Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich: Vom linken Erbe nehmen was passt

Aus den Resten der trotzkistischen Partei LCR und dem Bündnis vieler junger Linker gründet sich in Frankreich die "Neue Antikapitalistische Partei". Ihr Feind: die Sozialdemokratie

Einer der drei SprecherInnen der neuen Partei - und ihr Medienstar: Der Postbote Olivier Besancenot. Bild: dpa

Statt roter Fahnen weist ein stilisiertes Megaphon den Weg in die neue linke Zukunft. Statt der Oktoberrevolution dienen der zapatistische Aufstand in Mexiko und der Streik von 1995 in Frankreich als historische Referenzen. Statt Marx- und Trotzki-Zitaten hängt ein Satz von Che Guevara an der Wand. Am Mikrophon sind die weißhaarig gewordenen Intellektuellen aus der 68er Bewegung in der Minderheit. Statt ihrer reden 30- und 40jährige AntikapitalistInnen.Viele sind hochgebildet. Viele leben beruflich in "prekären" Situationen: Gelegenheitsjobs und jede Menge soziale Unsicherheit. Sie wollen den Platz links von der französischen Sozialdemokratie erobern. Sie gründen eine neue revolutionäre Organisation. Den anderen französischen Linksparteien - der schwach gewordenen KPF und der eben erst aus der PS ausgetretenen kleinen Partei Gauche - bieten sie politische Bündnisse an: Voraussetzung: die anderen verzichten grundsätzlich auf jede Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie.

Nach langen Debatten einigen sich die mehr als 600 Delegierten in der Plaine-Saint-Denis im Norden von Paris auf ein Programm für den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Der seit Monaten in hunderten von "antiliberalen Kollektiven" quer durch Frankreich verhandelte Kompromisstext enthält Querverweise auf die AltermondialistInnen, auf die Arbeiter- und Frauenbewegung und auf zahlreiche Öko-Themen. Der Text ist die Grundlage für das künftige Parteiprogramm. Der Parteiname ist "NPA" - Nouveau Parti Anticapitaliste. Der Alternativvorschlag: "Antikapitalistische Revolutionäre Partei" unterliegt auf dem Gründungkongress knapp.

Die NPA beginnt mit über 9.000 Mitgliedern. Das sind mehr als drei Mal so viele wie die Ende der letzten Woche aufgelöste trotzkistische Vorgängerorganisation LCR hatte. Die neuen AntikapitalistInnen reden auch eine radikal andere Sprache als jene, die knapp 40 Jahre vorher die LCR gegründet hatten. Vokabeln wie "Klassenkampf", "Dialektik" und "historischer Materialismus" sind verschwunden.

"Ich bin nie Trotzkist gewesen", sagt der 34jährige Delegierte Rémi: "Ich bin Antikapitalist". Vor zehn Jahren verließ der Krankenpfleger die Kommunistische Partei - aus Enttäuschung über die Arbeit der KPF in der Regierung mit den SozialdemokratInnen: "Sie haben mehr privatisiert als vorausgegangene rechte Regierungen". Der 31jährige Buchhalter Laurent stieß vor fast gleichzeitig zur LCR. Er versteht sich als "Antikapitalist" und "offener Trotzkist". Aus dem historischen Erbe der alten Partei suchte er sich das aus, "was passt".

Die 28jährige Nsuni kam erst vor einem Jahr zur LCR. Damals war die Mutation der Partei bereits in vollem Gang. Nsuni gefiel der Präsidentschaftskandidat Olivier Besancenot: "Er ist jemand wie ich", sagt die Krankenschwester, "Er hat nie liberale Politik gemacht. Wenn er redet, erkenne ich mich wieder."

"Wir müssen von den Jungen lernen", sagt Alain Krivine, einer der Gründerväter, ehemaliger Sprecher und mehrfacher Präsidentschaftskandidat der verflossenen LCR. Dass von den neuen Parteimitgliedern viele nicht gewerkschaftlich organisiert sind, und dass sie die theoretischen Debatten der Linken kaum kennen, ist für Krivine kein Problem. "Wir werden Fortbildungen machen", sagt er. Auch er will dabei ganz unterschiedliche Texte verwenden: Von Trotzki bis Bakunin. Für Daniel Bensaïd, einen anderen Gründervater der LCR, ist positiv, dass die Jungen "nicht die Demoralisierung der 80er Jahre erlebt haben."

In dieser Woche wird die trotzkistische Parteizeitung Rouge zum letzten Mal erscheinen. Die alten Logos der Trotzkisten sind eingemottet. Und selbst der Slogan aus dem letzten Präsidentschaftswahlkampf: "100 % links" ist verschwunden. Aber die Alten sind nicht wehmütig. Sie haben die Mutation selbst organisiert. In anderen europäischen Ländern haben sich TrotzkistInnen mit MaoistInnen, EurokommunistInnen, oder ÖkologInnen zusammengetan. In Frankreich haben sie sich einer jungen Basis von radikalen Linken geöffnet. Für viele davon war das EU-Referendum, das "Non" gegen die EU-Verfassung im Mai 2005, die erste politische Erfahrung. Der vor knapp zwei Jahren gewählte rechte Nicolas Sarkozy ist der erste Staatspräsident, mit dessen Politik sie konfrontiert sind.

Mehr als 100 Gäste sind zu dem Gründungstreffen gekommen. VertreterInnen in- und ausländischer linker Organisationen. Darunter auch von "Die Linke" aus Deutschland. Für die Mehrheit der NPA-Mitglieder ist "Die Linke" nicht revolutionär genug. Der Grund: Ihre Bündnisse mit der SPD. Solche Allianzen will die Mehrheit der Neuen AntikapitalistInnen in Frankreich meiden wie die Pest.

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