Urteil in der Türkei: Jungfräulichkeit belastet

Das Oberste Berufungsgericht entscheidet zugunsten eines Ehemannes. Dieser hatte die Scheidung beantragt, weil seine Braut angeblich keine Jungfrau mehr gewesen sein soll.

Arglistig getäuscht, weil nicht mehr Jungfrau? Bild: Sevilay Durul - Lizenz: CC-BY

Ein Ehemann kann zu Recht die Trennung von seiner Frau verlangen, wenn diese ihm verheimlicht hat, dass sie zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht mehr Jungfrau war. Das hat jetzt die zweite Kammer des Obersten Berufungsgerichts der Türkei in einem Scheidungsprozess entschieden.

Wie die Tageszeitung Vatan gestern meldete, ist mit diesem Urteil eine Entscheidung einer unteren Instanz aufgehoben worden, die der Frau recht gegeben hatte.

Das jetzt von Vatan publizierte Urteil geht auf einen Prozess im Jahr 2007 zurück. Das Berufungsgericht beschäftigte sich darin mit einer Entscheidung des Familiengerichts in der Kleinstadt Bolu. Ein Scheidungsgesuch ihres Mannes, das dieser damit begründete, er sei arglistig getäuscht worden, weil seine Frau nicht mehr Jungfrau gewesen sei, hatte die Frau mit einer eigenen Scheidungsklage beantwortet.

Da sie einen Untersuchungsbericht des Krankenhauses von Bolu vorweisen konnte, in dem bestätigt wurde, dass sie jungfräulich in die Ehe gegangen sei, entschied das Gericht zu ihren Gunsten und verfügte die Scheidung in ihrem Sinne.

Dagegen war ihr Exmann in Berufung gegangen und bekam nun vom Obersten Gericht recht. Der Mann sei durch die Auseinandersetzung um die Jungfräulichkeit der Frau psychisch so belastet, dass eine Fortführung der Ehe nicht mehr zumutbar gewesen sei, befand die Mehrheit des Obersten Gerichts. Das Verfahren wird wieder an eine untere Instanz verwiesen.

Der Fall ist ein Beispiel dafür, wie schwer sich das 2004 verabschiedete neue Familien- und Strafrecht in der Justiz durchsetzt. Der Bewusstseinswandel dauert offenbar vor allem in den höchsten Richterrängen, die zumeist männlich besetzt sind, sehr viel länger als vom Gesetzgeber angestrebt.

Seit das neue Familienrecht in Kraft ist, gibt es in Scheidungs-, Unterhalts- und anderen Familienrechtsprozessen immer wieder widersprüchliche Entscheidungen. Das betrifft vor allem Unterhalts- und Vermögensfragen, aber auch generell den Status der Frau in der Familie.

Während einige Richter stur an ihrer Auffassung von Geschlechterrollen festhalten, überschreiten andere die traditionellen Grenzen bisweilen deutlich. So entschieden Richter vor wenigen Tagen erstmals, dass Frauen nach der Heirat ihren eigenen Familiennamen behalten können.

Insgesamt beklagen viele Frauenorganisationen jedoch, dass das gesellschaftliche Klima sich in den letzten Jahren für Frauen wieder deutlich verschlechtert hat. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichten türkische Medien eine Studie, nach der türkische Frauen im internationalen Ranking weit nach hinten gerutscht sind. Insbesondere sind immer weniger berufstätig.

Das hat damit zu tun, dass in der ökonomischen Krise Frauen eher entlassen werden als Männer, zeigt aber auch ein strukturelles Defizit. Für Frauenförderung im Beruf wird unter der islamischen Regierung wenig getan. So hat Regierungschef Erdogan mehrfach öffentlich verkündet, dass eine türkische Frau mindestens vier Kinder haben und sich um den Nachwuchs kümmern soll.

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