Blogeintrag aus Teheran - Teil 3: "Wir töten deine Kinder"

Das Militär erzwingt Geständnisse durch die "Weiße Folter": den Inhaftierten wird mit der Ermordung ihrer Verwandten gedroht. Und die Milizen machen sich unfreiwillig lächerlich.

Die Polizei und die verängstigte Bevölkerung: Dieses Foto aus Teheran wurde bei Twitter hochgeladen. Bild: reuters

Donnerstag, 2. Juli, zehn Uhr abends. Draußen hat das nächtliche "Allah akbar" gerade angefangen. Es ist beruhigend und schlicht erstaunlich, dass Leute trotz des ständigen Umschreibens der jüngsten Ereignisse in den iranischen Medien bei dieser Agenda bleiben. Es ist eine der sehr wenigen Ausdrucksformen, die es noch gibt, um die eigene Meinung zu demonstrieren.

Gestern wurde die erste Serie von Geständnissen im iranischen Fernsehen gezeigt. Geständnisse von Intellektuellen, Journalisten, Filmemachern, die, nachdem sie gefoltert wurden, auf Band zugaben, dass sie von ausländischen Mächten instruiert wurden, einen Aufstand zu planen und durchzuführen.

Diese Geständnisse sind in zweifacher Hinsicht schmerzlich. Erstens müssen die Folter, der diese Leute unterzogen wurden, und die Perspektive, mit diesen Geständnissen von jetzt an leben zu müssen, ein Albtraum sein. Wie mir beim Evin-Gefängnis gesagt wurde, wird oft "weiße Folter" angewandt. Das bedeutet, dass Leute, meist Angehörige, die einem nahestehen, bedroht werden. Sie drohen damit, deine Schwester zu töten, deine Kinder oder deine Frau, falls du kein Geständnis ablegst. Dann drohen sie wiederholt damit, dich hinzurichten. Sie lassen dich nicht schlafen und entziehen dir alle Möglichkeiten, Kraft und Willen zu schöpfen, bis du schließlich gebrochen wirst. Das dauert bei jeder Person unterschiedlich lange, aber jeder gibt an einem bestimmten Punkt auf, wie mir ein Freund heute erzählt hat. Dann setzen sie sich mit dir zusammen und üben ein, was du zu sagen hast. Sie gehen den Text viele Male durch, damit dein Geständnis glaubwürdig klingt.

Natürlich wird keiner, der miterlebt hat, was auf den Straßen von Teheran, Shiraz, Isfahan und anderen Städten geschehen ist, diesen Geständnissen jemals Glauben schenken. Aber Leute, die aus Angst oder anderen Gründen zu Hause geblieben sind, Leute, die das glauben wollen, weil es das Leben einfacher macht, Leute, die Angst haben, selbstständig zu denken, können sehr wohl diesen Schwachsinn glauben. Und das ist der zweite deprimierende Aspekt dieser Geständnisse.

Dienstag, 30. Juni, halb drei Uhr morgens. Das Evin-Gefängnis liegt im Nordwesten Teherans in der Nähe der Chamran-Schnellstraße. Es ist ein Gelände von einigen Quadratkilometern, das von einer Mauer umgeben ist und von Soldaten auf mehreren Wachtürmen nach innen und außen überwacht wird. Als ich heute zwischen halb fünf und halb sechs Uhr da war, warteten hundert bis hundertfünfzig Leute vor dem Eingang und unter der Unterführung der Straße. Es war ein eher symbolisches Warten, das kein unmittelbares Ziel hatte. Nach offiziellen Angaben sind 1.000 Personen seit den Wahlen festgenommen worden, aber die inoffizielle Zahl liegt bei 2.000.

Nach der "erfolgreichen" gestrigen Demonstration in einer Moschee war für heute, 17 Uhr eine weitere Menschenkette vom Tajrish- zum Raahan-Platz angesetzt, genau wie die spektakuläre grüne Menschenkette vor den Wahlen. Ich war von der Idee nicht sehr überzeugt. Ich verließ das Haus um halb fünf, um zum Evin-Gefängnis zu gehen. An der Parkanlagen-Kreuzung standen einige Dutzend Polizisten und Mitglieder der Freiwilligenmiliz Bassidschi auf beiden Seiten der Valiasr-Straße und auf dem Platz.

Bei meiner Rückkehr um sechs Uhr waren viel mehr bewaffnete Kräfte da. An der Parkanlagen-Kreuzung selbst standen hunderte Männer in Kampfanzügen die Valiasr-Straße runter in Richtung Vanak. Die Bassidschi-Milizen in einer Reihe auf der westlichen Seite und Polizisten auf der östlichen, sodass ich mich natürlich entschloss, auf der östlichen Seite langzugehen. Alle zehn Meter stand ein Polizist in einer grünen Uniform mit Schild und Schlagstock, alle hundert Meter einer mit einem Tränengasgewehr mit einem Beutel Munition am Gürtel. Während ich an dieser Formation vorbeiging, wurde mir plötzlich klar, dass sie eine Menschenkette gebildet hatten - und sogar eine grüne. Unbeabsichtigt hatten sie die Idee der Protestierenden übernommen, die ganze Valiasr-Straße entlang eine Menschenkette zu bilden. Und es war ihnen nicht klar, dass sie das gemacht hatten, was sie verhindern wollten. Es war so ironisch und lustig, dass ich grinsen musste, während ich an den ganzen Posten vorbeiging, bis ich zu meiner Straße kam.

Es mag bizarr scheinen, aber in einer Zeit, in der in einer islamischen Republik Häuser gestürmt werden, weil auf den Dächern "Allah akbar" gerufen wird, kann nichts mehr zu absurd sein, um nicht tatsächlich einzutreten. In einer Zeit, in der die Polizei sagt, an der Gewalt, sogar dem Töten auf den Straßen, seien Protestierende schuld, die sich als Polizisten verkleidet hätten, kann man alles erwarten. Aber sie kamen erst zu dieser Schlussfolgerung, als der Bassidschi-Führer heute bekannt gab, dass "Betrüger [sic!] die Uniform der Polizei und der Bassidschi getragen haben, um die Demonstrationen zu infiltrieren und Chaos zu schaffen".

Ein Freund, der in der Nähe des Revolutionsplatzes wohnt, erzählte mir, dass am "blutigen Samstag", als die Leute in Seitenstraßen flüchteten, die Demonstranten auch in seine Straße kamen. Er beobachtete, wie Leute gegenüber den Flüchtenden halfen und sie ins Haus ließen. Er filmte, wie die Polizei anfing, auf jedes Auto vor dem Haus und auf dem Parkplatz einzuschlagen. Dann zertrümmerten sie die Fenster im ersten Stock des Hauses und setzten es in Brand. Er filmte auch, wie sie sein eigenes Auto zerstörten. Am Sonntag rief er die Polizei an, um ihnen zu sagen, sie hätten sein Auto zertrümmert und er habe es gefilmt. Der Polizist am Telefon sagte nur, dass jetzt viele Leute mit solcher Kleidung - gemeint sind Polizeiuniformen - auf den Straßen seien. Dann legte er auf.

*Der Name der Bloggerin aus Teheran ist der Redaktion bekannt. Bisher sind von ihr erschienen: "Antidepressiva gegen den Schmerz" (taz vom 1. Juli) und "Die schicken ja Kinder!" (taz vom 25. Juni).

Übersetzung aus dem Englischen von Beate Seel

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