Immer mehr private Sicherheitsleute: Polens Polizei auf dem Rückzug

Private Wachdienste übernehmen immer häufiger Aufgaben der Polizei - aus Kostengründen. Besonders beliebt, weil billig, sind Unternehmen, die viele Invaliden beschäftigen.

Die Folgen des Outsourcings der Staatsgewalt: Krawalle Ende Juli, als private Wachleute eine Basarhalle in Warschau räumen sollten. Bild: ap

WARSCHAU taz | "Ochrona": wer sich in Polens Hauptstadt umsieht, stößt ständig auf dieses Wort. Es steht auf den schwarzen T-Shirts und Schildmützen stiernackiger Kerls, müder Weißhaariger und Frauen jungen und mittleren Alters. Es klebt diskret an fast jedem neuen Gebäude und prangt am rostigen Maschendrahtzaun der Parkplätze in den Wohnvierteln.

Das Wort bedeutet ursprünglich schlicht "Schutz", im aktuellen Gebrauch aber "privater Wachdienst". Kritische Zeitgenossen verbinden den Begriff auch mit dem Einknicken der Exekutive. Denn mit einem Personal von über 58.000, so das staatliche Fernsehen TVP, übertreffen die Sicherheitsleute in der Anzahl mittlerweile den Stab der Warschauer Polizei.

Etwa ein Drittel des Umsatzes der Firmen, der bei umgerechnet 1,3 Milliarden Euro jährlich liegt, werde bereits bei städtischen und staatlichen Einrichtungen verdient, so die aktuelle Newsweek Polska. Nach Prognosen des Magazins übernehmen die Sicherheitsfirmen zunehmend auch Patrouillen der Polizei und werden private Gefängnisse wie in den USA betreiben. Aus Kostengründen.

Zu welchen Problemen das Outsourcing der Staatsgewalt führen kann, zeigte ein Vorfall Ende Juli. Mittels der "Ochroniarzy" ließ ein Gerichtsvollzieher eine Basarhalle im Zentrum der Stadt räumen. Die Händler hatten sich verbarrikadiert, um den Abriss der Halle zu verhindern, die einem Museum für Moderne Kunst weichen soll. Dabei kam es zu massiver Gewalt von beiden Seiten. Die Polizei griff erst ein, als die Wachmänner mit der Situation nicht fertig wurden.

Der Vorfall führte zu einer zaghaften Diskussion, was die Sicherheitsfirmen dürfen und was nicht. Das Innenministerium ließ die entsprechende Firma untersuchen, die Medien greifen das Thema langsam auf. Doch den Sinn der Ochrona-Firmen zweifelt jenseits der unabhängigen Linken kaum ein Vertreter des öffentlichen Lebens an. Jeder Warschauer, der ein wenig besser verdient, ist bei der Arbeit wie im Alltag von privaten Wachfirmen umgeben. Grzegorz B., Verwalter von zwei gehobenen Wohnsiedlungen im Süden Warschaus, erklärt das so: "Hier in Warschau braucht die Polizei manchmal über eine Stunde, um vor Ort zu sein, eine abonnierte private Sicherheitsfirma schafft es in etwa fünf bis zehn Minuten."

Wer in Polen ein größeres Haus baut, lässt zuerst eine kleine Bude errichten - für den Wachmann, der das Baugelände bewacht. Später erhält das Gebäude ein Logo des entsprechenden Sicherheitsdiensts, größere Siedlungen haben ihre eigene stationäre Wachmannschaft und einen Zaun. Gerade 1,30 bis knapp 3 Euro pro Stunde verdient ein Wachmann bei solchen Aufpasserjobs, die keine weitere Spezialisierung verlangen.

Oft kommt das Personal aus dem strukturschwachen Land um Warschau. Den einkommensschwachen Helfern in Schwarz wird darum auch von den solventen Bewohnern entsprechend skeptisch begegnet - könnten diese doch ihren geringen Verdienst durch krumme Geschäfte aufbessern. Die Kriminalitätsstastik ist allgemein rückläufig, doch unter den Polen, die traditionell wenig Vertrauen in den Staat haben, herrscht das Gefühl vor, ohne zusätzliche Absicherung gefährdet zu sein.

Das Geschäft mit der Sicherheit treibt zurzeit auch seltsame Blüten, beklagte jüngst die konservative Zeitung Rzeczpospolita. Da die Konkurrenz wächst und sich die Firmen Preiskriege liefern, gewinnen letztens jene Wachdienste Ausschreibungen, die viele Invaliden eingestellt haben. Diese leben teils von einer staatlichen Rente. So kann der Preis besser gedrückt werden.

Immerhin: Die staatliche Agentur für Arbeitsinspektion will die Lohnverhältnisse der Wachmänner und -frauen besser kontrollieren.

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