Christenmord-Prozess in der Türkei: "Indirekter Aufruf zu weiteren Morden"

Im Prozess gegen die Mörder dreier Christen versucht die Staatsanwaltschaft zwar, hartes Durchgreifen zu demonstrieren. Doch die Ermittlungen zeigen Merkwürdigkeiten.

April 2007: Türkische Polizisten tragen eines der Opfer aus dem Gebäude in Malatya. Bild: dpa

ISTANBUL taz Gestern hat in der osttürkischen Stadt Malatya der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mörder begonnen, die am 18 April drei christliche Missionare ermordet haben sollen. Die Staatsanwaltschaft beantragte zum Prozessauftakt gegen alle fünf Angeklagten lebenslängliche Haftstrafen, wegen Mordes und Bildung einer terroristischen Vereinigung. Die Morde hatten weltweit für Aufsehen gesorgt, weil einer der drei ermordeten der 47jährige Deutsche Tilman Geske war und es bereits zuvor zu Anschlägen und Morden an Christen in der Türkei gekommen war.

Die Opfer betrieben in Malatya einen christlichen Verlag, in dem Bibeln und andere christliche Literatur hergestellt und vertrieben wurden. Bereits vor dem Mordanschlag waren sie häufig Pressionen ausgesetzt, die Lokalpresse betrieb eine regelrechte Kampagne gegen die "ausländischen Missionare".

Der Prozess fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt, Zugang hatten außer den Angehörigen von Opfern und Angeklagten nur Journalisten und Prozessbeobachter der deutschen Botschaft.

Die mutmaßlichen Mörder sind allesamt junge Männer, die in Malatya gemeinsam ein Internat zur Vorbereitung für die Universitätsaufnahmeprüfung besuchten. Der Anführer der Gruppe, Emre Günaydin, der die anderen zu der Tat angestiftet haben soll, ist Mitglied der Ülkü Ocaklari, der Jugendorganisation der rechtsradikalen MHP, auch als Graue Wölfe bekannt. Die fünf waren in das Verlagsbüro gekommen, hatten die drei anwesenden Tilman Geske, Necati Aydin und Ugur Yüksel an Stühlen festgebunden, über zwei Stunden gefoltert und ihnen anschließend die Kehlen durchgeschnitten.

Obwohl die Anklage mit der geforderten Höchststrafe ein hartes Durchgreifen suggeriert, beklagte der Anwalt der Familie Geske, Orhan Kemal Cengiz, bereits vor Prozessbeginn, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft den Eindruck machten, als ginge es um zwei rivalisierende Banden und nicht um drei völlig unschuldige Opfer "die auf grausamste Weise abgeschlachtet wurden". Laut Cengiz haben Polizei und Ankläger sich mehr um den Hintergrund der Opfer als um den der Täter gekümmert. So seien alle Kontakte der drei Getöteten zu anderen Christen in der Türkei aufgelistet und die Betreffenden teilweise mit Adresse und Telefonnummer genannt worden - für Cengiz eine indirekte Aufforderung zu weiteren Morden.

Auf der anderen Seite habe die Staatsanwaltschaft sich für die Hintermänner der Täter kaum interessiert. Ein führendes MHP-Mitglied in Malatya, Ruhi Polat, der nachweislich intensiven Kontakt zum mutmaßlichen Haupttäter Emre Günaydin hatte, sei nur oberflächlich befragt worden, obwohl Günaydin angegeben hatte, von Polat maßgeblich beeinflusst worden zu sein. Auch andere Kontakte der Täter in die rechtsradikale und islamistische Szene wurden nicht weiter ausgeleuchtet. Das Verfahren erinnert deshalb an das ebenfalls noch anhängige Verfahren gegen die Mörder des armenischen Journalisten und Menschenrechtlers Hrant Dink, in dem die Spuren in die Polizei und in die rechtsradikale Szene hinein auch eher vertuscht als aufgeklärt werden. Die Witwe des ermordeten Geske lebt nach wie vor in Malatya und will auch dort bleiben. "Ihr Mann", sagte sie in einem Interview, sei ein Märtyrer für Jesus. Sie und ihre Freunde wollten weiterhin christliches Zeugnis in der Türkei geben. Der Prozess ist auf mehrere Monate terminiert und soll im Januar fortgesetzt werden.

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