Proteste in Syrien: "Das Regime ist nicht reformierbar"

Weit mehr als 200 Menschen sind bei den Protesten in Syrien bislang getötet worden. Wer hinter dem repressiven Regime steht, sagt der libanesische Journalist Abdul M. Husseini.

Frauen blockieren die Straße nach Banias, um für die Freilassung ihrer Männer zu demonstrieren. Bild: dapd

taz: Herr Husseini, etwa 250 Menschen sollen bislang in Syrien getötet worden sein. Warum geht das Regime mit einer solchen Brutalität vor?

Abdul M. Husseini: Ich glaube, das ist Ausdruck einer Panikattacke angesichts der Siege der Revolutionen in Tunesien und in Ägypten. Man dachte, dass Syrien gegen den revolutionären Virus immun sei. Präsident Baschar al-Assad sagte vor einigen Wochen, dass es keinen Grund für Aufruhr und Revolutionen in Syrien gebe, weil er die richtige Politik vertrete, vor allem auch in Bezug auf die Außenpolitik.

Nun hat er aber nach den Unruhen in Deraa Reformen angekündigt, die Regierung ist zurückgetreten, eine neue soll kommen. Wie reformfähig ist das Regime?

Dr. Abdul Mottalib Husseini ist Journalist und Publizist libanesischer Abstammung. Der 61-Jährige lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Deutschland und beschäftigt sich in zahlreichen Artikeln, Kommentaren und Filmbeiträgen mit den Konflikten und aktuellen Entwicklungen in der arabischen Welt.

Das ist eine sehr komplizierte Frage. Wenn man reformfähig sein will, muss man auch Reformen wollen. Nach seiner jüngsten Rede hat man aber den Eindruck, dass Assad sich noch nicht für Reformen entschieden hat. Man weiß nicht genau, was er unter Reform versteht. Er hat die Gehälter einiger Beamter erhöht und in Aussicht gestellt, dass der Ausnahmezustand aufgehoben werde. Aber bis heute sind dem keine konkreten Schritte gefolgt. Das Regime ist in seinem jetzigen Zustand nicht reformierbar.

Wer steht denn noch hinter dem Regime? Wer ist die gesellschaftliche Stütze von Assad?

Offiziell ist die Basis der Macht die Baath-Partei mit ihren knapp zwei Millionen Mitgliedern. Aber das ist nur die Fassade. Das Land wird von einer korrupten Diktatur beherrscht, die alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens kontrolliert. Als Person hat Assad sehr viel Macht, die er von seinem Vater geerbt hat. Die Sicherheitsorgane festigen seine Macht. Er glaubt, dass er eine nationale Politik betreibt, wenn er eine anti-israelische Politik verfolgt, sich mit Hisbollah und dem Iran verbündet und so vorgibt, die nationalen Interessen, den Staat und Syrien zu vertreten.

Nun sind jüngst verschiedene Oppositionelle indirekt zu Gesprächen etwa über die Tageszeitung Tischrin aufgefordert worden.

Die Opposition erfährt nur Unterdrückung und bekommt keine Einladung zu Gesprächen. Die Aufforderung zu Gesprächen kommt nur von unbedeutenden Personen des Regimes wie der Beraterin Schaaban. Die syrische Politik ist im Moment sehr doppelzüngig. Einerseits sagt man fürs Ausland, man wolle Reformen und Gespräche, andererseits schickt man die Schlägertrupps und die Sicherheitskräfte, die sehr brutal vorgehen. Das Angebot zu Gesprächen ist nicht ernst zu nehmen, solange es nicht von Assad persönlich und in klarer Form kommt.

Wer verkörpert denn aktuell die Opposition in Syrien?

Es gibt verschiedene Kräfte, aus denen sich die Opposition rekrutiert. Da sind zum einen die traditionellen linken kleinen Gruppierungen, die seit Jahrzehnten gegen das Regime stehen. Und zum anderen ist da die Muslimbruderschaft, die in Syrien verboten ist. Wer Mitglied dieser Partei ist, kann nach Paragraph 49 des syrischen Strafrechts mit dem Tode bestraft werden. Von daher weiß man nicht, wie stark diese Organisation überhaupt ist. Dann sind da noch die Vertreter der Zivilgesellschaft, die im Jahre 2000 für Reformen plädiert haben, bis auch sie fünf Jahre später vom Regime verfolgt und inhaftiert wurden. Und schließlich gibt es noch die gebildete Jugend, die im Internet sehr aktiv ist, die informiert ist, die sich austauscht – sie ist vergleichbar zu den anderen arabischen Staaten.

Hat der Konflikt denn auch eine religiöse Dimension? Steht da eine sunnitische Mehrheit gegen die alawitische (schiitische) Minderheit, die an der Macht ist?

Der Konflikt ist in Syrien zuallererst einmal politisch. Es geht um den Kampf gegen die Diktatur, um die Rechte des Volkes auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, um die Aufhebung des seit 1963 geltenden Ausnahmezustandes und die Änderung des 8. Artikels der syrischen Verfassung, der die führende Rolle der Baas-Partei in Staat und Gesellschaft festschreibt. Und es geht nicht zuletzt um die Würde der Menschen. Das Regime ist sehr brutal. Der Begriff Menschenrechte kommt in seinem Vokabular gar nicht vor.

Und die religiöse Frage?

Syrien ist traditionell ein Land mit sehr vielen Nationalitäten, Religionen und Konfessionen. Hier leben Christen, Sunniten, Schiiten, Araber, Kurden, Drusen, Tscherkessen, Armenier. Erst mit dem Putsch der Baath-Partei unter Hafez al-Assad Anfang der 70er Jahre kam eine Offiziersgruppe aus der alawitischen religiösen Minderheit an die Macht. Aber das Regime hat nie eine konfessionelle Politik offen verfolgt, sondern war immer von einer nationalistischen Ideologie geprägt. Wenn es konfessionelle Konflikte gibt oder diese als solche ausgegeben werden, dann geschieht dies von seiten des Regimes. Selbst die Muslimbrüder spielen nicht die religiöse Karte. Das Regime will aber suggerieren: Wenn wir nicht an der Macht bleiben, dann werden religiöse Konflikte ausbrechen.

Kann das Assad-Regime auf Verbündete in der arabischen Welt hoffen?

Das syrische Regime steht an der Seite Gaddafis und vertrat die gleiche Position wie die Saudis in Bahrain. Jüngst hat man versucht, die Beziehungen zu Jordanien zu verbessern, um gemeinsam gegen die "Verschwörung" vorzugehen. Man sieht in der gesamten arabischen Welt, dass die Diktaturen und Monarchien zusammenstehen, dass sie gemeinsame Sache machen, um sich zu behaupten und ihre Köpfe zu retten. Die Hisbollah und Iran aber sind für Syrien strategische Verbündete. Das Problem besteht aber darin, dass sich ein direktes Einmischen von Iran oder Hisbollah verbietet, da es dem Regime mehr schaden als nutzen würde.

Was erwarten Sie in den kommenden Tag und Wochen?

Ich bin da pessimistisch. Von Tag zu Tag nimmt die Repression zu. Bislang stand das Regime nicht vor einer existentiellen Bedrohung. Niemand hat zu Beginn der Unruhen vor vier Wochen den Sturz des Regimes gefordert. Das Regime reagierte aber von Anfang an mit brutaler Gewalt. Assad hat in seiner Rede klar gesagt, dass die "Verschwörung" von außen komme, dass Israel und die USA verantwortlich seien und dass er auf diese Herausforderung mit Gewalt reagieren müsse. Das hat er getan. Aber die Proteste sind seitdem angewachsen. Die Entwicklung verläuft in dieser Hinsicht wie in Tunesien und Ägypten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.