Menschenrechtler kritisieren Ägypten: Todesschüsse auf Flüchtlinge

Menschenrechtler kritisieren Ägyptens Umgang mit afrikanischen Flüchtlingen. Mehr als 30 wurden beim Versuch der illegalen Einreise nach Israel erschossen.

Siddiq Ismail sieht müde aus, sein Blick ist leer, als er mit einer Plastiktüte in der einen Hand und seiner dreijährigen Tochter Samar an der anderen in Kairo seine unglaubliche Geschichte erzählt. Vor fünf Jahren sei er mit seiner Familie vor dem Krieg in Darfur geflohen, beginnt er seine Geschichte. Das Leben in Ägypten sei unerträglich gewesen, er habe keine Arbeit gefunden und im Büro des UN-Flüchtlingswerks UNHCR habe es nur leere Versprechen und finanzielle Unterstützung nur für Familien mit mindestens fünf Kindern gegeben. Da habe er gehört, dass man in Israel Arbeit und ein Auskommen finden könne.

Daher brach Ismail mit fünf Familien aus Eritrea und dem Sudan im Juli vergangenen Jahres auf. Die Beduinen schmuggelten sie gegen Geld mit 40 anderen im Nordsinai in Richtung israelische Grenze. In einem Dorf außer Sichtweite der Grenze wurden sie abgesetzt. Die Beduinen sagten, es ginge am nächsten Morgen weiter, nachdem sie mit einem Offizier der ägyptischen Grenztruppen handelseinig geworden waren.

"In der Nacht kamen die ägyptischen Grenzsoldaten mit Taschenlampen und begannen auf jeden, der sich wegbewegte, zu schießen", erinnert Ismail sich. Seine im siebten Monat schwangere Frau Haja Haroun wurde direkt neben ihm erschossen. Ismail zieht die Sterbeurkunde aus der Plastiktüte. "Kopfschuss" steht dort als Todesursache geschrieben. Er selbst wurde mit den anderen festgenommen, mit der Leiche seiner Frau nach Rafah gebracht und zu einem Jahr in einem ägyptischen Gefängnis verurteilt. Am 18. August wurde er freigelassen.

Jetzt ist er ohne Geld mit seiner Tochter wieder in Kairo. "Der Tod war überall um mich herum, in Darfur, in Ägypten wollte ich verzweifelt ein neues Leben finden, bei der Flucht nach Israel wurde meine Frau erschossen. Ich stehe vor dir, aber in Wirklichkeit habe ich aufgehört zu leben, sagt Ismail.

Wenn es darum geht, afrikanische Flüchtlinge loszuwerden, arbeiten sogar Araber und Israelis zusammen und verletzten dabei fundamentale Menschenrechte, wie die Menschenrechtsorganisation Human Right Watch (HRW) in einem am Dienstag in Kairo vorgestellten Bericht beiden Ländern vorwirft. Dort ist auch Ismails Fall dokumentiert.

Hauptmann Amr Mamdouh von den ägyptischen Grenztruppen erläutert gegenüber HRW auch seine Version. Man habe zunächst Warnschüsse abgegeben. "Im Dunkeln können wir nicht Frauen von Männern unterscheiden, alles ist schwarz", versucht er sich zu rechtfertigen. Joe Stork, stellvertretender Direktor der Nahostsektion von HRW, sagt: "Am Anfang sah es so aus, als handle es sich um ein paar tragische Vorfälle, aber mit dieser Häufigkeit sieht das aus wie eine beabsichtigte Politik."

Mindestens 33 Flüchtlinge sind inzwischen bei dem Versuch die Grenze von Ägypten nach Israel illegal zu überqueren, von ägyptischen Grenzsoldaten erschossen worden. Diejenigen, die es geschafft haben, sind alles andere als sicher, da sie in Israel als "gefährliche Eindringlinge" klassifiziert und teilweise wieder nach Ägypten deportiert werden. Von dort werden sie oft in ihre Heimatländer, meist in den Sudan oder nach Eritrea zurückgeschickt, wo ihnen politische Verfolgung und Folter droht.

"Ich hatte die Wahl in Kairo zu bleiben, zu versuchen über Libyen nach Europa zu kommen und im Meer zu ertrinken, oder zu versuchen, nach Israel zu kommen und erschossen zu werden. Ich zog es vor, durch eine Patrone umzukommen", wird J. B., ein Mann aus Darfur, in dem Bericht zitiert. Er war zuvor von ägyptischen Grenzpolizisten festgenommen worden.

Seit 2006 haben über 13.000 Flüchtlinge im Sinai die Grenze zwischen Ägypten und Israel überquert. "Viele versuchen aus purer Verzweiflung vom Sinai aus nach Israel zu fliehen, weil sie es nicht schaffen, ihre grundlegendsten Überlebensbedürfnisse in Ägypten zu sichern", heißt es in dem Bericht. Israel steht auf dem UN-Entwicklungsindex auf Platz 23, Ägypten auf 112. Dabei verschärft sich die Lage an der Grenze. Im August letzten Jahres sollen ägyptische Grenzpolizisten laut Augenzeugenberichten sogar vier Menschen erschlagen haben. "Wahrscheinlich wurde viel mehr als die uns bekannten 33 Fälle erschossen. Unter der sudanesischen Flüchtlingsgemeinde in Kairo kursieren zahllose Geschichten von Flüchtlingen, die sich auf den Weg nach Israel gemacht haben und von denen niemand mehr gehört hat", sagt Bill Van Esveld, Autor des HRW-Berichts. Tausende wurden bei dem Versuch, die Grenze zu überqueren verhaftet, kamen ins Gefängnis oder wurden deportiert. HRW sind 139 derartige Fälle bekannt.

"Wir haben keine Beweise für eine ägyptisch-israelische Zusammenarbeit, aber es gibt Hinweise", meint Esveld. Bei einem Treffen zwischen dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und dem israelischen Premier Ehud Olmert im Juni letzten Jahres war auch das Problem der Flüchtlinge besprochen worden. Am 1. Juli verkündete Olmert, man sei sich in dieser Frage einig geworden. Unter israelischem Druck wollten die Ägypter das Migrationsproblem offensichtlich auf ihre eigene Art lösen: Wenige Tage darauf fielen an der Grenze zu Israel die ersten Schüsse - gegen harmlose, unbewaffnete Flüchtlingsfamilien.

www.hrw.org

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