Wahlen in Bulgarien: Eine Stimme für 10 bis 20 Euro

Bei den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag werden die regierenden Sozialisten deutlich verlieren. Denn die Bevölkerung hat genug von Korruption und Misswirtschaft

Nach Umfragen designierter Sieger der Wahl: der charismatische Law-and-Order-Politiker Bojko Borisow. Bild: dpa

SOFIA taz | "Die Politiker in Bulgarien sind korrupt und stehlen alle. Um das Volk schert sich keiner von denen", sagt Kornelia Kolewa und winkt entnervt ab. Die 74-jährige Rentnerin betreibt ein Bistro mit dem Namen "arm - reich" in der Chadschi Dimityr-Straße im Zentrum der Hauptstadt Sofia. Von acht bis zwanzig Uhr bedient sie hier an sechs Tagen in der Woche ihre Gäste. "Solange ich noch laufen kann, mache ich meine Arbeit", sagt die resolute Frau, die 300 Leva Rente (150 Euro) bekommt und auch noch ihren schwerkranken Sohn versorgen muss. Zwar ist Kornelia Kolewa von den Politikern enttäuscht, doch wählen gehen will sie trotzdem. "Meine Stimme bekommen die Liberalen, die blaue Koalition", sagt sie.

Am Sonntag entscheiden die Bulgaren über die künftige Zusammensetzung des Parlaments. Jüngsten Umfragen nach könnten acht Parteien und Bündnisse den Einzug in die Volksversammlung schaffen. Als stärkste Kraft mit knapp 27 Prozent werden der Sofioter Bürgermeister Bojko Borisow und seine erst 2006 gegründete rechtspopulistische Partei "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" (Gerb) gehandelt. "Kampf gegen die Korruption" lautet ein Motto des 49-jährigen charismatischen Law-and-Order-Mannes, der in den 80er Jahren einschlägige Berufserfahrungen im bulgarischen Innenministerium sammelte. Dabei spielt Bojko, wie ihn seine Landsleute nennen, nahezu perfekt die Rolle eines "Retters" in der Not, wie ihn sich viele Bulgaren wünschen.

GEB wirbt, wie andere Parteien auch, mit dem Slogan "Kauf und Verkauf von Stimmen ist ein Verbrechen". Derlei Methoden waren und sind in Bulgarien gängige Praxis. Der Preis für eine Stimme liegt zwischen 20 und 50 Lewa (10 bis 25 Euro). Laut einer Erhebung von Transparency International in Bulgarien wären bei den bevorstehenden Wahlen 25 von 100 Bulgaren bereit, ihre Stimme zu verkaufen.

Der Verlust der Hälfte ihrer 82 Mandate droht den Sozialisten (BSP) unter dem derzeitigen Regierungschef Sergej Stanischew. Die BSP liegt bei 18,5 Prozent der Stimmen. Nach vierjähriger Amtszeit und zweieinhalb Jahren EU-Mitgliedschaft hat die Regierung im Kampf gegen Korruption und das organisierte Verbrechen kaum Erfolge vorzuweisen. Zudem haben sich die Sozialisten durch Skandale bei dem Missmanagement von EU-Mitteln bei den Wählern nachhaltig diskreditiert.

Mit einem Stimmenanteil von 12,4 Prozent rechnen kann die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), die seit 1997 mit in der Regierung sitzt und vor allem von Angehörigen der türkischen Minderheit gewählt wird. Ihr mafiöser Chef Achmed Dogan sorgte unlängst bei einem Wahlkampfauftritt für einen Skandal. Einzig und allein er sei das Instrument in den Machtstrukturen, das die Finanzmittel im Staat verteile. Demgegenüber hätten die Abgeordneten keine Macht und nichts zu sagen, erklärte Dogan.

Diese Äußerung war eine Steilvorlage für Wolen Siderow, den Vorsitzenden der rechtsextremen Partei Ataka. Die Partei, die nach dem Motto "Bulgarien den Bulgaren" vor allem gegen der Türken und Roma Stimmung macht, liegt derzeit bei 9,6 Prozent. Die vier weiteren Anwärter auf Parlamentssitze - darunter die blaue Koalition des Exregierungschefs Ivan Kostow sowie die Nochregierungspartei des früheren Zaren Simeon - gehören dem rechtszentristischen Lager an. Ihnen werden Ergebnisse zwischen sechs und neun Prozent vorhergesagt.

Antoneta Zoschewa geht für die Blaue Koalition ins Rennen. "Bulgarien ist das korrupteste Land in Europa", sagt die 39-Jährige, die in einer Nichtregierungsorganisation für Korruptionsbekämpfung gearbeitet hat. "Ich will dazu beitragen, dass die Würde unseres Landes wiederhergestellt wird und Europa wieder Vertrauen zu Bulgarien fasst. Dafür braucht es Leute meiner Generation", sagt sie. Nicht nur Zoschewa rechnet mit einer langwierigen Regierungsbildung. Denn selbst, wenn es für eine Mehrheit des rechten Lagers reichen sollte, ist dessen Bereitschaft zur Zusammenarbeit fraglich. Und eine Koalition mit den Sozialisten oder der DPS lehnt Bojko Borisow bislang kategorisch ab. Und so könnten die Bulgaren im Herbst wieder an die Urnen gerufen werden. Doch das wäre, angesichts der Wirtschaftskrise, deren Auswirkungen sich immer deutlicher zeigen, wohl die schlechteste Variante.

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