Privatisierung der Krankenvorsorge: Stockholm spart Asylbewerber krank

In Schwedens Hauptstadt bleiben Patienten wegen eines Billigunternehmens in der Gesundheitsfürsorge auf der Strecke. Doch die Stadt spart und mit 31 Prozent stimmt die Rendite.

Schöne Stadt, miese Methoden: Flüchtlinge in Stockholm leiden unter mangelhafter Gesundheitsvorsorge. Bild: ap

STOCKHOLM taz Mit bleibenden Gesundheitsschäden müssen einzelne Flüchtlinge die Knauserigkeit der Stadt Stockholm bezahlen. Denn für Asylsuchende und Flüchtlinge sollte die billigste Gesundheitsvorsorge noch gut genug sein. Die fragliche Personengruppe wurde deshalb aus der allgemeinen öffentlichen Krankenvorsorge ausgegliedert und ihre Gesundheit jenem Privatanbieter anvertraut, der das günstigste Angebot dafür abgegeben hatte. Schnell häuften sich Anzeichen für Fehler, Missstände und Versäumnisse.

Doch es dauerte länger als ein Jahr, bis die staatliche Sozialverwaltung "Socialstyrelsen" dieses Gesundheitsunternehmen genauer unter die Lupe nahm. Das vernichtende Urteil mit den Worten des regionalen "Socialstyrelsen"-Chefs Staffan Blom lautet: "Völlig inakzeptable Missstände".

So blieben in 70 Fällen Untersuchungsresultate bezüglich TBC- und Hepatitis-Infektionen einfach liegen, obwohl in den meisten Fällen eine umgehende Behandlung erforderlich gewesen wäre. Bei einem 12-jährigen Jungen wurde beispielsweise Hepatitis B deshalb eineinhalb Jahre lang verschleppt. Andere PatientInnen hatten zwischenzeitlich Lungenveränderungen entwickelt. Ähnliches passierte bei HIV-Erkrankungen, wo positive Tests verschlampt wurden.

"Empörend" findet das Henrik Almqvist, Chefarzt bei der Gesundheitsverwaltung von Stockholm: "Das Unternehmen hat die ihm anvertrauten Patienten im Stich gelassen, und es handelt sich bei den Flüchtlingen ja um die Schwächsten in unserer Gesellschaft."

Das günstige Angebot, das das Unternehmen FMC ("Flyktingmedicinskt Centrum") liefern konnte, hatte offenbar seinen Preis. Zwingenden Bestimmungen sei nicht gefolgt und Kontrollen seien vernachlässigt worden, bemängelt "Socialstyrelsen": Die ÄrztInnen hätten sich keine Zeit für ihre PatientInnen genommen. Und weil FMC es schwer gehabt habe, geeignetes Personal zu bekommen, habe man teilweise nicht qualifiziertes Personal beschäftigt.

Etwas stimmte allerdings bei FMC und dessen Muttergesellschaft "Avesina": die Kasse. Die medizinische Fachpublikation Dagens Medicin rechnete aus, dass das Unternehmen eine sagenhafte Rendite von über 31 Prozent erwirtschaftete.

Shori Zand, Gründerin und alleinige Eigentümerin von "Avesina", fühlt sich ungerecht behandelt. Es gehe um Einzelfälle, und "Fehler passieren überall". Noch vor einigen Monaten war die unternehmerische Initiative der Hebamme, 1987 selbst aus dem Iran geflohen, von der konservativen Regierung als "visionär" und als gelungenes Vorbild für die staatliche Einwandererförderung und die Privatisierung öffentlicher Aufgaben gefeiert worden.

Jetzt will die Stadt Stockholm den Vertrag mit diesem Gesundheitsfürsorger so schnell wie möglich auflösen - und einen anderen "günstigen" Anbieter suchen. REINHARD WOLFF

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