Flucht der Christen aus Nahost: Glaube ohne Hoffnung

Die früher stark vertretene Minderheit in der Region wird immer kleiner. Die Gründe dafür sind vielschichtig: wirtschaftliche Not, aber auch Gewalt und Diskriminierung.

Kreuz über dem Eingang der 2004 bei einem Bombenattentat zerstörten katholischen Kirche St. George in Bagdad. Bild: dpa

BERLIN taz | Im Jahr 1900 waren im Nahen und Mittleren Osten durchschnittlich 22,7 Prozent der Bevölkerung Angehörige der unterschiedlichen christlichen Konfessionen. Heute sind es noch 5,77 Prozent. Der Rückgang betrifft so unterschiedliche Staaten wie den Irak, Syrien, die palästinensischen Gebiete, Ägypten oder den Libanon. Libanon ist das einzige Land der Region, in dem die Christen früher die Mehrheit stellten.

Als Ursachen für den Rückgang der christlichen Bevölkerung gelten Migration und eine geringe Geburtenrate. Letzteres trifft für zahlreiche der betroffenen Staaten zu, doch hinter dem Wunsch nach Auswanderung verbirgt sich eine Vielzahl von Motiven. Das können wirtschaftliche Perspektiven sein, aber auch politische Konflikte, Kriege, sonstige Formen der Gewalt und Diskriminierung - häufig in Verbindung mit Zukunftsangst. Hinzu kommen sozial-kulturelle Komponenten wie islamistische Tendenzen und ein damit einhergehender gesellschaftlicher Druck.

Im Irak, wo vor dem Beginn des Krieges 2003 noch rund 800.000 Christen, etwa 3 Prozent der Bevölkerung, lebten, haben Schätzungen zufolge bereits über die Hälfte das Land verlassen. Morde und Attentate in mehreren Städten, bei denen auch Kirchen die Ziele waren, sind hier die wichtigsten Ursachen. Viele Christen, die aus Bagdad und Basra nach Kurdistan geflohen waren, fühlen sich auch dort heute nicht mehr sicher. Seit Kriegsbeginn wurden über 730 Christen im Irak getötet. Ein Mitglied der christlichen Gemeinde in Bagdad sagte nach Ende der Geiselnahme und der Befreiungsaktion gegenüber Journalisten: "Die Christen im Irak haben die Hoffnung verloren. Der beste Weg zu überleben ist, sich ein anderes Land zu suchen."

Im Libanon, wo vor allem die einst marginalisierten Schiiten eine hohe Geburtenrate haben, führte der entlang konfessioneller Linien geführte Bürgerkrieg in den Jahren 1975 bis 1989 zur vermehrten christlichen Auswanderung.

In den palästinensischen Gebieten hält der Exodus der Christen seit Jahrzehnten an. Die israelische Besatzung, wirtschaftlicher Niedergang, zwei Intifadas und eine Re-Islamisierung sind hier die wesentlichen Beweggründe. Die Zahl der Christen ist von 5,3 Prozent im Jahr 1970 auf weniger als die Hälfte gesunken. In den Städten Bethlehem und Ramallah, aber auch anderswo sind es häufig die Gebildeten, die wegen besserer Chancen bei einem Neuanfang ihrer Heimat den Rücken kehren und häufig schon Angehörige im Ausland haben. Davon abgesehen bedeutet die christliche Emigration für den Nahen Osten einen kulturellen Verlust, gerade vor dem Hintergrund der langen Geschichte, die diese Minderheit mit der Region verbindet.

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