Speicherung von Verbindungsdaten auf Vorrat: Überwachte Kommunikation

Wolfgang Schäuble weiß nicht nur, was du letzte Nacht im Internet gelesen hast. Er weiß auch, wem du im letzten halben Jahr SMS geschickt hast.

Belauscht vom Staat: Kommunikation soll protokolliert werden. Bild: dpa

Dass sich Terroristen per SMS absprechen, scheint ungewöhnlich, dennoch werden jetzt seit Jahresbeginn 2008 Daten gespeichert, die Auskunft geben, an wen und vor allem auch von wo aus eine Kurzmitteilung geschickt wurde. Diese Daten werden auf Vorrat für sechs Monate gespeichert. Ebenfalls aufgezeichnet und verwahrt werden alle Telefonverbindungen von Handy und Festnetz. Ab 2009 sollen auch die Internet-Verbindungsdaten dazu kommen. Die gesamte Kommunikation wird damit durchsichtig. Anonymisierungsdienste sollen verboten werden.

Festnetz, Mobil- und Internetelefonie: Beteiligte Telefonnummern, Datum und Uhrzeit und Dauer der Gespräche.

Mobiltelefone: darüber hinaus auch der Standort der Gesprächspartner und die eindeutig dem Gerät zugeordnete IMSI-Nummer sowie die SMS-Verbindungsdaten.

E-Mail: Adressen sowie Ein- und Ausgangsdaten der Kommunikationspartner, wie die Daten aus dem Kopf der E-Mail.

Internet: zugewiesene IP-Adresse, sowie der Anschluss, über den die Internet-Verbindung hergestellt wird, Datum und Uhrzeit und die Dauer der Verbindung.

Die Inhalte der Kommunikation sollen nicht gespeichert werden.

Die Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung wird im März veröffentlicht.

Anleitung zur Anonymität: Wie man sich vor der Überwachung des Surfverhaltens schützen kann, erklärt das tazblog Alle(s) unter Kontrolle in den Artikeln: Anonymes Surfen Teil I: Warum soll ich das?, Anonymes Surfen Teil II: Was ist das?, Anonymes Surfen Teil III: Wie geht das? und Anonymes Surfen Teil IV: Praktische Tipps für den Alltag.

30.000 legten Verfassungsbeschwerde ein

In der Bevölkerung stößt die Vorratsdatenspeicherung auf großen Widerstand. Insgesamt 30.000 Bürger bevollmächtigten den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung für sie eine Verfassungsbeschwerde einzureichen - die taz berichtete.

Da die Erfassung und Auswertung der Vollmachten bislang noch nicht abgeschlossen werden konnte, wurde die Beschwerde am 31.12.2007 zunächst im Namen von acht Erstbeschwerdeführern eingereicht worden, darunter der FDP-Politiker Burkhard Hirsch. Doch ein Zeichen wurde gesetzt. Vertreten wird die Beschwerde durch den Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik. Hier wird der "Anwalt der Bürgerrechte" im taz-Portrait vorgestellt. Die öffentliche Liste der Beschwerdeführer steht im Internet, ebenso wie der Beschwerdetext (PDF) selbst.

Seit Ende Januar ist nun auch die richterliche Zuständigkeit in Karlsruhe geklärt: Zuständig für die Massenverfassungsbeschwerde ist der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts.

Eilentscheidung im März

Das Bundesverfassungsgericht will seine mit Spannung erwartete Eilentscheidung rasch verkünden. "Wir beabsichtigen, noch im März zu entscheiden", sagte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier am 13. Februar in Karlsruhe. Nähere Angaben dazu machte er nicht.

Gespeichert werden laut dem Gesetzt alle Daten der Verbindungen, nicht die Inhalte der Kommunikation: Wer hat sich mit welcher IP-Adresse ins Internet eingewählt? Wann wurde von welchem Telefon welche Nummer angerufen? Von wo aus hat ein Mobilfunk-Teilnehmer telefoniert? Datenschützer mahnen aber an, dass von dem einen sehr einfach auch auf das andere geschlossen werden kann. Bei SMS ist eine Trennung von Inhalt und Verbindungsdaten rein technisch gar nicht möglich.

Trotz umfangreicher Kritik wurde das Gesetzt zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet. Ausgerechnet am historisch bedeutsamen 9. November wurde die Neuregelung der Kommunikationsüberwachung von CDU/CSU und SPD beschlossen. Der genaue Wortlaut des Gesetz steht hier.

Nichtigkeitsklage gegen Richtlinie

Deutschland hat sich damit ein Fleißsternchen von der EU verdient, denn mit dem Gesetzt wird eine EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umgesetzt. Erst acht der 27 EU-Staaten hätten entsprechende Gesetze bereits beschlossen, wie die dpa im Januar meldete. Die Richtlinie lässt den Ländern einen gewissen Spielraum: Sie sieht eine Speicherdauer von sechs bis 24 Monaten vor.

Irland und die Slowakei reichten beim Europäischen Gerichtshof gegen sie eine Nichtigkeitsklage ein. Allerdings nicht, um die Vorratsdatenspeicherung zu verhindern: Die beiden Länder kämpfen um ihre Idee, die Daten ein bis drei Jahre lang zu speichern. Dennoch hätte Deutschland auch das Ergebnis dieser Klage abwarten können.

Unschuldige Bürger werden überwacht

Datenschützer kritisieren, dass mithilfe der gespeicherten Daten Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert und Freundschaften ausgespäht werden können und von Polizei, Staatsanwaltschaft und ausländischen Staaten einsehbar seien.

Hauptkritik: Diese Maßnahme trifft eben nicht Terroristen, sondern mehrheitlich unschuldige Bürger, die in ihren Rechten massiv beschnitten werden: In Deutschland liegt nach juristischer Argumentation ein Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung , gegen die Meinungs-, Informations- und Rundfunkfreiheit, gegen die Berufsfreiheit und gegen das Gleichbehandlungsgebot vor.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leite sich laut Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung aus den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes ab: aus der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Schon der deutsche Gesetzentwurf stieß international auf Widerstand. Der europäische Konzerndatenschutzbeauftragte von Google , Peter Fleischer, empört sich in der New York Times über den deutschen Gesetzentwurf, der mit enormen Kosten für die Unternehmen verbunden wäre.

Freiheit statt Angst

Nicht nur Konzerne wie Google legten Protest ein. "Freiheit statt Angst" lautete das Motto zahlreicher Demonstration in mehreren großen Städten. Am 22. September 2007 wurde in Berlin zur bislang größten Demonstration gegen die Überwachung seit dem Volkszählungs-Boykott vor 20 Jahren aufgerufen. Die Polizei zählte mehr als 8000 Teilnehmer. Nach Angaben der Veranstalter beteiligten sich deutlich mehr als 15.000 Menschen an Kundgebung und Protestmarsch.

Zur Kundgebung hatte neben den Veranstaltern vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ein breites Bündnis von 50 gesellschaftlichen Gruppen aufgerufen, darunter Interessenvertreter von Journalisten, Ärzten, Juristen und sozialen Diensten. Sie sehen große Probleme für die Ausübung ihrer Berufe: Schweigepflicht und Informantenschutz wären durch die Vorratsdatenspeicherung und auch durch die Online-Durchsuchung massiv angegriffen.

Protestzüge gab auch schon am 14. April 2007 in Frankfurt am Main und 2006 auch schon in Berlin und in Bielefeld.

Argumente der Befürworter

Der Arbeitskreis hat die Argumente der Befürworter der Vorratsdatenspeicherung kritisch beleuchtet. Ein beliebtes Argument: Verbindungsdaten seien zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität unverzichtbar. Der Arbeitskreis und auch Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, sagen, das sei falsch . Zur Kriminalitätsbekämpfung seien auch ohne eine Totalprotokollierung jeder Benutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet genügend Verbindungsdaten verfügbar, zum Beispiel die Verbindungsdaten, die für Abrechnungszwecke erhoben werden, und die Einzelverbindungsübersicht der Telefonanschlüsse. Auf richterliche Anordnung hin dürfen die Verbindungsdaten von bestimmten Verdächtigen ohnehin aufgezeichnet werden. Nach den terroristischen Anschlägen in Madrid konnten die Terroristen mit den bestehenden Daten überführt werden.

Die Internet-Ermittler der Initiative "no abuse in internet" (naiin), eine von der Wirtschaft getragene Einrichtung zur Bekämpfung von Online-Kriminalität, befürchten sogar, dass die Aufklärung von per Internet verübten Straftaten durch die massenhafte Speicherung von Verbindungsdaten weiter erschwert wird.

Anonymes Surfen

Um das anonyme Surfen dennoch zu ermöglichen, hat der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD ) einen PrivacyDongle entwickelt. Der USB-Stick beherbergt die Software TorPark. Mit einem Klick auf das Programm-Icon kann man sich im Internet bewegen, ohne Datenspuren zu hinterlassen. Der eigene Computer verbindet sich mit dem Tor-Netzwerk und stellt die Verbindung über drei Server her. Jeder Server kennt lediglich seinen Vorgänger und seinen Nachfolger: Die Spur verblasst. Alle Verbindungen werden verschlüsselt. Allerdings leidet die Geschwindigkeit deutlich darunter. Wie lange solche Methoden dann noch legal bleiben, ist fraglich. Es könnte auch sein, dass man sich durch das Nutzen von Anonymisierungstechniken gerade erst verdächtig macht. In der Vergangenheit wurden auch schon Server von der Polizei beschlagnahmt, die im Tor-Netzwerk Verbindungen zum Zielsystem herstellten und deshalb in dessen Log-Dateien auftauchten.

Die Suchmaschine Google , die bislang alle IP-Adressen von Suchanfragen speichert, kündigt Mitte März an, dies zukünftig nur noch 18 bis 24 Monate lang zu tun. Alle anderen Dienste werden weiterhin auf unbestimmte Zeit persönliche Daten sammeln.

Gegen die Menschenrechtskonvention

In Europa wächst der Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung. Die niederländische Datenschutzbehörde kritisiert in einer Stellungnahme die Umsetzung und den Gesetzentwurf der Regierung in Den Haag. Gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Privatleben der Bürger schützt, werde dadurch verstoßen.

Wer sich an weiteren Aktionen gegen die Speicherung der Kommunikationsdaten engagieren will, der werfe einen Blick ins Wiki des AK-Vorratsdatenspeicherung. Eine große Materialsammlung der Aktivisten gegen die Überwachung, samt Radioartikel, Umfrageergebnisse, Stellungnahmen und Kampagnen-Flyer, steht hier online.

Zu den weiteren Brennpunkten: Biometrische Systeme im Einsatz, Heimliche PC-Durchsuchungen, Ausweise mit biometrischen Daten und Schnüffelchips in Kleidung.

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