Revolution in Ägypten: "Das ist jetzt mein Land"

In Kairo räumen die Demonstranten den Tahrir-Platz auf. Es herrscht Aufbruchstimmung. Die Armee will in sechs Monaten Neuwahlen abhalten.

Demonstranten und Soldaten bauen gemeinsam die Zelte auf dem Tahrir-Platz ab. Bild: dpa

KAIRO taz | Kann eine Revolution eigentlich einen Abschluss haben? Wenn ja, dann war das ein krönender - sofern man das so beschreiben kann, weil Revolution und Krone eigentlich nicht so recht zusammenpassen.

Auf dem Abdel-Monem-Riad-Platz im Zentrum Kairos, nicht weit vom Tahrir-Platz entfernt, schiebt sich ein Mann langsam in seinem klapprigen, alten Rollstuhl voran. Zwischen seine Schenkel hat er einen Topf schwarzer Farbe geklemmt. In der Hand hält er einen Pinsel. Mühsam beugt er sich herunter, um den Bordstein anzustreichen. Er kommt nur langsam voran. In der nächsten halben Stunde wird er gerade mal ein paar Meter schaffen. Den Bürgersteig zu verschönern ist sein Beitrag zur ägyptische Revolution.

Noch vor wenigen Wochen hat er sich mit seinem Stuhl wahrscheinlich an einer der Straßenkreuzungen an den Reihen der wartenden Fahrzeuge entlanggeschoben, um bei Rot an deren Fenster zu klopfen und ein wenig Geld zu erbetteln. Heute lächelt er und antwortet auf die kurze Frage, was er denn da mache, mit einem kurzen: "Das ist jetzt mein Land." Dann taucht er den Pinsel wieder ein und beugt sich in Zeitlupe wieder herunter.

Zwei Tage nach dem Sturz von Präsident Husni Mubarak hat der Oberste Militärrat in Ägypten das Parlament aufgelöst und die Verfassung außer Kraft gesetzt. Das Militär werde das Land für sechs Monate führen, sollten nicht vorher Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden können, hieß es in der Mitteilung weiter. Zudem solle ein Rat zur Änderung der Verfassung gebildet werden, erklärten die Militärs am Sonntag. Allerdings teilten sie nicht mit, aus welchen Persönlichkeiten sich dieser Rat zusammensetzen soll.

Die Oppositionsbewegung räumte unterdessen den Tahrir-Platz in Kairo, der Zentrum ihrer 18-tägigen Massenproteste war. Etwa 2.000 Demonstranten protestierten weiter und verlangten den Rücktritt der noch von Mubarak eingesetzten Regierung von Ministerpräsident Ahmed Schafik.

Der Regierungschef erklärte die Sicherheit im Land zur wichtigsten Aufgabe. Seine Regierung wolle Normalität herstellen - "von der Tasse Tee bis zur medizinischen Behandlung", sagte Schafik bei einer Pressekonferenz in Kairo. Erst danach wolle sich die Regierung mittel- und langfristigen Zielen zuwenden. Mit der Besetzung vakanter Ministerposten habe er es nicht eilig, machte Schafik deutlich.

Die Armeeführung kam mit ihrer Ankündigung wichtigen Forderungen der Oppositionsbewegung nach, die in wochenlangen Protesten den Sturz von Staatschef Mubarak erzwungen hatte. Die von der Opposition geforderte Aufhebung des seit fast 30 Jahren geltenden Ausnahmezustands wurde aber nicht angesprochen.

Nach dem Rücktritt des 82-Jährigen am vergangenen Freitag hatte das Militär die Macht übernommen. Am Sonntag wurden Bilder von Mubarak in Behördengebäuden abgehängt. (dpa, dapd)

Ein mächtiges Symbol dafür, wie ein Mensch seine Würde wiedergewinnen kann. Es ist ein großes Wort, aber auch ein großer Moment.

Denn der Rollstuhlfahrer ist nicht allein. Neben ihm kehrt eine Gruppe Jugendlicher die Straße. An ihrer Markenkleidung ist zu erkennen, dass sie aus besserem Hause stammen. Manche wirken etwas unbeholfen in dieser staubigen Atmosphäre. Geübt im Straßenfegen sind sie sicher nicht. Sie singen: "Wir machen Schluss, wir räumen auf." Angesprochen auf die Zweideutigkeit, ob sie damit den Müll oder die Diktatur meinen, lachen sie. Sie arbeiten in Teams. Einer schwingt den von zu Hause mitgebrachten Besen, der andere hat eine Kehrschaufel und einen schwarzen Müllsack dabei.

Sehr ungewöhnliche Teams sind darunter. Wie der ältere Mann mit einem Gebetsfleck auf der Stirn und seiner konservativen Kleidung, der der fröhlich kehrenden jungen Frau mit offenem Haar und unbedeckten Armen den Sack aufhält. Noch vor ein paar Wochen hätte er die Frau mit ihrer in seinen Augen verwerflichen Kleidung wahrscheinlich nicht einmal angesehen. Jetzt unterhalten sie sich angeregt und lachen miteinander.

Husni Mubarak ist weit weg. "Von der Veränderung zum Aufbau", titelt die unabhängige Tageszeitung al-Masry al-Youm und zeigt das gleiche Bild vom Säubern der Stadt, das auch die staatliche Tageszeitung al-Ahram auf ihrer Titelseite hat. Eine neue mediale Einheit, bei der man sich fragt, wohin denn die Hofberichterstatter Mubaraks verschwunden sind. Oder schreiben sie nach dessen Abgang nun ihre einstudierten Lobeshymnen auf die ägyptische Revolution und ihre Jugend?

Aber vielleicht kann man hier auch auf die Selbstreinigungskräfte der staatlichen Institutionen vertrauen. Dort saßen auch qualifizierte Menschen, oft verdrängt in die hinteren Reihen von den opportunistischen Jasagern. Der ägyptische Beamtenapparat ist groß, und unter den Schreibern des Pharaos gab es schon immer kritische Naturen, die die opportunistischen Vordrängler jetzt schnell an ihre unrühmliche Vergangenheit erinnern werden.

Und die Armee? Die taucht im Leben der Ägypter derzeit in zwei Varianten auf. In Form des Militärsprechers im Fernsehen, der die neusten Militärkommuniqués verkündet. Am Sonntag erklärte der Militärrat die Auflösung des Parlaments, setzte die Verfassung außer Kraft und erfüllte damit zwei weitere Forderungen der Protestbewegung. Das Militär werde das Land für sechs Monate führen, sollten nicht vorher Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden, hieß es in der Mitteilung weiter. Zuvor dürfte sich Israel erleichtert gefühlt haben, als ein Militärsprecher zusicherte, dass Ägypten sich an alle geschlossenen Verträge halten werde, also auch an den Friedensvertrag mit dem Nachbarland.

Aber Israel ist weit weg für die meisten Ägypter. Sie wollen wissen, wie es im Innern weitergeht. Oft wurde in den letzten Tagen auch diskutiert, was genau denn nun das Regime zum Kippen gebracht hat. Darauf gibt es viele und keine Antworten. Vielleicht war es eine ganze Ansammlung von Ereignissen.

Etwa letzte Woche Montag, als der bekannte ägyptische Chirurg Tarek Hilmi in einem der privaten ägyptischen Fernsehanstalten erschien, um seine Geschichte zu erzählen. Zunächst habe sich die Familie darüber lustig gemacht, als seine Tochter auf den Tahrir-Platz gegangen sei, erzählte er. Am nächsten Tag sei der Sohn der Schwester gefolgt, als er gehört hatte, dass einige seiner besten Freunde auf dem Platz von den Schlägern Mubaraks verletzt worden waren. Der Arzt tat das Ganze als Spinnerei seiner Kinder ab. "Ich bin vollkommen unpolitisch und bin mein ganzes Leben immer nur zwischen meinem Zuhause und dem Krankenhaus hin- und hergewandert", sagte Hilmi.

Dann habe er einen Anruf seiner Tochter bekommen, er solle sofort zum Tahrir kommen, es gebe dort zu viele Verletzte, er werde dringend gebraucht. Wohl mehr aus Sorge um seine Tochter stellte er in kleines Team zusammen und machte sich auf den Weg. Er sollte den Tahrir-Platz und das dort improvisierte Krankenhaus nicht mehr verlassen.

Dann erzählte der Arzt in der Talkshow von einem 14-jährigen Jungen auf dem Platz. Er sei mit einer großen Platzwunde quer über das Gesicht zum "Krankenhaus" gebracht worden. Er habe die Wunde genäht und wollte gerade eine Verband auflegen, da sei der Junge bereits davongelaufen. Er müsse den Tahrir-Platz verteidigen, rief er noch. Dann stockt Hilmi, ihm kommen die Tränen. Es dauert ein paar Minuten, bis er sich wieder fasst, um die Fortsetzung der Geschichte doch noch erzählen zu können. "Ich habe den Jungen kurz darauf noch einmal gesehen", setzt er an, stockt erneut. "Sie haben ihn noch einmal gebracht". Der Arzt ringt sichtlich mit sich, bevor er den letzten Satz herausbringt: "Mit einer Kugel im Kopf."

Es gibt keine offiziellen Angaben zu Einschaltquoten im arabischen Fernsehprogramme. Aber diese Talkshow und der Arzt wurden zu Legende. Am nächsten Tag kamen mehr als eine Million Menschen zur größten Demonstration auf den Tahrir-Platz. Das war am Dienstag. Vier Tage später trat Mubarak Amt zurück.

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