Selbstzensur in Indien: Bloggen aus dem Dschungel

Eine Journalistin aus Mumbai entlarvt die Selbstzensur der indischen Medien über den Krieg zwischen Maoisten und Polizei. Dazu machte sie sich selbst auf den Weg in das umkämpfte Gebiet.

Indischer Paramilitär hält Ausschau nach maoistischen Rebellen. Bild: ap

Priyanka Borpulari war Journalistin beim Mumbaier Mirror. Ressort Gesellschaft. Das wurde ihr irgendwann zu langweilig. Heute bloggt sie, vornehmlich aus dem „befreiten Gebiet“ der indischen Maoisten, das in Wirklichkeit ein riesiges Niemandsland an der indische Ostküste ist, in dem Bürgerkrieg herrscht. „Wenn eine Tochter der Nation ihrer Würde von der nach Selbstjustiz trachtenden Miliz des Landes beraubt wird, an welche Türen kann sie dann noch klopfen, um Gerechtigkeit zu erfahren?“ fragte Borpulari vor kurzem in ihrem Blog unter dem Titel „Dantewada weint – erster Tag in der Kriegszone“.

Der Blog erschien auf der bekannten indischen Blogger-Webseite Sulekha.com. Doch plötzlich war er von der Webseite verschwunden. Andere Blogs von Borpulari aus dem Kriegsgebiet waren ebenfalls nicht mehr aufrufbar. Auf Nachfragen erhielt sie keine Antwort. Schließlich schrieben ehemalige Kollegen vom Mirror und Bürgerrechtsaktivisten aus Mumbai Briefe an Sulekha.com, in denen sie der Webseite Zensur vorwarfen.

Es dauerte nicht lange, da waren Borpularis Blogs (www.supertramp.sulekha.com) plötzlich wieder online. Sulekha.com entschuldigte sich und sprach von technischen Problemen. Für Borpulari und diejenigen, die ihre Arbeit unterstützen, aber ist bis heute klar: Ihre Berichte aus dem Maoistenland sind nicht nur den indischen Regierungsbehörden ein Dorn im Auge. Sie entlarven auch die Selbstzensur der indischen Medien in ihrem weiten Spektrum von rechts-hinduistisch bis links-komunistisch.

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Alle, mit wenigen rühmlichen Ausnahmen wie den Wochenmagazinen Tehelka und Outlook, die Reportagen von vor Ort lieferten, schweigen über die wahre Natur des Krieges im Land. Kaum jemand wagt, auf Seiten der Maoisten überhaupt zu recherchieren. Aus diesem Grund, glaubt Borpulari, wollte auch Sulekha.com das ungeliebte Thema von der eigenen Webseite fernhalten. Zensur aber wollte sich das populäre Bloggerprtal trotzdem nicht vorwerfen lassen. Also darf Borpulari nun weiter über die Maoisten bloggen.

Hintergrund ist ein schon seit 40 Jahren währender Krieg, den die indische Gesellschaft nicht wahrhaben will. Seit 1967 ist die maoistische Guerilla trotz Rückschlägen über die Jahre stetig gewachsen. Heute verfügt sie über 15000 vollausgerüstete und trainierte Soldaten und 50000 bewaffneten Milizen. Gegen sie sind zigtausende paramilitärischer Polizeitruppen im ständigen Einsatz. Jeden Tag gibt es Opfermeldungen. Doch die indischen Medien begnügen sich in aller Regel mit der Beschreibung der Maoisten als Terroristen.

Borpulari empfindet das als eine einzige, große Lüge.Sie machte sich deshalb selbst auf den Weg in das Kampfgebiet, erstmals im vergangenen Dezember und ein zweites Mal im April mit dem Autor dieses Artikels. Für ihre Leser entdeckte Borpulari eine ihnen unbekannte Welt: einen riesigen Dschungel, bevölkert von Millionen Ureinwohnern, von deren Kultur und Sprache die meisten Inder nichts wissen.

Borpulari besuchte sie, beschrieb ihre einfachen Lebensweisen. Vor allem aber hörte sie von ihnen die grausamsten Geschichten über das Vorgehen der Polizeitruppen und der sie begleitenden Milizen. Raub, Vergewaltigung, Mord. Borpulari schrieb alles für ihren Blog auf. Sie hörte auch von Gewalttaten und Morden der Maoisten. Aber diese seien gezielt, ihre Opfer ausgewählt. Dagegen töteten die Polizeimilizen meist wahllos - junge, schlecht ausgebildete Truppen, die vor Ort für Geld angeheuert wurden.

Bald erfuhr Borpulari auch von den Gründen für das unkontrollierte Verhalten der Polizei. Sie sprach mit erfahrenen Beamten, genauso wie mit jungen Milizen im Dschungel. Alle hatten Angst. Außer in ihren stark befestigten und mit schweren Militärgerät bewaffneten Lagern waren die Polizeitruppen nirgendwo sicher vor der maoistischen Guerilla. Deren Kämpfer aber beherrschten das Terrain, kannten den Wald und seine Bewohner besser als die Polizei und konnten überall in einem Hinterhalt lauern.

Inzwischen schreibt Borpulari auf ihren Blog auch von den Ängsten der indischen Polizisten im Dschungel. Nach ihrer ersten Reise im Dezember hatte sie nur von den Qualen der Ureinwohnern berichtet – und den Polizisten als Tätern. Aber all das ist derzeit in Indien so aktuell nur bei ihr zu lesen. Obwohl erst Anfang April 76 Polizisten in einer Falle der Maoisten starben, das Thema tagelang die Schlagzeilen beherrschte, beschränkten sich die großen Medien wieder einmal nur auf Terroristenbeschimpfung und patriotische Trauer. Borpulari kann es bis heute nicht fassen. „Der Dschungel allein gibt jetzt meinem Leben Bedeutung“, schrieb sie nach der Rückkehr von ihrer letzten Reise, allerdings nicht auf ihren Blog, sondern in einer SMS an den Autor.

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