Irakische Sunniten gegen die Kaida: Die Herren von Adhamiya

Immer mehr irakische Sunniten formieren sich gegen die Kaida Ussama bin Ladens. Die Amerikaner honorieren den Frontenwechsel mit der Aufstellung lokaler Bürgerwehren

Straßenszene in Bagdad. Bild: dpa

BAGDAD taz Als am Firdos-Platz ein Trupp amerikanischer Marines unter dem Jubel von ein paar Irakern die überlebensgroße Statue von Saddam Hussein vom Sockel riss, hatte Oberst Riadh Samarrai im altehrwürdigen Viertel Adhamija längst einen anderen Plan. Zusammen mit einer Gruppe von Gleichgesinnten wollte der Offizier den Amerikanern im Irak das Leben zur Hölle machen. Noch am gleichen Tag, dem 9. April 2003, packten sie ihre Waffen und begannen den Guerillakrieg.

Die Feier zur Heimkehr eines irakischen Gefangenen aus amerikanischer Militärhaft war Ziel eines Selbstmordanschlags am Rand von Bagdad. Dabei kamen am Sonntagabend in der Nähe von Abu Ghraib mindestens 25 Menschen ums Leben, wie irakische Behörden mitteilten. 29 Teilnehmer der Feier wurden verletzt. Ein örtlicher Stammesführer in der mehrheitlich sunnitischen Gegend hatte zu dem Fest geladen und dafür mehrere Zelte aufgebaut. Eine Frau, die den Anschlag verletzt überlebte, sagte, sie habe gerade Speisen zubereitet, als die Bombenexplosion gegen

21 Uhr (Ortszeit) sie und ihre drei kleinen Kinder zu Boden gerissen habe. Unter den Gästen waren mehrere Mitglieder eines örtlichen Erweckungsrates, wie die sunnitischen Gruppen genannt werden, die sich gegen al-Qaida im Irak gestellt haben und die US-Streitkräfte unterstützen. Der Gastgeber war der Lokalchef der Sahwa-Miliz. Auch er starb.

Gestern hat eine 13-jährige Irakerin einen Selbstmordanschlag abgebrochen und sich der Polizei gestellt. Das Mädchen sei mit einer Weste voll Sprengstoff bekleidet gewesen, als es sich in Bakuba den Polizisten ergeben habe, teilte das US-Militär am Montag mit. "Sie sagte, sie habe die Weste an, wolle den Anschlag aber nicht verüben." Es sei unklar, ob die 13-Jährige zu dem geplanten Attentat gezwungen worden sei oder sich freiwillig angeboten habe. AP, AFP, RTR

Zu Tausenden waren Saddam Hussein die Soldaten und selbst die Kämpfer der gefürchteten Fedajin und der Revolutionsgarde von der Fahne gegangen. In Adhamija, wo viele ehemalige höhere Beamte und Offiziere leben, fühlte sich Saddam Hussein immerhin so sicher, dass er hier seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte. Vor der Moschee von Abu Hanifa, dem Wahrzeichen der Sunniten in Bagdad, warf er sich noch einmal in Pose und rief zum Widerstand auf, als die US-Truppen schon mitten in Bagdad standen. Während sich der Diktator auf einem Boot über den Tigris absetzte, harrten sie aus. Die Kämpfer von Adhamija waren die letzten, die in Bagdad vor der amerikanischen Übermacht kapitulierten. Die Niederlage war vernichtend, aber für die Amerikaner war es nur ein Sieg auf Zeit.

Während die Sunniten in anderen Landesteilen noch zwischen Ablehnung und Arrangement mit den Amerikanern schwankten, bereitete der Kreis um Oberst Samarrai bereits die ersten Angriffe vor. Den Oberst können wir nicht mehr nach dem Wie und Warum fragen. Er ist tot. Anfang des Jahres fiel er einem gezielten Mordanschlag zum Opfer. Doch für die Männer, die damals eng an seiner Seite kämpften, war es eine Frage der Ehre. "Wer nur einen Funken Ehrgefühl besaß, musste sich dem Widerstand anschließen", sagt Abdulla Raschid Tikriti.

Wie der Exsoldat und Bäckereibesitzer waren die meisten in dem Kreis nicht unbedingt glühende Anhänger von Saddam, wohl aber der Baath-Partei. Ihr Slogan von der Einheit der arabischen Nation war für sie mehr als eine hohle Phrase. Zugleich sahen sie es als ihre Pflicht, den muslimischen Boden gegen die Ungläubigen zu verteidigen. "Wir waren die wahren Mudschaheddin", sagt Mahmud Salihi, ein ehemaliger Beamter im Handelsministerium. Die geistige Munition lieferte der sunnitische Geistliche Ahmed Abdul Ghafur Samarrai, der von der Abu-Hanifa-Moschee aus den Aufstand predigte. Den Rest erledigten die Amerikaner selbst, indem sie mit der Auflösung des Sicherheitsapparats, Massenverhaftungen, Razzien, den Misshandlungen im Gefängnis von Abu Ghraib und schließlich dem Großangriff auf Falludscha und Ramadi die Sunniten immer mehr gegen sich aufbrachten.

An Waffen mangelte es nicht. Zuerst deckten sie sich in den Waffendepots ein, die nach dem Einmarsch der Amerikaner frei zur Verfügung standen. Später half ihnen das verzweigte Netz von Clan- und Familienverbindungen nach Samarra und Tikrit, dass ihnen der Nachschub nicht ausging. "Den Transport übernahmen Frauen, weil sie an den Checkpoints nicht kontrolliert wurden", sagt Mahmud Salihi. Seit dem Sommer 2004 verging kaum ein Tag, an dem es in Adhamija nicht zu Anschlägen und Straßenkämpfen zwischen den Aufständischen und den Amerikaner kam. "Wir waren die Herren von Adhamija", sagt Tikriti. "Wir waren al-Qaida."

Lange Zeit behaupteten die Amerikaner und irakische Politiker, die Terrorgruppe al-Qaida im Irak sei vor allem ein Produkt der internationalen Dschihad-Allianz von Ussama Bin Laden und seinem Statthalter im Irak, dem vor zwei Jahren von den Amerikanern getöteten Jordanier Abu Mussab Sarkawi. Zumindest für die rund fünf Dutzend Kämpfer um Oberst Samarrai galt das nicht. Zwar hätten sie vereinzelt auch ausländischen Dschihadkämpfern Unterschlupf gewährt, sagt Salihi. "Aber der Chef von al-Qaida war Oberst Samarrai." Laut Salihi und seinen Mitkämpfern zerfiel al-Qaida von Adhamija jedoch bald in drei Flügel: die Takfiris, die andere Muslime als Ketzer und Ungläubige verdammen und jeden mit Gewalt überzogen, der sich ihrem althergebrachten islamischen Regime widersetzte; den Extremisten standen die Moderaten gegenüber, die wie sie aufgrund ihres Glaubens kämpften. "Die moderate al-Qaida waren wir", sagt Salihi. Sie seien jedoch unter den Druck nicht nur der Extremisten, sondern vor allem der "iranischen Fraktion" geraten, die als Handlanger des Iran Jagd auf die Moderaten gemacht hätten, um so den Konflikt anzuheizen.

Was immer die wahren Hintergründe der Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen waren, Adhamija versank immer tiefer in Anarchie. Sie verbarrikadierten ganze Straßenzüge, lieferten sich stundenlange Feuergefechte und machten mit Morden und Entführungen aufeinander Jagd. Mohammed Kassem Abdul Wahab, der ebenfalls zur Gruppe um Samarrai gehörte, ist sich sicher, dass hinter seiner Verschleppung im letzten Jahr der Imam einer kleinen Moschee steckte. "Wir wussten nicht mehr, wer hier gegen wen kämpft", sagt Suad Duleimi. "Täglich lagen in unserer Straße zwei bis drei Tote." Aus Angst verließ die Hausfrau oft wochenlang nicht mehr das Haus. An Flucht aus dem Viertel war nicht zu denken, denn in den Außenbezirken von Adhamija massakrierten nach dem Bombenanschlag auf das schiitische Heiligtum in Samarra im Februar 2006 marodierende schiitische Milizionäre die Sunniten.

Die Wende kam im vergangenen Herbst, als die Beziehung von Oberst Samarrai zu al-Qaida zerbrach und er sich in den Dienst der Amerikaner stellte. Nach zahlreichen Verlusten in Kämpfen mit verfeindeten Gruppen schloss er sich der Sahwa-Bewegung an, dem "Erwachen" genannten Aufstand der Sunniten gegen al-Qaida im Irak, der in Ramadi und der Provinz Anbar ein Jahr davor begonnen hatte. "Was den Amerikanern nicht gelang, haben wir geschafft", sagt Tikriti. "Wir haben Adhamija von al-Qaida befreit." Die Amerikaner honorierten den Frontenwechsel der ehemaligen Al-Qaida-Kämpfer wie anderswo auch mit der Aufstellung einer lokalen Bürgerwehr. Ein wilder Mix aus Männern in Tarnhosen, Jeans und T-Shirts schiebt an den Checkpoints Wache. Mittlerweile trauen sich auch Frauen wie Duleimi wieder auf die Straße. Gärtner sprengen einen frisch angelegten kleinen Park, die Fassaden an der Marktstraße erstrahlen lachsrot. Nach zwei Jahren habe er sein Geschäft vor zwei Wochen wieder eröffnet, erzählt ein Getränkehändler. Obwohl er von den zur Bürgerwehr mutierten Al-Qaida-Kämpfern wenig hält, lobt auch er den Gewinn an persönlicher Sicherheit.

Tikriti darf sich heute Truppführer nennen. In einem Büro in Kam, einem Quartier von Adhamija, führt er das Kommando über einige Dutzend Sahwa-Milizionäre. Die Zufahrt ist mit Stacheldraht verbarrikadiert, die Fenster sind mit Brettern vernagelt, auf dem staubigen Schreibtisch liegt griffbereit eine Pistole. Seit dem Seitenwechsel macht al-Qaida Jagd auf ihre ehemaligen Gesinnungsgenossen. Als erstes traf ihre Rache im Januar Samarrai, am 17. August riss ein Selbstmordattentäter den stellvertretenden Sahwa-Chef mit sieben weiteren Personen vor der Abu-Hanifa-Moschee in den Tod.

Der Kampf gegen die Amerikaner sei ihr größter Fehler gewesen, sagt Tikriti rückblickend. "Unser wahrer Feind sind nicht die Amerikaner, sondern die Iraner." In der Runde in dem Büro heftiges Nicken. Nicht nur haben die Männer zwischen Mitte dreißig und Anfang fünfzig den achtjährigen Krieg gegen das Nachbarland nicht vergessen, aus ihrer Sicht sind auch die Schiiten des Irak, die heute an den Schalthebeln der Macht sitzen, nichts anderes als Agenten des Iran. "Mit den Amerikanern können wir verhandeln. Aber die Iraner wollen den Irak zerstören und uns alle vernichten", sagt Mahmud Salihi. "Deshalb brauchen wir die Amerikaner, um uns und den Irak zu schützen."

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