Bayer Leverkusen und die Meisterschaft: Big Brunos Burschen

Mit einer erfrischenden Mischung aus Fordern und Fördern bringt Coach Labbadia Leverkusen nach vorn. So könnte Bayer den Makel des ewigen Zweiten endlich loswerden.

Coach Labbadia will für seine Spieler ein Lehrer fürs Leben sein. Bild: dpa

LEVERKUSEN taz Bayer Leverkusen muss sich in dieser Woche einem großen Vergleich stellen. Seit der Klub am vorigen Sonntag an die Tabellenspitze der Bundesliga aufgerückt ist, treten die Konstrukteure des legendären Bayer-Teams von 2002, das erst die Herzen Europas eroberte und dann doch überall nur Zweiter wurde, hervor. Die große Frage lautet: Kann diesmal der große Coup gelingen? "Im Gegensatz zu heute war die Mannschaft 2002 gestanden und gefestigt", sagt Klaus Toppmöller, der Trainer von damals. Er zweifelt offenbar. Exmanager Reiner Calmund schreibt hingegen in einer Boulevardzeitung, Bayer sei "reif für den Titel", weil im Gegensatz zu 2002 kein kräfteraubender Europapokal zu bewältigen sei.

Sie müssen sich dem Thema Meisterschaft stellen in Leverkusen, jetzt, wo ein Drittel der Saison gespielt ist. Der in dieser Saison überragende Simon Rolfes sagt zwar, "ob wir Meister werden oder nicht, damit können wir uns am Ende der Saison auseinandersetzen", doch natürlich wird geträumt vorm Spitzenspiel gegen Schalke 04 am Samstag. Nur die Neigung zur Leichtfertigkeit fuchst Labbadia derzeit, zuletzt verspielten sie in Karlsruhe einen 3:0-Vorsprung.

Zwar weiß der Trainer, dass eine junge Mannschaft wie seine naturgemäß zur Flatterhaftigkeit neigt, dennoch empfindet er die Aussetzer als persönliche Niederlage. Ausgewogenheit ist eines seiner Lieblingsthemen. Überall sei es dasselbe in der heutigen Spaßgesellschaft, "es geht um die Balance zwischen Genuss und harter Arbeit", sagt der 42-Jährige. "Es gibt einen engeren Rahmen, den ich fordere, das ist Defensive, Taktik, Disziplin, Respekt. Da ist der Rahmen so eng, da kann keiner auch nur einen halben Schritt rausgehen", sagt der zweimalige Nationalspieler. Erst wenn dies erfüllt sei, könne die Mannschaft sich der Kreativität, der Leichtigkeit ihres gewaltigen Talentes hingeben. Sein Credo: "Zum Erfolg gibt es keinen Lift. Zum Erfolg muss man die Treppe nehmen."

Solche Sätze sagt Labbadia mit Genuss. Er weiß, dass sie bei den Spielern ankommen. Der Trainer will ein Lehrer fürs Leben sein. Er fordert, dass die Profis sich "individuell mit ihrem Körper und ihrem Geist beschäftigen". Labbadia hat eingeführt, dass die Spieler sich Zeit lassen müssen mit dem Essen, um das Genießen zu lernen. Er lässt Ausdauer nur mit Ball trainieren, achtet akribisch auf das soziale Gefüge seiner Mannschaft, kümmert sich um das Wohlbefinden der jungen ausländischen Spieler. Gefühle wie Heimweh oder Einsamkeit versucht er zu erkennen und zu bekämpfen, Freunde und Verwandte werden eingeflogen. Labbadia kennt das Gefühl des Fremdseins. Er entstammt einer italienischen Einwandererfamilie mit acht Kindern.

Seine Jungs will er aber nicht verhätscheln. "Die Balance zwischen Fördern und Fordern" sei die Kunst sagt er. Dass einer sich weigert, Deutsch zu lernen, akzeptiert Labbadia nicht. "Alles hat seine zwei Seiten", sagt er, und wirkt dabei, als fülle er Jürgen Klinsmanns Buddha-Ästhetik mit gelebter Philosophie.

Junge Spieler wie der bislang überragende Renato Augusto (20), der zuverlässige Henrique (22) und Glücksgriff Michal Kadlec (23) spielen in diesem Klima auf hohem, manchmal sogar auf höchstem Niveau - obwohl sie neu in der Liga sind. Bislang hat die Werkself jedes einzelne Bundesligaspiel entweder gewonnen oder den Gegner zumindest über längere Phasen an die Wand gespielt, Bayer hätte alle zwölf Partien in dieser Saison als Sieger verlassen können. Die Niederlagen brachten immer die gleiche Erkenntnis: Wir sind besser, doch Nachlassen wird bestraft.

Weil die Mannschaft die Fußballweisheit inzwischen kennt, hat Labbadia diese Woche nicht genutzt, sein Team mit ihren Leichtfertigkeiten von Karlsruhe zu nerven. Er hat vielmehr am Selbstvertrauen gearbeitet. "Wir stehen vollkommen zu Recht dort oben", hat er täglich wiederholt, der Ärger der Spieler über die verlorenen Punkte ist auch ohne Strafen groß genug. Kapitän Rolfes, immerhin einer der begehrtesten Spieler der Bundesliga, ist derart begeistert vom Trainer und der neuen Arbeitsatmosphäre, dass er sagt: "Ich bin genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort." Auch der Boulevard berichtet mittlerweile vorzugsweise über "Big Bruno", und dennoch warten alle darauf, dass irgendwann der Einbruch kommt. Weil es immer so gewesen ist in Leverkusen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.