Wahl in Bosnien und Herzegowina: Zwischen Aufbruch und Abgrund

Die Nationalisten in Bosnien-Herzegowina haben abgewirtschaftet. Trotzdem dürften sie die Wahl am Sonntag gewinnen, denn noch sind die Alternativen zu schwach.

Bosnien und Herzegowina stehen vor einem richtungsweisenden Urnengang: Im Bild eine Straßenszene in der Stadt Bihac im Norden des Landes. Bild: reuters

SARAJEVO taz | Viele städtische Intellektuelle in Sarajevo sehen die allgemeinen Wahlen am 3. Oktober als eine letzte Chance für eine Änderung in Bosnien und Herzegowina an. Sie wollen nicht einsehen, dass "primitive Nationalisten" das multinationale Land weiter beherrschen und spalten. Sie wollen nicht akzeptieren, dass ihre Kinder von nationalistischen Ideologen und religiösen Eiferern beeinflusst werden. Sie wollen normal leben und irgendwann einmal als gleichberechtigtes Land in die Europäische Union aufgenommen werden. Zu dieser Gruppe gehören bekannte Filmemacher wie der Oscar-Preisträger Danis Tanovic oder Srdzan Dizdarevic, der Vorsitzende des Helsinki-Komitees für Menschenrechte, an.

Schauspieler, Schriftsteller, Rechtsanwälte, Journalisten und ältere Leute, die noch das Bosnien vor dem Krieg kennen, als niemand fragte, ob jemand Bosniak, Kroate oder Serbe ist, haben sich der neuen Partei "Nasa Straka" (Unsere Partei) angeschlossen. Die Partei hat bei den letzten Kommunalwahlen 2008 aus dem Stand in Sarajevo 8 Prozent der Stimmen gewonnen und ist jetzt auch in der serbischen Teilrepublik präsent. Ihr Präsident, der bosnische Serbe Bojan Bajic, hat sich öffentlich für das 1995 von Serben an Bosniaken begangene Massaker von Srebrenica entschuldigt. Auch der populäre serbische Bürgermeister von Foca, Zdravko Krsmanovic, hat sich der Formation angeschlossen. Dennoch sind die Chancen der neuen Partei eher gering.

Die Zeit ist offenbar noch nicht reif für eine multiethnische, das gesamte Land umfassende Menschenrechtspartei. Dennoch wird die Wahl spannend werden wie kaum zuvor. Denn noch niemals in der bosnischen Nachkriegsgeschichte wurde in der Öffentlichkeit so kontrovers diskutiert wie dieses Mal. Die Opposition in beiden Teilstaaten könnte von der Stimmung profitieren.

Das Friedensabkommen von Dayton 1995 hat eine komplizierte Verfassung geschaffen. Das Land ist in zwei etwa gleich große Teilstaaten, die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska, aufgespalten. Darüber wölbt sich ein schwach gehaltener Gesamtstaat. Die Föderation ist noch in 10 Kantone unterteilt. Hinzu kommt der dem Gesamtstaat unterstellte, eigenständige Distrikt Brcko.

Die 3,1 Millionen Wahlberechtigten aus den drei "konstitutiven Nationen", Serben, Kroaten und Bosniaken sowie einigen Minderheiten, bestimmen am 3. Oktober die drei Mitglieder des Präsidentschaftsrats des Gesamtstaats, das Parlament des Gesamtstaats, die Parlamente der Teilrepubliken sowie die Parlamente der zehn Kantone innerhalb der bosniakisch-kroatischen Föderation und das Parlament des Distrikts Brcko.

Die letzten vier Jahre waren verlorene Jahre. Wirtschaftlich und im Hinblick auf die Integration in das Europa der Europäischen Union. Beide nach dem Krieg im Abkommen von Dayton geschaffenen Teilstaaten stehen vor dem finanziellen Kollaps. Korruptionsskandale erschüttern das Land. Der Ministerpräsident der serbischen Teilrepublik, Milorad Dodik, der nicht müde wird, mit der Abtrennung "seiner" Republika Srpska vom gemeinsamen Staat Bosnien und Herzegowina zu drohen, nutzt ungeniert die Ressourcen des Teilstaats für die Wahlkampagne seiner Partei SNSD (Serbische Sozialdemokraten). Sein Privatvermögen hat sich vervielfacht, ein beträchtlicher Teil des Geldes aus dem Verkauf von Staatsunternehmen soll in die Taschen seiner politischen Freunde gewandert sein.

Die demokratische Opposition im serbischen Teilstaat, die "Liberale Partei" und die "Demokratische Partei", sehen sich im Aufwind. Selbst nationalistische Extremisten wie die der Radikalen Partei und der Serbischen Demokratischen Partei kritisieren Dodik scharf.

Im zweiten Teilstaat, der bosniakisch-kroatischen Föderation, sieht es finanziell nicht besser aus. Die nochmals in 10 Kantone unterteilte Föderation ist überbürokratisiert und unfähig, Reformen durchzuführen. Spannungen zwischen kroatischen und bosniakischen Nationalisten vergiften die Atmosphäre.

Auch hier kommt es offenbar zu einer Reaktion der Bürger. Denn die nichtnationalistische Sozialdemokratische Partei ( SDP) spürt offensichtlich Aufwind. Sie wird nach Umfragen über ein Drittel der Stimmen gewinnen. Dagegen müssen die bosniakischen Nationalparteien "Partei der demokratischen Aktion" (SDA) und die "Partei für Bosnien und Herzegowina" mit Verlusten rechnen. Der mit einer eigenen Partei antretende muslimische Medientaikun Fahrudin Radoncic, der die religiösen Muslime ansprechen will, scheint durchzufallen. Die Anhänger der "Nasa Stranka" in Sarajevo wünschen sich, wenigstens den Menschenrechtler Srdzan Dizdarevic ins Parlament des Gesamtstaats schicken zu können.

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