Fußball-WM ohne Ballack: Aus für den deutschen Anführer

Nach dem Ausfall von Kapitän Ballack könnte die Moderne Einzug ins deutsche Nationalteam halten. Es gibt keinen, der die Rolle des Leitwolfs übernehmen könnte.

Schmerzhaftes Aus: Boateng grätscht Ballack nieder. Bild: reuters

BERLIN taz | Der Knöchel ist kaputt. Michael Ballack wird nicht bei der Fußball-WM in Südafrika spielen können. Ein Foul - und aus war es. Das kann passieren im Fußballsport. Jetzt fehlt der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft beim großen Turnier am Kap.

Lange nachdem der letzte Ball bei der WM gespielt sein wird, wird Ballack erst wieder trainieren können. Dann wird man wissen, ob er den Deutschen gefehlt hat. Dann wird feststehen, ob in Deutschland erfolgreich gespielt werden kann, ohne einen dieser großen Macker, von denen es nur so wimmelt in der deutschen Fußballgeschichte.

Kapitän, Leitwolf, Führungsspieler. Michael Ballack war über Jahre hinweg Deutschlands einziger kickender Superstar. Jürgen Klinsmann hat ihn lange vor der WM 2006 zum Spielführer ernannt. Spielführer - was für ein Wort! Anführen sollte er die deutsche Mannschaft. Fußballerisch hat er das schon vorher getan. Im Nationalteam war er umgeben von Kollegen, die sich als Rumpelfüßler auslachen lassen mussten, nachdem sie bei zwei Europameisterschaftsturnieren grandios gescheitert waren.

Ballacks Qualität stellte niemand in Zweifel. Doch die Nation erwartete mehr von ihm. Er sollte Führungsspieler werden. Ein Mitreißer. Einer wie Lothar Matthäus, der ewige Platzhirsch im DFB-Team. Einer wie Stefan Effenberg, der Bayern München zum Champions-League-Sieg gepusht hat. Einer mit Eiern in der Hose wie der Brüllaffe Oliver Kahn. Führungsspieler. Beinahe allergisch reagierte er lange auf dieses Wort.

"Aber nicht diese scheiß Führungsspielerfrage", belferte Ballack Fragesteller an, selbst wenn es um ein PR-Interview für seine eigene Homepage ging. Und dann philosophierte er über den modernen Fußball und dass es da nicht darum gehe, einem Anführer hinterherzulaufen. Doch es gab keine Alternative. Jürgen Klinsmann hat ihm das klargemacht. Schließlich hat er die Führerrolle angenommen, wurde zum Obermacker der Mannschaft. Die Spieler sind ihm gefolgt - meistens.

Als ihn Lukas Podolski in einem WM-Qualifikationsspiel geohrfeigt hat, statt sich an die Anweisung seines Spielführers zu halten, war der Aufschrei groß. Doch das war eine Ausnahme. Ballack war da längst zum deutschen Fußballführer geworden. Das hat er auf dem Platz ausgestrahlt, wo er sich vor den Gegenspielern oft aufgebaut hat wie ein Eishockeyspieler, kurz bevor er seinem Gegenspieler die Faust ins Gesicht drückt.

Auch neben dem Platz hat er Präsenz gezeigt und Oliver Bierhoff, den Manager der Nationalmannschaft, beschimpft, beinahe wie es ihm gerade passte. Er ist das geworden, was im Fußball gerne "ein Typ" genannt wird. "Solche Typen braucht der Fußball", sagte jüngst Felix Magath, Deutschlands Trainer des Jahres.

Ist das wirklich so? Geht es nicht eigentlich um Fußball, um das sportliche Vermögen? Gewinnen wirklich nur die, die einen Häuptling in ihren Reihen haben? Mit dem Ballen von Fäusten, mit dem Zähnefletschen, mit lauten Geschrei allein kann auch in der Kreisklasse keiner einen Blumentopf gewinnen. Europameister wurde vor zwei Jahren die Mannschaft Spaniens.

Keiner könnte sagen, wer in diesem Team der Leitwolf war. Ins Schwärmen geraten Fußballästheten, wenn die Rede auf die Spielweise des FC Barcelona kommt, der im vergangenen Jahr die Champions League gewonnen hat. Da spielt Lionel Messi, der beste Kicker der Gegenwart. Doch wer ist der Führungsspieler in diesem Team? Der FC Bayern spielt am Samstag das Finale der Champions League. Kapitän der Mannschaft ist Mark van Bommel. Der ist erst in dieser Saison so richtig gut geworden, nachdem er befreit worden ist von der Bürde, die ihm sein früherer Trainer Jürgen Klinsmann auferlegt hat, als er sagte: "Das ist unser Aggressivleader".

Ein funktionierendes Fußballrudel kann auch ohne Alphatier auskommen.

Einen Mannschaftskapitän muss Bundestrainer Joachim Löw trotzdem benennen. Es braucht ja jemanden, der dem Gegner den DFB-Wimpel überreicht. Philipp Lahm, der Verteidiger des FC Bayern, könnte das werden. Er ist schon ein paarmal mit der Spielführerbinde aufgelaufen. Das Wort Führungsspieler indes schätzt er gar nicht. "Heute gibt es nicht mehr den einen Spieler, der eine Mannschaft führt. Heute verteilt sich dieser Anspruch doch auf mehrere Schultern", hat er einmal gesagt.

Der deutsche Fußball könnte sich nach dem Ausfall von Michael Ballack verändern. Das Führerprinzip kann nicht mehr gelten. In der Mannschaft, die Joachim Löw um sich versammeln wird, ist keiner, der zum Obermacker wird. Viel ist in den letzten Jahren von der Modernisierung des deutschen Fußballs gesprochen worden. Mit der Verteilung der Verantwortung auf alle Spieler der Mannschaft, könnte ein weiterer Schritt in diese Richtung gegangen werden. Der Führer ist tot, es lebe das Team!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.