Spaniens hohe Mieten fördern "Hotel Mama": Zwangs-WG mit Eltern

Wegen horrender Mieten können viele junge Spanier nicht von zu Hause ausziehen - trotz Zuschuss vom Staat. Über die Verkindlichung einer Gesellschaft.

Kinofiktion wie "Tanguy, der Nesthocker" ist in Spanien bittere Realität. Bild: promo

Spanische Familien geben im Schnitt 45 Prozent ihres Monatseinkommen für die Abzahlung ihrer Wohnung aus. 2004 waren es 35 Prozent. Viele Geldinstitute finanzieren Wohnungen ohne Anzahlung. Eine Bescheinigung über Schwarzeinkünfte wird bei der Risikoberechnung oft als Ergänzung zum Lohnzettel akzeptiert. Hatten die Hypotheken vor zehn Jahren noch eine Laufzeit von 15 bis 25 Jahren, werden mittlerweile Wohnungskredite bis zu 50 Jahren angeboten. Immer mehr Familien werden wegen steigender Zinsen zahlungsunfähig. Alleine in den letzten 12 Monaten wuchs diese Zahl um 30 Prozent

MADRID taz "Es ist nicht leicht, von zu Hause auszuziehen", berichtet Vanesa García. Zwar hat die 26-jährige Designerin aus Barcelona einen Job in der Marketingabteilung eines der großen spanischen Anwaltsbüros. Und mit 1.200 Euro verdient sie mehr, als wenn sie in einem Grafikstudio arbeiten würde. Doch in Spaniens zweitgrößter Stadt sind die Wohnungspreise einfach zu hoch. "Ich suche seit Monaten mit einer Freundin eine Mietwohnung", berichtet sie. Doch die beiden können und wollen mit den Preisen nicht mithalten. "Wenn wir schon 1.000 Euro und mehr im Monat für 50 oder 60 Quadratmeter zahlen müssen, dann kaufen wir doch gleich", hat Vanesa beschlossen. Aber auch das ist nicht ganz einfach. Denn genügend Grundkapital haben sie nicht.

Nirgendwo in Europa sind die Wohnungspreise in den vergangenen zehn Jahren so gestiegen wie in Spanien. Vielerorts haben sie sich mehr als verfünffacht. Viele Wohnungen stehen leer. Sie dienen den Besitzern als Kapitalanlage. Während ein ganzes Land Monopoly spielt, fehlen Mietwohnungen. Junge Menschen und sozial Schwache sind die Opfer des Spekulationsbooms.

Seit zwei Jahren gehen deshalb in den großen Städten Spaniens Monat für Monat Tausende von jungen Menschen auf die Straße. "Für eine menschenwürdige Wohnung" lautet der Slogan der parteiunabhängigen Bewegung, die per SMS und E-Mail mobilisiert wurde. Vanesa war von Anfang an mit dabei. "Gleichzeitig werden die Arbeitsbedingungen für Berufsanfänger immer prekärer", weiß sie aus eigener Erfahrung.

"Mil-Euristas", "Tausend-Euro-Verdiener" nennt der Volksmund die Generation mit niedrigen Löhnen und befristeten Verträgen, die immer länger zu Hause wohnen bleiben. Die Hälfte lebt selbst im Alter von 30 bis 34 noch bei den Eltern. "Die hohen Mieten haben die Verarmung einer ganzen Generation zur Folge", ist sich Eva Sodres, eine 29-jährige Verlagsmitarbeiterin aus Madrid, sicher. Viele Jugendliche ziehen nicht aus. Stattdessen genießen sie mit den spärlichen Löhnen das Leben.

"Selbstbetrug", so urteilt Eva. "Das führt zu einer Verkindlichung der gesamten Gesellschaft, denn wir werden immer später erwachsen", erklärt die junge Frau. Eva teilt sich eine Mietwohnung mit einer 43-jährigen Frau, die beim Fernsehen arbeitet. "Es ist nicht normal, dass zwei Menschen mit einer ordentlichen Arbeit keine eigenen Wohnung finanzieren können." 495 Euro zahlt jede für die 90 Quadratmeter im Herzen Madrids. "Billig", meint Eva. Sie verdient 1.700 Euro. "Wer in keiner festen Beziehung lebt, dem bleibt nur die Zwangs-WG", sagt sie.

Auch Eva würde lieber kaufen, wenn sie Grundkapital hätte. Während im europäischen Schnitt 38 Prozent zur Miete leben, sind es in Spanien gerade einmal 10 Prozent. Wohneigentum war von jeher die wichtigste Form der Spanier, etwas zu sparen. "Das ist nicht nur kulturell bedingt. Es gibt in Spanien kein ordentliches Mietrecht", sagt Eva. Die Verträge sind befristet, die Mietpreise unterliegen keiner Bindung, die Vermieter überlassen die Wohnungen oft in einem unmöglichen Zustand. Die Verpflichtung, kaputte Einrichtungsgegenstände zu reparieren, gibt es nicht.

Zudem waren die Monatsraten beim Kauf lange Zeit nicht teurer als die Miete einer gleichwertigen Wohnung. Denn viele Besitzer lassen sich den Kredit für ihre Zweit- oder Drittwohnung komplett von den Mietern finanzieren. Die Option, zur Miete zu wohnen, gilt in Spanien daher als rausgeschmissenes Geld. Felix Carbonell ist einer von denen, die den Absprung nicht geschafft haben. Der 37-jährige Informatiker aus Madrid lebt noch bei seinen Eltern. Als er einen Job hatte, wo er gut verdiente, war er noch jung. Dann kam die Arbeitslosigkeit und danach ein Job für 1.200 Euro im Monat. Als Scheinselbstständiger betreut er dafür die gesamte Informatik eines mittelständischen Herstellers medizinischer Geräte.

Trotz einer festen Beziehung reicht beiden das Geld nicht, um in Madrid eine bezahlbare Mietwohnung zu finden. "Appartements kosten um die 1.000 Euro", musste Felix erfahren. Zwar zahlt die Regierung mittlerweile 250 Euro für schlecht verdienende junge Menschen als Mietzuschuss. Doch dies gilt nur bis zum Alter von 30 Jahren. "So wie ich die Mentalität der Wohnungsbesitzer kenne, wird dieser Zuschuss nur dazu führen, dass die Mietpreise weitersteigen", schaut Felix pessimistisch in die Zukunft.

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