Beisetzung Solschenizyn: Kreml erweist letzte Ehre

Die Zahl der Trauergäste am Sarg des Dissidenten hält sich in Grenzen. Doch Medwedjew, Putin und Medien widmeten dem verstorbenen Schriftsteller große Aufmerksamkeit.

Ein Begräbnis, das keine trauernden Massen anzog: Totenwache am Sarg von Solschenizyn.

MOSKAU taz Der am Montag verstorbene Sowjetdissident und Schriftsteller Alexander Solschenizyn wurde am Mittwoch im Moskauer Männerkloster Donskoi beigesetzt. Vor fünf Jahren hatte Solschenizyn den Patriarchen der orthodoxen Kirche Alexei II. gebeten, ihn in diesem traditionsreichen Kloster neben einem der berühmtesten russischen Historiker zu beerdigen. Solschenizyn verstand sich als Epigone des 1911 verstorbenen Forschers Wassili Kljutschweski, der wie er Russland für ein Land mit einer besonderen Mission in der Welt hielt. Die Nähe zwischen dem Patriarchen und dem einstigen Gulag-Häftling zeigt, wie widersprüchlich die Wege von Politik und Geschichte in Russland sein können. Alexei II. war ein Agent des KGB, Solschenizyn der moralische Rigorist, der den Untergang des totalitären Systems beschleunigte.

Vielleicht ist dieser Widerspruch der Grund, warum nur wenige Menschen am Dienstag in der Akademie der Wissenschaften an der Trauerfeier teilnahmen, wo der Leichnam aufgebahrt war. Noch weniger Trauergäste fanden sich am Mittwoch im Donskoi Kloster ein. Als Russlands erster Präsident, Boris Jelzin, 2007 beerdigt wurde, säumten Tausende seinen letzten Weg. Solschenizyn hatte den meisten Menschen in Russland nicht mehr viel zu sagen. Seine rückwärtsgewandte Utopie, die sich an einem glücklich vorrevolutionären Russland orientierte, galt vielen als Anachronismus, während die älteren Kommunisten ihm den Kampf gegen den Bolschewismus und die Enthüllungen der Gräueltaten als Nestbeschmutzung anlasten.

Auffallend war die Aufmerksamkeit der politischen Elite und der gleichgeschalteten elektronischen Medien, die den Verstorbenen würdigten. Präsident Dmitri Medwedjew unterbrach den Urlaub, um an der Beisetzung teilzunehmen. Gestern ordnete er an, eine Straße nach dem Verstorbenen zu benennen, einen Literaturpreis auszuloben und ein Stipendium auszuschreiben.

Am Vortag war Premier Wladimir Putin, Expräsident und Exgeheimdienstchef, auf der Trauerfeier erschienen. Der Kreml erwies dem Toten alle Ehren und ließ viertelstündlich eine Garde mit blinkenden Bajonetten um den Sarg defilieren.

Solschenizyn war weder Demokrat noch Kosmopolit, eher ein russischer Nationalist, der den Zusammenbruch des Imperiums nicht verwinden konnte. Dieses Leiden und die Hoffnung auf eine neue Rolle als Supermacht verbanden ihn mit Putin, den er für einen Restaurateur der russischen Mission hielt. Zweimal besuchte Putin in seiner Amtszeit den Schriftsteller in dessen Haus vor Moskau. Aus Putins Händen nahm er auch einen Staatspreis entgegen. Boris Jelzin, der ihm in den 90er-Jahren den Orden Andrei Perwoswannij überreichen wollte, hatte er eine Abfuhr erteilt.

Die Demontage der Demokratie unter Putin beunruhigte Solschenizyn keineswegs. In seinem vormodernen Gedankengebäude figurierte Demokratie lediglich als wesensfremder Westimport. Die reaktionäre Politik des Kremls nutzte auch die antirevolutionäre Position Solschenizyns im tagespolitischen Geschäft.

Als flammender Gegner jeder Revolution wurde Solschenizyn als moralische Instanz gegen die Orange Revolutionen in der Ukraine und Georgien vereinnahmt. Dem diente wohl auch die Verleihung des Staatspreises 2007, in der Kremlchef Putin den Beitrag des Schriftstellers zur Bewahrung und Förderung der russischen Sprache würdigte. Das zentrale Werk über den "Archipel Gulag", mit dem Solschenizyn den Opfern des Stalinismus eine Stimme verlieh, wurde in der Laudatio mit keinem Wort erwähnt. Der Preisträger nahm dies hin. Wieder stand nicht Russlands Schicksal im Vordergrund, sondern Russland als Schicksal.

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