Wer vom schwedischen Abhörgesetz profitiert: Spitzeln für den Markt

80 Prozent des Internetverkehrs Russlands läuft über Schweden. Die "Lex Orwell" eignet sich damit bestens für Militär- und Wirtschaftsspionage.

80 Prozent des russischen Internetverkehrs läuft über Schweden. Gibt es da vielleicht einen Zusammenhang mit dem Orwell-Gesetz? Bild: dpa

STOCKHOLM taz Schweden eignet sich ideal dafür, den Internetverkehr von und nach Russland zu überwachen. Weil täglich bis zu 80 Prozent dieses Verkehrs über Kabel verläuft, die dieses Land durchqueren. Möglicherweise besteht also ein Zusammenhang zwischen dem soeben von der schwedischen Regierung beschlossenem Gesetz, dass die die bisher weitreichendsten Überwachungsmöglichkeiten für den Internet- und Telefonverkehr in einer westlichen Demokratie erlaubt.

Darüber wird nun in Schweden vermehrt diskutiert. Klar ist, dass der Militärgeheimdienst FRA ab kommendem Jahr tatsächlich die Möglichkeiten hätte, weite Teile des russischen Internetverkehrs zu kontrollieren, für den es im wesentlichen nur zwei Daten-Autobahnen gen Westen gibt. Die eine verläuft über Wien und ist meist ziemlich verstopft. Die andere verläuft direkt durch die Ostsee, und geht dann von Schweden weiter nach Westeuropa und in die USA. Laut Patrik Fältström, Internetexperte des Netzwerkunternehmens Cisco, läuft das meiste des russischen Internetverkehrs über diese Kabel des finnisch-schwedischen Telekomunternehmens Telia-Sonera, da diese großzügig ausgebaute Verbindung meist über ausreichend offene Kapazitäten verfüge. Die übermittelten Daten überschreiten zweimal die schwedischen Grenzen und werden damit in Zukunft routinemässig auf die FRA-Rechner kopiert werden.

Spionage gen Osten war schon immer ein Schwerpunkt der FRA-Arbeit. Und viel scheint sich an diesem Feindbild nach dem Ende der Sowjetunion nicht geändert zu haben. Erst vor einigen Tagen wurde bekannt, dass jedenfalls noch bis vor einigen Jahren Geschäftsleute und andere Personen mit laufenden Kontakten nach Russland speziell und offenbar vom Gesetz nicht gedeckt durch den Militärgeheimdienst überwacht wurden.

Die Netzausgabe der Computerzeitschrift Computer Sweden bezieht sich auf "gut informierte Kreise" und behauptet, dass von Anfang an gar nicht die behauptete Terrorabwehr, sondern das Ausspähen Russlands ein Anstoss für das neue Gesetz gewesen sei. Das Militär habe auf die günstige Gelegenheit verwiesen, dass nicht nur ein grosser Teil des internationalen, sondern auch des nationalen Verkehrs mancher Länder über diese Kabel läuft. Und nicht nur militärische, sondern auch wirtschaftlich interessante Informationen liessen sich ganz legal mit der schwedischen "Lex Orwell" abschöpfen. In dem Gesetz wird nämlich explizit erwähnt, dass zu den für die Sicherheit des Landes relevanten Bereichen auch Turbulenzen im Währungssystem oder drohende ökologische Krisensituationen zu zählen sind.

Vielleicht will Schweden also mit seinem Abhöreifer auch eine Schuld an die USA, Grossbritannien & Co zurückbezahlen dafür, dass das offiziell neutrale Land seit vielen Jahren an den NATO-Informationen aus dem Satteliten- und Funkabhörnetzwerk Echelon teilhaben darf. Außerdem wird Stockholm von Washington vermutlich schon seit längerem unter Druck gesetzt, weil die Schweden allzu lange die Filesharing-Aktivitäten von "Piratebay" dulden, welche der US-Unterhaltungsindustrie angeblich einen jährlichen Schaden von mehreren Milliarden Dollar verursachen. Aktivitäten, wegen derer die USA schon offen mit Handelssanktionen drohten und über die nun womöglich gerichtlich verwertbare Informationen in den FRA-Überwachungsrechnern hängen bleiben.

Bei FRA wird kein Geheimnis daraus gemacht, dass das, was man in Schweden in Zukunft herausfiltern wird, "befreundeten" Staaten zugänglich gemacht werden soll.

Eine entsprechende Befugnis ist auch ausdrücklich im Gesetz verankert. "Und das sind natürlich Daten, die international höchst interessant sind", meint der Sicherheitsexperte Bo Hugemark.

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