehnen.

Zahlreiche Spitzenpolitiker der PS sind zu Sarkozy übergelaufen. Andere sind in der der Opposition geblieben - formulieren dort aber keine Alternativen. Hat die PS noch eine Zukunft?

Im Unterschied zu Deutschland gibt es bei uns keine Regierung der nationalen Union.

Sie meinen die große Koalition. Gefällt Ihnen die?

Nicht im Geringsten. Aber sie ist ein Mittel der offiziellen Politik, das in wichtigen Momenten der deutschen Geschichte genutzt wird. Wenn die Linke eine rechte Politik macht, wie Schröder, kann sie sich ohne große Probleme mit der Rechten zusammentun. Bei uns will ein großer Teil der PS eine rechte Politik machen und ist überzeugt, dass sie es wie Schröder machen müssen, aber in Frankreich wiegt das Rechts-links-Schema schwer. Sie können keine offene Allianz mit den Rechten eingehen. Eine Reihe von Leuten, die nicht 20 Jahre warten wollen, bevor sie Minister werden, hat es daher individuell getan.

Wird die PS die Krise überleben?

Vielleicht werden wir eine Neubildung der französischen Parlamentslandschaft wie in Deutschland erleben. Mit einer neuen linken Partei. Teile der PS sind bereit, sich mit den Resten der KPF und der LCR zusammenzutun. Aber die Krise der offiziellen Linken wird das nur provisorisch regeln. Wenn die PS eine Regierungspartei bleiben will, muss sie eine rechte Partei werden. Wie alle sozialdemokratischen Parteien in Europa.

Und wie sehen Sie die Zukunft des Kommunismus?

Er muss sich ändern. Aber ohne die kommunistische Idee, ohne ihre Auferstehung in neuen Formen, ist es unvermeidlich, dass die europäische Linke in die totale Krise gerät.

Wieso äußern sich nur so wenige Intellektuelle kritisch über Sarkozy?

Die französischen Intellektuellen teilen seit 30 Jahren die dominierende Ideologie. Mich hat es nicht gewundert, dass sich Leute wie Kouchner Sarkozy anschließen. Sie waren humanistische Demokraten, Humanisten, Menschenrechtsverteidiger, die von der Überlegenheit des Westens überzeugt sind. Mit einer solchen Sicht der Welt können Sie unmöglich etwas Unabhängiges in der Politik schaffen. Es ging, solange es noch eine lebendige antikapitalistische, eine kommunistische Idee gab. Aber wenn Sie sagen: "Die sozialistische Idee ist gescheitert, wir müssen liberal sein", dann sind Sie sehr geschwächt. Sie können allenfalls noch den Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern aus den USA reproduzieren.

Traditionell ist der Intellektuelle, der mit einem Bein in der Universität und dem anderen in einer politischen oder sozialen Bewegung steht - als "Militanter" -, eine französische Figur, wie Jean-Paul Sartre etwa. Was hat sich daran vor 30 Jahren in Frankreich verändert?

Die Ankunft der neuen Philosophen. Statt die Position von radikaler Dissidenz aufrechtzuerhalten, schließen sie sich der herrschenden Ordnung an. Es ist eine Reaktion auf den Mai 68, in dem sie aktiv waren. Sie haben die Kehrtwende vollzogen, weil sie nicht siegreich waren.

Und wieso haben Sie selbst diese Kehrtwende nicht vollzogen?

Weil ich anders als sie nie geglaubt habe, dass wir gleich an die Macht kommen würden.

Sie wollen die Macht also später?

Wer sich auf Macht konzentriert, setzt die vorausgegangene Sequenz fort. Die revolutionären Chefs des 20. Jahrhunderts haben sich auf die Macht konzentriert. Sie sind gescheitert. Es gab eine Unfähigkeit, eine Macht zu schaffen.

Wen meinen Sie?

Lenin, Mao und die anderen. Auch Brecht. Sie waren von der Verbindung zwischen Emanzipation und Macht fasziniert. Und hingen der Idee an, dass der Kommunismus die Macht ergreifen würde. Das hat den Kult des sozialistischen Staates geschaffen. Das ist vorbei. Was wir auf dem Weg der Emanzipation machen können, ist eine Sache. Die Macht ist eine andere. Lassen wir die Macht der Macht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.