Einigung bei EU-Agrarreform: Weniger Geld für große Höfe

Die EU-Agrarminister einigen sich in eine Reform. Gegen Widerstand der deutschen Ministerin Aigner werden Direktzahlungen gekürzt - jedoch weniger stark als zuerst geplant. Milchbauern geraten unter Druck.

Kein guter Tag für die Milchbauern. Bild: dpa

BRÜSSEL taz Die für den deutschen Bauernverband wichtigste Zahl präsentierte Ilse Aigner noch vor dem Frühstück: 186 Millionen Euro, so die neue deutsche Agrarministerin, habe ihre erste Nachtschicht in Brüssel den deutschen Landwirten gerettet. Vor allem Großbetriebe in Ostdeutschland werden davon profitieren. Am Mittwochabend hatte die französische Ratspräsidentschaft ihren "letzten Kompromissvorschlag" vorgelegt. Darin waren zusätzlich zu den für alle bäuerlichen Betriebe ab 2010 stufenweise sich reduzierenden Direktzahlungen weitere Einschnitte für die Subventionen oberhalb einer Summe von 100.000 Euro pro Jahr und Betrieb vorgesehen.

Die neue Zeitrechnung in der europäischen Agrarpolitik begann 2003. Damals wurden die Subventionszahlungen von der Produktionsmenge abgekoppelt. Seither erhält jeder Betrieb Direktzahlungen - in Deutschland werden sie nach der Anbaufläche berechnet. Direktzahlungen bis zu 5.000 Euro im Jahr sind von der Reform nicht betroffen. Was über diesen Freibetrag hinausgeht, wird 2010 um sieben Prozent und dann stufenweise bis 2013 um zehn Prozent gekürzt.

Die frei werdenden Mittel von etwa einer Milliarde Euro pro Jahr bleiben jedem Land, in Deutschland sogar jedem Bundesland erhalten. Sie werden teilweise für Strukturmaßnahmen im ländlichen Raum, teilweise für Klimaschutzprojekte und Umweltschutz eingesetzt. Diese Maßnahmen werden nicht wie bisher zur Hälfte aus dem Brüsseler Fonds für ländliche Entwicklung und zur Hälfte aus dem Etat des Mitgliedslandes finanziert. In Zukunft trägt Brüssel 75 Prozent, in strukturschwachen Regionen sogar 90 Prozent der Kosten.

Die umstrittenen Subventionen für Tabakanbau laufen 2010 aus. Die Produzenten erhalten 50 Prozent der bisherigen Zahlungen als Direktbeihilfe und können anbauen, was sie wollen. Für eine Übergangszeit stehen ihnen zusätzliche Mittel für Umschulungen oder die Umstrukturierung ihrer Betriebe zu. Die Produktionsbeschränkungen für Milch enden 2015. Da so der Milchpreis voraussichtlich weiter sinken wird, erhalten die Bauern Zuschüsse aus dem Fonds für ländliche Entwicklung.

12 Stunden und viele Einzelgespräche später lag dann ein neuer "letzter Kompromissvorschlag" auf dem Tisch. Zusätzliche Kürzungen wird es erst oberhalb von 300.000 Euro jährlicher Direktzahlungen geben. Sie werden nicht, wie von der Ratspräsidentschaft zunächst gefordert, 6 Prozent, sondern nur 4 Prozent betragen. Der Sprecher von Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel, die ursprünglich viel drastischere Einschnitte gefordert hatte, begrüßte das Ergebnis. "Die gemeinsame Agrarpolitik wurde modernisiert und vereinfacht. Die Progression wurde endlich als Prinzip akzeptiert, das heißt: Größere Betriebe erfahren größere Kürzungen. Prämien für stillgelegte Flächen gibt es nicht mehr. Die Milchquoten fallen ab 2015 weg."

Das ist ein Ergebnis, das in Ilse Aigners bayerischer Heimat noch für viel Ärger sorgen wird. Die Ministerin setzte sich aber erfolgreich dafür ein, dass den Milchbauern zusätzlich zu den Direktzahlungen Zuschüsse aus dem Topf für ländliche Entwicklung gezahlt werden können. Dieser "Milchfonds" werde in Deutschland 350 Millionen Euro enthalten, erklärte Aigner. Die Hilfen sind bis zum 31. März 2014 befristet und werden von den Bundesländern in Eigenregie vergeben.

Einmal habe sie in der Nacht mit ihrem Vorgänger Horst Seehofer telefoniert, gestand Aigner. Glücklich sei er nicht gewesen über 240 Millionen Euro weniger Direktzahlungen für die Bauern und eine schrittweise auslaufende Milchquote. "Mehr war beim besten Willen nicht zu erreichen", hat ihm seine Nachfolgerin telefonisch klargemacht.

Zwei Mitgliedsländer, nämlich Lettland und Großbritannien, haben nach Berichten von Teilnehmern der langen Nacht den Kompromiss nicht mitgetragen. Lettland wollte eine Korrektur der Beitrittsverträge erreichen, die osteuropäische Bauern deutlich schlechter stellen als die Landwirte in den alten Mitgliedsländern. Am Ende kam lediglich eine Klausel heraus, dass nach 2013 das System der Direktzahlungen erneut überprüft werden soll. Das wird aber im Rahmen einer grundlegenden Agrarreform und der Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2020 ohnehin geschehen. Die Diskussionen darüber haben schon begonnen, wie Mariann Fischer Boels Sprecher gestern versicherte. "Wir reden nicht nur über Geld, sondern darüber, wo die Politik hingehen soll", erklärte er.

Dass diese Frage über dem Gefeilsche um Euromillionen wieder einmal ins Hintertreffen geraten ist, kritisierte Großbritannien, das am liebsten alle Subventionen streichen würde. Unzufrieden sind auch die Umweltverbände, denen die ökologischen Anreize zu schwach ausfallen. Die Minister hätten die Chance verpasst, Europas Landwirtschaft auf eine nachhaltige Basis zu stellen, kritisierte der WWF. Er bedauerte aber auch die wegfallende Milchquote und stellte sich in diesem Punkt auf die Seite der deutschen Milchbauern. "Wenn die Milchmengen steigen, fallen die Milchpreise. Im Klartext heißt das: Höfe mit viel Grünland werden noch schneller dichtmachen, während durchrationalisierte Ackerland-Betriebe sich weiter industrialisieren", glaubt der WWF-Agrarexperte Matthias Meißner.

Ilse Aigner aber ist davon überzeugt, dass der neue Milchfonds die Entwicklung abfedern wird. Und es gebe ja auch noch die Weideprämie. "Das ist doch eine schöne Sache, wenn wieder mehr Kühe auf der Weide stehen", schwärmte die Ministerin nach ihrer ersten langen Nacht in Brüssel.

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