Zur Präsidentschaftswahl in Kroatien: Gelungene Öffnung

Die Korruption ist rückläufig, der Tourismus läuft, nur die Industrie tut sich schwer. Stipe Mesic hat Kroatien in die Demokratie und nach Europa geführt. Bilanz und Ausblick.

Nochpräsident Stipe Mesic, als er 2005 mit überwältigendem Erfolg wiedergewählt wurde. Bild: reuters

Über zwei Drittel der Kroaten werden zu Beginn des neuen Jahres traurig sein. Dann wird Stipe Mesic, seit zehn Jahren ihr Präsident, seinen Sessel räumen müssen. Bei den Präsidentschaftswahlen im Januar 2000 hatte der volkstümlich auftretende Politiker überraschend und überragend gesiegt. 2005 konnte er seinen Wahlerfolg wiederholen. Mit dem linksliberalen Mesic zog ein neuer Geist in die Regierungsgebäude in Zagreb ein. Der immer witzige, aber auch gesellschaftliche Missstände anprangernde Politiker, von Haus aus Jurist, erwies sich als Glücksfall für die kroatische Geschichte. Während seiner zwei Amtsperioden hat sich das Antlitz des Landes grundlegend gewandelt. Kroatien ist unter Mesic zu einer modernen und stabilen Demokratie auf dem Weg nach Europa geworden.

Mit zwei Drittel der Stimmen wie bei Mesic wird wohl keiner seiner potenziellen Nachfolger rechnen können. Das Rennen am 27. Dezember ist völlig offen. Bis vor Kurzem hatte der Zagreber Bürgermeister Milan Bandic in den Umfragen die Nase vorn, nun ist es der Sozialdemorkat Ivo Josipovic. Allgemein rechnen alle Beobachter mit einer Stichwahl zwei Wochen später.

Wer wählt? Am 27. Dezember dürfen 4,4 Millionen Wähler einen neuen Präsidenten bestimmen. Nach kroatischem Wahlrecht haben alle Staatsbürger, egal wo sie wohnen, das Recht abzustimmen. So können auch Kroaten aus Bosnien und Herzegowina, die über einen kroatischen Pass verfügen, an der Abstimmung teilnehmen.

Wer gewinnt? Nach neuesten Umfragen liegt der Sozialdemokrat Ivo Josipovic mit etwa 20 Prozent der Stimmen vorne. Die anderen Kandidaten liegen mit 7 bis 15 Prozent dahinter. So sind Prognosen über den Wahlausgang nicht statthaft. Sicher ist nur, dass es zu einer Stichwahl kommen wird.

Der populäre - besser populistische - und als Bürgermeister sehr erfolgreiche Sozialdemokrat Ivo Bandic tritt gegen den Willen seiner Partei an und hat damit die Anhängerschaft der in letzter Zeit wieder populär gewordenen Oppositionspartei gespalten. Denn eigentlich schicken die Sozialdemokraten (SDP) den Juraprofessor Ivo Josipovic ins Rennen. Der angesichts seiner Skandale und Skandälchen schon als kroatischer Berlusconi angesehene Bandic hat sich einfach über die Beschlüsse seiner Partei hinweggesetzt.

Deshalb rechnet sich die konservative Kroatische Demokratische Gemeinschaft ( HDZ) eine Chance aus. Sie schickt den zum rechten Parteiflügel gehörenden Andrija Hebrang ins Rennen. Aber auch im konservativen Lager sind Gegenkandidaten aufgetaucht, so der Chef der Wirtschaftskammer, Nadan Vidosevic, und zwei ehemalige Minister, Dragan Primorac und die Christdemokratin Vesna Skare-Ozbolt. Die Kroatische Volkspartei Liberale Demokraten verlässt sich auf die linksliberale Menschenrechtsaktivistin und Europolitikerin Vesna Pusic, die angesichts der Zersplitterung der Stimmen in den beiden großen politischen Lagern durchaus eine Chance hat, den zweiten Wahlgang zu erreichen.

Der neue Präsident wird die Geschicke des Landes zusammen mit der konservativen Premierministerin Jadranka Kozor leiten müssen. Weiterhin ist das Hauptziel der kroatischen Politik die Integration des Landes in die EU. Nachdem im vergangenen Sommer der Grenzstreit mit Slowenien beigelegt werden konnte, sind die Chancen wieder gewachsen, schon 2011 in die Europäische Union eintreten zu können. Der inzwischen populären Jadranka Kozor, die erst vor einem halben Jahr das Amt von Ivo Sanader übernommen hatte, gelang es mit einigem Verhandlungsgeschick - und gemeinsam mit Stipe Mesic - einige der von der EU aufgestellten Hürden zu beseitigen.

In den letzten zehn Jahren hat sich das Leben in Kroatien sehr verändert. Nach dem Tode des alten Päsidenten Franjo Tudman im Dezember 1999 war Kroatien in vielerlei Hinsicht am Ende. Dem wie ein südamerikanischer Diktator auftretenden Tudman, der den Krieg in den Jahren 1991 bis 1995 gegen Serbien gewonnen hatte, wurde von der Opposition vorgeworfen, mit seiner Klientelpolitik das Land heruntergewirtschaftet, das Volksvermögen mittels einer sogenannten Privatisierung an Parteifreunde verteilt und das Land außenpolitisch isoliert zu haben. Die ehemals wichtigste Einnahmequelle, der Tourismus, war versiegt. Wer wollte schon in ein Land mit einem solchen Präsidenten reisen? Während der Nachbarstaat Slowenien Ende des Jahrtausends schon wieder den Vorkriegsstandard erreicht hatte und seine Fühler nach Europa ausstreckte, siechte Kroatien wirtschaftlich und politisch dahin.

Der Machtwechsel im Januar 2000 - Stipe Mesic wurde Präsident, die Sozialdemokraten gewannen die Parlamentswahlen - leitete den politischen Wandel ein. Und damit wandelte sich auch das Image Kroatiens. Schon 2003 reichte Mesic den Beitrittsantrag Kroatiens für die EU ein, vor allem aber gelang es ihm auch, die euroskeptischen Kroaten von dieser Perspektive zu überzeugen. Die seit 2003 wieder konservative Regierung unter Ivo Sanader führte das Land außerdem in die Nato-Mitgliedschaft.

Der Lebensstandard in Kroatien ist heute wesentlich höher als in den südlicher liegenden Balkanländern. Der Tourismus läuft wieder und erreichte dieses Jahr trotz Bankenkrise fast den Rekord von 2008. Die in den letzten Jahren erfolgte Verbesserung der Infrastruktur trägt Früchte. Nicht nur die Autobahn Zagreb-Split, vor allem auch die verbesserten Angebote haben den Tourismus des Landes beflügelt, das mit über 1.300 Kilometer Adriaküste und Hunderten von Inseln gesegnet ist.

Diversifikation heißt jetzt die Devise, endlich werden Wanderwege angelegt oder verbessert, werden Häfen für Segler und Yachten erweitert und erneuert. Neue Hotels für mittlere und gehobene Ansprüche sind entstanden, die Wellnesswelle hat Kroatien erreicht. Die Entwicklung der Industrie und der Landwirtschaft macht hingegen Sorgen. Es geht nicht so voran, wie es vorangehen könnte. Die einstmals konkurrenzfähige Werftindustrie kann sich nur mit Staatsunterstützung halten. Die Lebensmittelindustrie ist zwar in Gang gekommen, wegen des hohen Kurses der kroatischen Währung Kuna werden jedoch Exporte erschwert. Nur 10 Prozent der Industrie ist exportorientiert. Die Investitionen aus dem Ausland gingen vor allem in den Bankensektor - der größte Investor ist Österreich -, nicht aber in die produktive Industrie. Und diese Investitionen sind in letzter Zeit sogar wieder rückläufig.

Korruptes Justizsystem

Kroatien habe Fortschritte hinsichtlich der von der EU gestellten Bedingungen gemacht, stellt der jüngste Fortschrittsbericht der EU klar. Bemängelt allerdings wird das immer noch fragwürdige Justizsystem, die mangelnde Flexibilität in der Verwaltung. Die EU erwartet größere Anstrengungen im Kampf gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen. Außerdem lässt die Lage der Minderheiten nach wie vor zu wünschen übrig.

Die schwerfällige Bürokratie und das Justizsystem sind in der Tat ein Wachstumshemmer. Viele Eigentumsfragen bleiben ungeklärt, weil die Gerichte überlastet sind. Über eine Million Verfahren in einem Land mit knapp 5 Millionen Einwohnern stehen an. Und das, obwohl das Land über die höchste Richterdichte Europas verfügt. Schlecht steht es mit der Aufsicht über die Juristen. Wer einmal in Amt und Würden ist, hat eine Stellung auf Lebenszeit. Das Justizsystem hat den Ruf, besonders anfällig für Korruption zu sein.

Potenzielle Anleger schrecken auch deshalb vor Investitionen zurück, weil die Bürokratie gerade bei Eigentumsfragen und Genehmigungen im Bausektor immer wieder Hürden aufbaut. Kroatien sei wegen der schleppenden Bürokratie für ausländische Geldgeber nicht attraktiv, kritisierte kürzlich ein Sprecher der Nationalbank. Wer sich in Kroatien ein Haus kauft, muss mit langen Wartezeiten rechnen, bis es ihm tatsächlich überschrieben wird. Doch seit zwei Jahren hat sich bei den "normalen Behördengängen" einiges getan. Die Bürokratie wurde verschlankt und arbeitet nun tatsächlich effektiver als zuvor.

Der Fisch stinke vom Kopfe her, hat Präsident Stipe Mesic drastisch erklärt. Er meinte damit die Korruptionspraxis führender Politiker und Staatsdiener. Man müsse als Erstes die Korruption in Politik und Bürokratie bekämpfen, forderte er. Im letzten Herbst reagierten die Strafverfolgungsbehörden endlich. Der frühere kroatische Verteidigungsminister Berislav Roncevic muss sich jetzt wegen eines Korruptionsfalls verantworten. Nach schweren Korruptionsvorwürfen ist der stellvertretende kroatische Regierungschef Damir Polancec zurückgetreten. Polancec soll der Drahtzieher im jüngsten Korruptionsfall um den größten Nahrungsmittelhersteller Podravka sein. Rund ein Jahr nach der Ermordung des kroatischen Journalisten und Zeitungsverlegers Ivo Pukanic wurden in Zagreb Anklagen gegen die mutmaßlichen Verantwortlichen bekannt gegeben. Die kroatische Polizei beschuldigt sechs bekannte Kriminelle des Anschlags.

Trotz dieser Erfolge wird es sehr schwer sein, die Forderung der EU, das Justizsystem zu modernisieren, in absehbarer Zeit zu erfüllen. Doch Mesic wollte noch vor dem Ende seiner Amtsperiode der EU beweisen, dass sein Land dazu in der Lage ist. Diese Politik kann nur erfolgreich zu Ende geführt werden, wenn der neue Präsident konsequent wie Mesic handelt. Oder eine Präsidentin: Nur die Kandidatin Vesna Pusic verbürgt diese Politik. Sie ist eine Parteifreundin des alten Präsidenten. Und gilt in Bezug auf die Korruptionsbekämpfung als noch unerbittlicher als Mesic.

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