Georgische Verschwörungstheorien: US-Falken als Kriegszündler

Haben US-Falken Georgiens Präsidenten zum Waffengang gegen Russland ermuntert? Bislang nur eine Verschwörungstheorie, aber einige Indizien sprechen dafür.

Wie kam Präsident Saakaschwili darauf, einen aussichtslosen Krieg zu beginnen? Bild: dpa

Die Welt ist voller Verschwörungstheorien, und eine ist obskurer als die andere. Zur Verschwörungstheorie gehört meist auch eine spezifische Art von informellem "Medium". Schließlich wird sie als eine Art geheimer Wahrheit dargestellt, die vom offiziellen Meinungsdiktat unterdrückt wird. Früher kursierte sie gerne auf simpel hektographierten Flugschriften.

Die neuste Verschwörungstheorie zieht seit einigen Wochen ihre Kreise und hat schon einen prominenten Anhänger gefunden. Er habe den Verdacht, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin, dass jemand in den USA den Georgienkrieg vom Zaun gebrochen habe, "um einem der Kandidaten im Kampf um das Amt des US-Präsidenten einen Vorteil zu verschaffen". Der Georgien-Krieg als feine Intrige, damit sich der republikanische Kandidat John McCain mit Hilfe einer kleinen Weltkrise als kriegsgestählter Oberbefehlshaber in spe präsentieren kann? Klingt gewagt. Aber die These gewinnt an Fahrt - auch, weil es heute mit dem Internet ein Medium gibt, das Gegenmedium und Leitmedium zugleich ist.

Das schönste an solchen Verschwörungstheorien ist, dass sie im Einzelfall sogar stimmen können. In diesem Fall liegt das durchaus im Bereich des Möglichen.

Zu den Fakten: Georgiens Präsident Micheil Saakaschwili hat, auch wenn er sich jetzt als unschuldiges Opfer präsentiert, die abtrünnige Provinz Südossetien überraschend angreifen lassen, und damit auch die dort stationierten russischen Truppen. Gewiss, Russland hatte davor imperialen Druck ausgeübt und provoziert. Aber seit dem Abschluss eines Waffenstillstandes 1992 und der Stationierung von Friedenstruppen in der umstrittenen Provinz ist Russland mit einem offiziellen Mandat im Südossetien, die OSZE hat Beobachter im Land. Ein Angriff auf diese Truppen, wie ihn Sakaschwili befehligte, ist und bleibt - unabhängig von den Umständen - ein völkerrechtswidriger Angriff. Schon von daher stellt sich die Frage: Wieso beschließt der Präsident eines kleinen, militärisch hoffnungslos unterlegenen Landes, die Armee einer waffenstrotzenden Großmacht anzugreifen? Darauf gibt es zwei Antworten. Entweder er ist ein Idiot. Oder er fühlt sich von einer anderen großen Macht ermutigt.

Saakaschwili hat an der Columbia-Universität studiert und verfügt in den USA über gute Verbindungen. Zu seinen engsten Verbündeten in Washington zählen neokonservative Außenpolitiker, die enge Mitarbeiter von US-Vizepräsident Dick Cheney sind und jetzt eine führende Rolle im Wahlkampfteam John McCains spielen. Einer von Cheneys erfahrensten Beratern, Joseph R. Wood, war in Tiflis, kurz bevor die georgische Armee losschlug. Sogar der deutsche Spiegel mutmaßt deshalb, Cheney habe in Georgien "gezündelt, um dem republikanischen Kandidaten für das Amt des Präsidenten einen Gefallen zu tun".

Eine der fragwürdigsten Figuren in dem Drama ist der Washingtoner Lobbyist Randy Scheuermann, ein Außenpolitik-Experte, der zum engsten Beraterteam um John McCain gehört. Davor vertrat er mit seiner Lobby-Firma ganz offiziell Georgien und antichambrierte bei Senatoren und im Außenministerium - davon 49 Male allein bei seinem späteren Chef John McCain -, um im Auftrag seines Freundes Saakaschwili für die Aufnahme Georgiens in die Nato zu werben, wofür er knapp eine Million Dollar Honorar erhielt. Erst als er offiziell ins McCain-Team einstieg, ließ er seine Arbeit für die georgische Regierung ruhen. Allerdings: Letzte Tranchen des Honorars gingen erst vor ein paar Wochen ein.

Scheunemann ist nicht nur ein Politik-Geschäftsmann, bei dem allein schon die Auftragslage den unschönen Eindruck einer Interessenskollission aufdrängt. Er ist auch seit langem eine bekannte Figur im Kreis der neokonservativen Interventions-Politiker. Als Direktor des "Projekts for a New American Century" spielte er eine zentrale Rolle, die Neokon-Politik der Neunzigerjahre zu formulieren. Zudem saß er dem "Comittee for the Liberation of Iraq" vor, das die Propagandatrommel für den Einmarsch im Irak rührte. "Der Georgienkrieg - ein neokonservatives Wahlkomplott?" fragte deshalb das traditionsreiche linke US-Wochenblatt "The Nation". Auch das "Time"-Magazine stellt fest: "Die Frage, wieso Georgien einen derart selbstmörderischen Krieg vom Zaun brach, ist unbeantwortet". Es gibt aber zu bedenken: "die besondere Rolle der USA droht doch etwas übertrieben zu werden."

Fakt ist: Georgien, das auch ein erhebliches Truppenkontingent im Irak stellt, hat sich in den vergangenen Jahren praktisch zum Satellitenstaat der USA entwickelt. Dass Georgien einen Krieg gegen Russland beginnt, ohne sich zumindest den Goodwill aus Washington einzuholen, ist schwer vorstellbar. 130 militärische US-"Ausbilder" sollen sich zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs in Georgien afgehalten haben. Laut russischen Quellen hätten die USA sogar 800 georgische Soldaten extra aus dem Irak eingeflogen, weil Georgien mangels Transportmitteln dazu nicht in der Lage war.

Liegt hier also ein Komplott vor? Das ist auch eine Frage der Perspektive. Denn selbst wenn die neokonservative Kamarilla um McCain und Cheney die Georgier angestachelt haben sollte, so ist damit noch nicht geklärt: Haben sie das aus zynischem Machtkalkül getan? Oder, weil in der neokonservativen Politikperspektive Georgien ein heroischer Vorposten des "freien Westens" ist, den es offensiv zu verteidigen gilt - wenn nötig, auch mit dem Mittel der Vorwärtsverteidigung? Russland hingegen stellt in diesen Augen eine "Neodespotie" dar, die man angesichts der neuen "Rivalität der großen Mächte" zurückdrängen müsse, so der Neocon-Chefdenker und McCain-Beraters Robert Kagen.

Dass Saakaschwili aus Washington schon vor seinem Waffengang an sehr viel Zuspruch erhalten hat, ist unbestritten. Aber wie deutlich waren die Signale? Haben sie ihn zu seinem Va-Banque-Spiel ermuntert? Oder hat er da vielleicht nur etwas falsch verstanden?

Womöglich ist diese Frage falsch gestellt. Schließlich versteht man sich zwischen Tiflis und Washington, weil man in wesentlichen Punkten ohnehin einer Meinung ist. Deshalb braucht man sich auch nicht zu "verschwören". Denn was aus der einen Blickrichtung nach einer "Verschwörung" aussieht, ist aus der anderen Perspektive die wechselseitige Solidarität wehrtüchtiger Männer, die finden, dass man "die Freiheit" mit allen Mitteln gegen die Despotie verteidigen müsse. Das machen sie nicht im Verborgenen - alleine deshalb, weil sie es für ehrenhaft halten. Im Verborgenen bleiben höchstens die Geldflüsse - und selbst die nicht immer.

Auch wenn man von dem raunenden "x kennt y kennt z" und der Klandestinitäts-Faszination der Verschwörungstheoretiker nichts hält, so gilt seit Watergate oder der Versenkung der "Rainbow Warrier" durch den französischen Geheimdienst: Verschwörungstheorien gelten nur solange als solche, bis sie bewiesen sind.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.