Hertha verliert gegen Nürnberg: Ein Verein zerlegt sich selbst

Nach dem 1:2 gegen Nürnberg sind die Berliner Fußballer nun doch so gut wie abgestiegen, und Randalierer stürmen das Spielfeld. Der Club aus der Hauptstadt steht vor einer Zerreißprobe.

Im Jargon des Trikotsponsors erklärte Pressesprecher Gerd Graus hernach voreilig: "Es hat keine Personenschäden gegeben." Bild: dpa

Es herrschte Endzeitstimmung. Es war, als ob Schiedsrichter Knut Kircher die Bundesligasaison von Hertha BSC bereits am Samstagnachmittag - acht Spieltage vor dem eigentlichen Ende - abgepfiffen hätte. Mechanisch und mit starrem Blick marschierte Trainer Friedhelm Funkel wie ein traumatisiertes Unfallopfer als Erster in die Katakomben des Olympiastadions. Ihm folgte der blasse Manager Michael Preetz, dem sichtbar das Wasser in die Augen geschossen war. Die Hertha-Profis tappten wortlos hinterher. Und nach einer Pause stürmten plötzlich die Nürnberger Spieler panikartig schreiend hinein: "Weg hier! Türen zu!" Auf dem Spielfeld wütete nämlich ein Mob von hundert Hertha-Fans, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Mit Fahnenstangen bewaffnet waren sie über den Graben gesprungen und zerlegten die Berliner Ersatzbank. Im Jargon des Trikotsponsors erklärte Pressesprecher Gerd Graus hernach voreilig: "Es hat keine Personenschäden gegeben." Die Polizei vermeldete drei leichtverletzte Beamte.

Vieles spricht dafür, dass der Nürnberger Angelos Charisteas bald als derjenige gelten wird, der mit seinem Treffer zum 2:1 in der 92. Minute den Berliner Abstieg besiegelt hat. Bereits im Vorfeld hatten in der Hauptstadt Spieler und Fans im verbalen Doppelpass die existenzielle Bedeutung dieses Spiels hervorgehoben. Arne Friedrich sagte: "Wenn wir das Spiel verlieren, gehen hier die Lichter aus." Die Fans verkündeten auf Transparenten: "Das Spiel unseres Lebens. Ihr habt es in der Hand." Im Nachhinein muss man das als Drohung deuten.

Hertha BSC: Drobny - Piszczek (78. Wichniarek), Friedrich, Hubnik, Kobiaschwili - Dardai (67. Kacar) - Kringe (53. Nicu), Cicero, Raffael - Ramos, Gekas

1. FC Nürnberg: Schäfer - Diekmeier, Wolf, Maroh, Pinola - Ottl, Gündogan, Tavares (57. Frantz) - Risse (77. Nordtveit), Bunjaku - Choupo-Moting (66. Charisteas)

Zuschauer: 57.761

Tore: 1:0 Gekas (36.), 1:1 Bunjaku (61.), 1:2 Charisteas (90.+1)

Angesichts dieses Drucks verwunderte es, wie selbstsicher der Tabellenletzte in der ersten Halbzeit auftrat. Ein ums andere Mal kombinierten die Berliner sich durch die Nürnberger Abwehr, als wäre sie gar nicht vorhanden. Gekas und Raffael scheiterten lediglich an Latte und Pfosten, die anderen Großchanchen machte der überragende Nürnberger Torwart Raphael Schäfer zunichte. Selbst das Herthaner Führungstor durch Gekas (37.) gelang erst im zweiten Versuch, nachdem Schäfer zuvor noch den Schuss von Cicero parieren konnte. "Überragend" fand Gästetrainer Hecking die Berliner in der ersten Halbzeit. Sein Gegenüber Funkel setzte aber genau hier mit seiner Fehleranalyse an. Resigniert stellte er fest: "Die ungenutzten Chancen haben auch etwas mit Unvermögen zu tun."

So deutlich ist Funkel in den letzten Wochen nie geworden. Die Zeit des Beschönigens war am Samstag, als Hertha sein vielleicht bestes Heimspiel zeigte, endgültig vorbei. Kritikwürdiger wäre jedoch das Alles-oder-nichts-Spiel der Berliner in der Schlussphase gewesen. Schon vor der 2:1-Führung tauchten die Gäste bei Kontern mehrmals in Überzahl vor Torwart Jaroslav Drobny auf. Nürnbergs Verteidiger Andreas Wolf stellte fest: "Berlin hat nach unserem Ausgleich aufgemacht. Das war perfekt für uns. Wir konnten auf Konter spielen." Nachdem das Team von Friedhelm Funkel im Abstiegskampf wochenlang seltsam verzagte, setzte man gegen Nürnberg alles auf eine Karte und verschenkte somit mutwillig zwei Punkte.

Die Konsequenz: "Wir werden die Zweitligaplanungen forcieren", bekannte der geknickte Michael Preetz. Als er auf seine feuchten Augen nach Spielschluss angesprochen wurde, fragte er, wieder mit den Tränen kämpfend, zurück: "Wundert Sie das? Ich bin seit 14 Jahren in diesem Klub." Preetz wirkte wie ein enttäuschter Fan seines Vereins. Und möglicherweise liegt auch hier ein Problem begraben. Obwohl die Mannschaft im Sommer mit Marko Pantelic, Andrej Woronin und Josip Simunic einen immensen Aderlass hatte, vertraute Hertha-Anhänger Preetz darauf, dass der Kader auch mit billigen Zukäufen genügend Qualität haben würde. Ein verhängnisvoller Irrtum.

Mit dem Fansturm aus der Ostkurve hat Hertha zudem ein vielleicht noch größeres Problem, als den Abstieg zu bewältigen. Der Verein steht vor einer Zerreißprobe. Nachdem die Anhänger bislang ihren Unmut weitgehend zurückgehalten haben, um die labile Mannschaft nicht zu verunsichern, dürften jetzt, da sich in der Kurve der Treuesten der Zorn entladen hat, der Druck auf die Klubführung immens steigen.

HERTHA-MANAGER MICHAEL PREETZ

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