Nach Erstürmung von Hilfskonvoi: Neues türkisches Selbstbewusstsein

Nach der Erstürmung des Hilfskonvois fordert die Türkei eine Bestrafung Israels. Für die muslimische Welt ist die Türkei zu einem führenden Akteur geworden.

Presse-Resonanz: Türkische Zeitungen am 1. Juni. Bild: dpa

ISTANBUL taz | Als der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu in der Nacht zum Dienstag vor dem UNO-Sicherheitsrat in New York die israelische Militäraktion gegen die Hilfsflottille für Gaza mit harschen Worten verurteilte, konnte er sich weltweiter Aufmerksamkeit sicher sein. Obwohl in der Türkei und im Nahen Osten Mitternacht überschritten war, wurde sein Vortrag in allen relevanten Fernsehkanälen live übertragen. Auch wenn letztlich die Verurteilung Israels auf Druck der USA weicher ausfiel, als die türkische Regierung beantragt hatte - der Auftritt Davutoglus war ein voller Erfolg. Gestern legte Ministerpräsident Tayyip Erdogan, gerade aus Südamerika zurückgekehrt, nach und forderte kategorisch eine Bestrafung Israels. "Israel hat Blut an den Händen, die Türkei wird das nicht auf sich beruhen lassen." Im Ton des neuen Selbstbewusstseins fügte er hinzu: "Israel kann mit der Türkei nicht so umspringen wie mit anderen Ländern in der Region. Unsere Geduld hat Grenzen."

Für die gesamte muslimische Welt ist die Türkei innerhalb weniger Jahre zu einem führenden Akteur geworden. Wenn Tayyip Erdogan Israels Politik geißelt, jubeln nicht nur die arabischen Massen, auch in Malaysia und Indonesien wird geklatscht. Und selbst die konkurrierende Regionalmacht Iran macht ob ihrer isolierten Lage als Pariastaat dabei mit, den Aufstieg Ankaras zu unterstützen. Nachdem Erdogan mit seinem brasilianischen Kollegen Lula da Silva den widerspenstigen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zu einem Vertrag über die Anreicherung von Uran im Ausland überredet hatte, schrieben Kommentatoren in aller Welt von einer neuen Machtachse, die notfalls auch gegen den Willen von Washington aktiv wird.

Das zeigt sich an der neuen Politik der Türkei gegenüber Israel nun deutlich. Mag der Wutausbruch Erdogans auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vor knapp zwei Jahren, als er bei einer Diskussion mit dem israelischen Präsidenten Schimon Peres kurzerhand das Podium verließ, noch echten Emotionen entsprochen haben, so ist die Dauerkritik an Israel seitdem kühl kalkuliert. Darüber hinaus unterhält die Türkei als einziger Nato-Staat direkte Verbindungen zur Hamas, und auch wenn der Hilfskonvoi nach Gaza eine zivilgesellschaftliche Aktion war, genoss er doch die volle Sympathie der türkischen Regierung. Noch vor zehn Jahren, stellte gestern der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, fest, hätten die Türken den Konvoi nicht auslaufen lassen.

Die Verschlechterung der Beziehungen zu Israel ist der Preis für den Aufstieg als Regionalmacht. Die Türkei hat seitdem alle Visa- und viele Handelsschranken mit Syrien, dem Irak und Russland aufgehoben. Der Handelsaustausch mit Israel ist minimal im Vergleich zu dem mit den genannten Staaten. Auch der Verlust israelischer Touristen ist leicht zu verschmerzen. Allein der Heiratstourismus reicher Araber aus den Golfstaaten, die sich in letzter Zeit bevorzugt in Fünf-Sterne Hotels am Bosporus da Jawort geben, mache finanziell mehr als 500 Millionen Euro im Jahr aus, rechneten die Wirtschaftszeitungen erst vor wenigen Tagen vor.

Erdogan und die AKP-Regierung warten nicht mehr auf die EU. Im Gegenteil, wie man jetzt sieht, gelingt es ihnen mittlerweile sogar, die EU und selbst die USA unter Zugzwang zu setzen. Die Türkei erreichte innerhalb von Stunden eine Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates, gestern musste auf türkischen Antrag die Nato zusammenkommen und in Genf tagte der Menschenrechtsausschuss der UNO. Viel Wirbel für ein Land, das die außenpolitischen Profis bis vor ein paar Jahren nur als Bittsteller auf ihrer Rechnung hatten.

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